24.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss28.04.2011

Nicht­be­rück­sich­tigung von Mutter­schutz­zeiten bei der betrieblichen Zusatz­ver­sorgung der VBL verfas­sungs­widrigBundes­ver­fas­sungs­gericht bejaht Verstoß gegen das geschlechts­be­zogene Diskri­mi­nie­rungsgebot

Die Nicht­be­rück­sich­tigung von Mutter­schutz­zeiten bei der betrieblichen Zusatz­ver­sorgung der VBL ist verfas­sungs­widrig und stellt eine unzulässige Ungleich­be­handlung von Müttern dar. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Die Versor­gungs­anstalt des Bundes und der Länder (VBL) ist eine Zusatz­ver­sor­gungs­ein­richtung für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und hat die Aufgabe, den Arbeitnehmern der an der VBL beteiligten Arbeitgeber im Wege privat­recht­licher Versicherung eine Alters-, Erwer­bs­min­derungs- und Hinter­blie­be­nen­ver­sorgung zu gewähren. Diese ergänzt die Rente aus der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung. Das System der Zusatzversorgung der VBL wird durch die Satzung der VBL näher ausgestaltet. Nach der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Rechtslage hatte Anspruch auf eine betriebliche Versorgungs- bzw. Versi­che­rungsrente nur ein Arbeitnehmer, der eine Wartezeit von 60 so genannten Umlagemonaten erfüllte. Als Umlagemonat galt ein Kalendermonat, für den der Arbeitgeber eine Umlage für mindestens einen Tag für laufendes zusatz­ver­sor­gungs­pflichtiges Entgelt entrichtet, d. h. nach der Definition in der VBL-Satzung der Arbeitnehmer steuer­pflichtigen Arbeitslohn bezogen hat. Da das Mutter­schaftsgeld steuerfrei gestellt ist, wurden nach der alten Rechtslage für die Mutter­schutz­zeiten keine Umlagen durch den Arbeitgeber gezahlt, mit der Folge, dass die Zeiten des Mutterschutzes bei der Warte­zeit­be­rechnung keine Berück­sich­tigung fanden. Dagegen wurden nach einer speziellen Anrechungsregel der Satzung sämtliche Krank­heits­zeiten, in denen ein Arbeitnehmer gesetzliche Lohnfortzahlung oder einen Kranken­geld­zu­schuss nach den tarif­ver­trag­lichen Regelungen des öffentlichen Dienstes erhalten hat, als Umlagezeiten berücksichtigt.

VBL lehnt Anrechnung der Mutter­schutz­zeiten als umlagefähige Zeiten ab

Die Beschwer­de­führerin war als Beschäftigte des öffentlichen Dienstes über ihren Arbeitgeber bei der VBL versichert und befand sich im Jahre 1988 für rund drei Monate im gesetzlich vorge­schriebenen Mutterschutz. Die VBL lehnte in ihrem Fall einen Anspruch auf Betriebsrente mit der Begründung ab, dass sie insgesamt nur 59 Umlagemonate angesammelt und damit die Wartezeit nicht erreicht habe. Ihre Mutter­schutz­zeiten könnten nicht als umlagefähige Zeiten angerechnet werden. Die daraufhin von der Beschwer­de­führerin erhobene Klage auf Feststellung, dass die VBL die Mutter­schutz­zeiten zu berücksichtigen habe, blieb vor dem Amtsgericht und in der Berufungs­instanz vor dem Landgericht ohne Erfolg.

Urteile von Amts- und Landgericht verstoßen gegen Verbot der geschlechts­be­zogenen Diskriminierung

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass die mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenen Urteile gegen das Verbot der geschlechts­be­zogenen Diskriminierung aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verstoßen. Das Urteil des Landgerichts ist aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurückverwiesen worden.

Nichtanrechnung von Mutter­schutz­zeiten als Umlagemonate für Zusatz­ver­sorgung stellt Ungleich­be­handlung von Müttern in zweifacher Hinsicht dar

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Die VBL nimmt als Anstalt des öffentlichen Rechts eine öffentliche Aufgabe wahr. Ihre Satzung ist daher an die Beachtung des Gleich­heits­grund­rechts gebunden. Die in der Satzung geregelte Nichtanrechnung von Mutter­schutz­zeiten als Umlagemonate für die Zusatz­ver­sorgung der VBL statuiert eine Ungleichbehandlung von Müttern in zweifacher Hinsicht. Zum einen werden Frauen mit Mutter­schutz­zeiten gegenüber männlichen Arbeitnehmern ungleich behandelt, da deren Erwer­bs­bio­grafien im öffentlichen Angestell­ten­ver­hältnis nicht durch die gesetzlich zwingend vorge­schriebenen Mutter­schutz­zeiten unterbrochen wurden und auch nicht werden. Zum zweiten liegt eine Ungleich­be­handlung von Frauen in Mutterschutz hier auch gegenüber denjenigen männlichen und weiblichen Versicherten vor, die Krankengeld und einen Kranken­geld­zu­schuss des Arbeitgebers erhalten. Da der Arbeitgeber in den Zeiten der Lohnfortzahlung sowie des Bezugs eines Kranken­geld­zu­schusses auch Umlagen entrichtet, werden die Krank­heits­zeiten bei der Berechnung der Zusatz­ver­sor­gungsrente voll als umlagefähige Monate angerechnet. Für den Mutterschutz findet sich keine entsprechende Regel.

Diskriminierung von Müttern durch die Hintertür

Diese Ungleich­be­handlung knüpft an das Geschlecht an. Sie ist nicht durch zwingende Gründe gerechtfertigt. Zwar verfolgt der Gesetzgeber mit der Freistellung der Arbeitgeber von der Umlage für Mutter­schutz­zeiten das verfas­sungs­rechtlich vorgegebene Ziel einer tatsächlichen Gleichstellung. Den Arbeitgebern soll der Anreiz, Frauen im gebärfähigen Alter nicht zu beschäftigen, genommen werden. Diese Syste­ment­scheidung darf aber nicht über daran anknüpfende Regelungen wie die der Satzung der VBL zu Lasten von Müttern gehen. Der dem Gesetzgeber ebenso wie der VBL eingeräumte Spielraum bei der Verteilung der Lasten des Mutterschutzes rechtfertigt keine Diskriminierung von Müttern durch die Hintertür. Es sind auch sonst keine sachlichen Gründe erkennbar, die eine Benachteiligung von Müttern rechtfertigen könnten.

Mutter­schutz­zeiten müssen zur Gleich­be­handlung von Versicherten als Umlagezeiten berücksichtigt werden

Der Verstoß gegen das geschlechts­be­zogene Diskri­mi­nie­rungsgebot führt dazu, dass die Beschwer­de­führerin eine Anrechnung ihrer Mutter­schutz­zeiten auf die Wartezeit im Rahmen der betrieblichen Zusatz­ver­sorgung der VBL verlangen kann. Denn eine Gleich­be­handlung von Versicherten, die während ihrer Versi­che­rungs­zeiten Mutterschutz in Anspruch genommen haben, und denjenigen, für die während ihrer Krankheit von ihren Arbeitgebern Umlagen entrichtet worden sind, lässt sich nachträglich nur dadurch erreichen, dass die Mutter­schutz­zeiten als Umlagezeiten berücksichtigt werden.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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