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18.01.2025  
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Bundesverfassungsgericht Beschluss15.01.2014

Degressiver Zweit­wohnung­steuer­tarif bedarf hinreichend gewichtiger SachgründeZweit­wohnung­steuer­satzung der Stadt Koblenz verletzt Gebot der Besteuerung nach wirtschaft­licher Leistungs­fä­higkeit und führt zu Un­gleich­behandlungen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat der Verfassungs­beschwerde gegen einen Zweit­wohnung­steuer­bescheid der Stadt Konstanz stattgegeben und die zugrun­de­lie­genden Satzungen der Jahre 1989, 2002 und 2006 für nichtig erklärt. Wenn ein degressiver Zweit­wohnung­steuer­tarif - wie im vorliegenden Fall - nicht durch hinreichend gewichtige sachliche Gründe gerechtfertigt ist, verletzt er das aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitende Gebot der Besteuerung nach der wirtschaft­lichen Leistungs­fä­higkeit. Das Gericht hat zudem die Sorgfalts­anforderungen für die Einhaltung von Fristen bei Einlegung von Verfassungs­beschwerden per Telefax konkretisiert: Die erforderliche Sorgfalt hat regelmäßig erfüllt, wer - über die zu erwartende Übermitt­lungsdauer der zu faxenden Schriftsätze samt Anlagen hinaus - einen Sicher­heits­zu­schlag von 20 Minuten bis Fristende einkalkuliert.

Dem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Stadt Konstanz, die Beklagte des Ausgangs­ver­fahrens, zog den Beschwer­de­führer für die Jahre 2002 bis 2006 aufgrund einer Satzung zur Zweit­woh­nung­steuer heran.

Steuertarife pauschalieren Steuerbetrag durch Bildung von fünf beziehungsweise acht Mietauf­wands­gruppen

Die Steuertarife orientieren sich am jährlichen Mietaufwand als steuerlicher Bemes­sungs­grundlage und pauschalieren den Steuerbetrag durch Bildung von fünf (Zweit­woh­nung­s­teu­er­satzung 1989) beziehungsweise acht Mietauf­wands­gruppen (Zweit­woh­nung­s­teu­er­sat­zungen 2002/2006). Die konkrete Ausgestaltung der Steuertarife führt insgesamt zu einem - in Relation zum Mietaufwand - degressiven Steuerverlauf. Zwar steigt der absolute Betrag der Zweit­woh­nung­steuer mit zunehmender Jahresmiete in Stufen an. Nicht nur auf den jeweiligen Stufen, sondern auch über die Stufen hinweg sinkt jedoch der sich aus dem Mietaufwand und dem zu zahlenden Steuerbetrag ergebende Steuersatz mit steigendem Mietaufwand ab.

Widerspruch und Klage gegen Zweit­woh­nung­steuer erfolglos

Der Beschwer­de­führer hatte im Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum 31. August 2006 eine Zweitwohnung im Stadtgebiet von Konstanz inne, die ihm von seinen Eltern überlassen worden war. Die Beklagte zog ihn für diesen Zeitraum zu einer Zweit­woh­nung­steuer in Höhe von (zuletzt) 2.974,32 Euro heran. Widerspruch und Klage des Beschwer­de­führers hiergegen blieben ohne Erfolg.

Verfas­sungs­be­schwerde im Wesentlichen zulässig und begründet

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht, dass die zulässige Verfas­sungs­be­schwerde im Wesentlichen begründet ist. Die degressive Ausgestaltung der Zweit­woh­nung­s­teu­er­tarife sowie die Entscheidungen der Beklagten und der Fachgerichte verstoßen gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Beschwer­de­führer wurde ohne eigenes Verschulden an Fristwahrung gehindert

Der Beschwer­de­führer hat die Verfas­sungs­be­schwerde zwar erst nach Ablauf der Beschwerdefrist erhoben. Er war jedoch ohne Verschulden an der Fristwahrung gehindert, da der Telefa­x­an­schluss des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zwischen dem ersten Übermitt­lungs­versuch um 22:57 und 24.00 Uhr am 29. Juni 2009 belegt war. Dem Beschwer­de­führer ist daher auf seinen fristgerechten Antrag hin Wieder­ein­setzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Einkalkulieren eines Zeitraums von 20 Minuten zur Übermittlung der zu faxenden Schriftsätze samt Anlagen erfüllt erforderliche Sorgfalt

Die Wieder­ein­setzung in den vorigen Stand ist nur möglich, wenn der Beschwer­de­führer die Frist ohne Verschulden, das heißt weder vorsätzlich noch fahrlässig, versäumt hat. Fahrlässig handelt, wer mit der Übermittlung eines Beschwer­de­schrift­satzes nebst erforderlicher Anlagen nicht so rechtzeitig beginnt, dass unter gewöhnlichen Umständen mit dem Abschluss der Übermittlung noch am Tag des Fristablaufs zu rechnen ist. In Verfahren vor dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat regelmäßig die im Verkehr erforderliche Sorgfalt erfüllt, wer einen über die zu erwartende Übermitt­lungsdauer der zu faxenden Schriftsätze samt Anlagen hinausgehenden Sicher­heits­zu­schlag in der Größenordnung von 20 Minuten einkalkuliert. Für die Fristberechnung und damit auch die Einhaltung des Sicher­heits­zu­schlags ist der Zeitpunkt des vollständigen Empfangs im Bundes­ver­fas­sungs­gericht maßgeblich, nicht aber die Vollständigkeit des Ausdrucks. Den Sorgfalts­an­for­de­rungen genügt schließlich nur, wer innerhalb der einzu­ka­l­ku­lie­renden Zeitspanne wiederholt die Übermittlung versucht.

Beschwer­de­führer hatte zur Einreichung der Verfas­sungs­be­schwerde Sicher­heits­reserve von 50 Minuten eingeplant

Danach traf den Beschwer­de­führer kein Verschulden an der Fristversäumnis, da er einen hinreichenden Sicher­heits­zu­schlag einkalkuliert hatte. Der Beschwer­de­führer hat glaubhaft gemacht, dass er am Tag des Fristablaufs um 22.57 Uhr erstmals versucht hatte, die Verfas­sungs­be­schwer­de­schrift nebst Anlagen an das Bundes­ver­fas­sungs­gericht zu übermitteln, und dass er seinen Sendeversuch bis zum Fristablauf mehrfach wiederholte. Er hatte mithin eine Sicher­heits­reserve von etwa 50 Minuten eingeplant.

Degressiver Steuertarif in Zweit­woh­nung­s­teu­er­sat­zungen verletzt Grundrecht auf Gleich­be­handlung

Der degressive Steuertarif in den Zweit­woh­nung­s­teu­er­sat­zungen 1989, 2002 und 2006 verletzt das Grundrecht auf Gleich­be­handlung des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Gebot der Besteuerung nach der wirtschaft­lichen Leistungs­fä­higkeit. Als örtliche Aufwandsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG muss die von der Beklagten erhobene Zweit­woh­nung­steuer dem aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleiteten Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungs­fä­higkeit genügen. Das wesentliche Merkmal einer Aufwandsteuer besteht darin, die in der Einkom­mens­ver­wendung zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungs­fä­higkeit zu treffen; diese spiegelt der jeweilige Mietaufwand als Bemessungsgröße der Zweit­woh­nung­steuer wider.

Degressiver Steuertarif bewirkt Ungleich­be­handlung der Steuerschuldner

Der degressive Steuertarif bewirkt eine Ungleichbehandlung der Steuerschuldner, weil er weniger leistungsfähige Steuerschuldner prozentual höher belastet als wirtschaftlich leistungs­fä­higere. Denn aus dem Stufentarif ergibt sich mit steigendem Mietaufwand weitgehend ein sinkender Steuersatz. Diese Ungleich­be­handlung lässt sich bereits durch Vergleich der jeweiligen mittleren Steuersätze in den Steuerstufen feststellen. Eine weitere Ungleich­be­handlung folgt aus den Differenzen in der Steuerbelastung durch die typisierenden Stufen: So sinkt beispielsweise innerhalb der zweiten Steuerstufe nach der Satzung 1989 die Steuerbelastung von fast 40 % auf rund 26 % und nach den Satzungen 2002/2006 von etwa 34,8 % auf 21,8 %. Am stärksten belastet werden insgesamt Steuer­pflichtige mit Jahresmieten im unteren Bereich der jeweiligen Steuerstufen. Die Mindest- und Höchst­be­trags­stufen verstärken diesen degressiven Effekt zusätzlich.

Degressive Steuertarife nicht generell unzulässig

Degressive Steuertarife sind nicht generell unzulässig, weil der Normgeber nicht ausnahmslos zu einer reinen Verwirklichung des Leistungs­fä­hig­keits­prinzips verpflichtet ist. Bei der Rechtfertigung unterliegt er jedoch über das bloße Willkürverbot hinausgehenden Bindungen durch das Leistungs­fä­hig­keits­prinzip als materiellem Gleichheitsmaß. Vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht ist hierbei nur zu untersuchen, ob der Normgeber die verfas­sungs­recht­lichen Grenzen seiner Gestal­tungs­freiheit überschritten hat, nicht ob er die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat.

Die Ungleich­be­handlung aufgrund der degressiven Steuertarife ist im vorliegenden Fall nicht mehr gerechtfertigt.

Über verschiedene Steuerstufen hinweg, degressiv gestalteter Verlauf des Steuertarifs nicht zur Vereinfachung der Besteuerung geeignet

Typisierungs- und Verein­fa­chungs­er­for­dernisse können grundsätzlich sachliche Gründe für eine Einschränkung der Besteuerung nach Leistungs­fä­higkeit bilden. Von vornherein nicht zur Vereinfachung geeignet ist der insgesamt, das heißt über verschiedene Steuerstufen hinweg, degressiv gestaltete Verlauf des Steuertarifs. Hingegen bewirken die Steuerstufen zwar eine gewisse Vereinfachung dadurch, dass nicht in jedem Einzelfall die exakte Jahres­net­to­kaltmiete ermittelt und in Zweifelsfällen verifiziert werden muss. Jedoch ist dieser Effekt nicht von hinreichendem Gewicht. Bereits die Differenz zwischen der höchsten und niedrigsten Steuerbelastung auf der gleichen Stufe erreicht ein beträchtliches Ausmaß, das angesichts des insgesamt degressiven Tarifverlaufs nicht hinnehmbar ist. Hinzu treten die Effekte der Degression zwischen den einzelnen Stufen: Zwischen der Zweit­woh­nung­steuer bei einem Mietaufwand von 1.200 Euro und bei einem Mietaufwand von 24.000 Euro kommt es nach der Satzung 1989 zu einer Differenz von 29 Prozentpunkten (Steuer­be­las­tungen von 34 % bzw. 5 %) und nach den Satzungen 2002/2006 zu einer Differenz von 27 Prozentpunkten (Steuer­be­las­tungen von 33 % bzw. 6 %).

Lenkungszweck der Besteuerung rechtfertigt nicht immer Ungleich­be­handlung

Auch Lenkungszwecke rechtfertigen die Ungleich­be­handlung im vorliegenden Fall nicht. Es stellt ein legitimes Ziel dar, die Steuer­pflichtigen nach den Maßgaben des Melderechts zur Ummeldung des Nebenwohnsitzes in einen Hauptwohnsitz zu veranlassen. Ein weiterer zulässiger Lenkungszweck liegt in der Erhöhung des Wohnungs­an­gebots für die einheimische Bevölkerung und insbesondere für Studierende der Hochschulen vor Ort. Die steuerliche Differenzierung durch einen degressiven Tarifverlauf erweist sich jedoch zur Erreichung dieser Lenkungszwecke weder als geeignet noch als erforderlich. Zwar mag die Erhebung der Zweit­woh­nung­steuer insgesamt geeignet sein, Zweit­woh­nungs­inhaber zur Anmeldung des Hauptwohnsitzes zu bewegen; die degressive Ausgestaltung des Steuertarifs selbst fördert diesen Lenkungszweck jedoch nicht. Dieses Lenkungsziel würde in gleicher Weise durch einen linearen oder gar progressiven Steuertarif erreicht, bei dem die hier festgestellte Ungleich­be­handlung nicht vorläge. Gleiches gilt für den Lenkungszweck, das Halten von Zweitwohnungen einzudämmen.

Zweit­woh­nung­s­teu­er­sat­zungen der Stadt Konstanz nichtig

Die Zweit­woh­nung­s­teu­er­sat­zungen der Stadt Konstanz der Jahre 1989, 2002 und 2006 sind daher nichtig. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten und die Entscheidungen des Verwal­tungs­ge­richts sowie des Verwal­tungs­ge­richtshofs werden aufgehoben. Die Sache wird an den Verwal­tungs­ge­richtshof zur Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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