Dokument-Nr. 26394
Permalink https://urteile.news/
Bundesverfassungsgericht Beschluss27.06.2018
Rentenzahlungen von Pensionskassen sind unter bestimmten Voraussetzungen in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung nicht beitragspflichtigBeitragspflicht hängt von Vertragsgestaltung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es gegen das Gleichheitsgebot verstößt, wenn für die Berechnung der Beiträge von Rentnern zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung solche Zahlungen berücksichtigt werden, die auf einem nach Ende des Arbeitsverhältnisses geänderten oder ab diesem Zeitpunkt neu abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag zwischen einer Pensionskasse in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit und dem früheren Arbeitnehmer beruhen, während Erträge aus privaten Lebensversicherungen von pflichtversicherten Rentnern nicht zur Berechnung herangezogen werden. Voraussetzung ist aber, dass der frühere Arbeitgeber an dem Versicherungsvertrag nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr beteiligt ist und nur der versicherte Arbeitnehmer die Beiträge eingezahlt hat. Die Differenzierung zwischen betrieblicher und privater Altersversorgung und einer daraus resultierenden Beitragspflicht zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist nicht allein nach der auszahlenden Institution vorzunehmen. Es ist vielmehr nach der Vertragsgestaltung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu differenzieren.
Die gesetzliche Krankenversicherung sowie die soziale Pflegeversicherung der Rentner wird unter anderem durch Beitragszahlungen der versicherten Rentner finanziert. Für die Berechnung der Beiträge werden neben der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch Renten der betrieblichen Altersversorgung als sogenannte Versorgungsbezüge herangezogen.
Sachverhalt
Die Beschwerdeführer waren vorübergehend beschäftigt und über ihren Arbeitgeber bei der als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ausgestalteten Pensionskasse versichert. Nach deren Satzung wurden sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber Versicherungsnehmer und Mitglied im Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Die Satzung sah jedoch vor, dass die Versicherung bei einem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis freiwillig fortgesetzt werden konnte und in diesem Fall der ehemalige Arbeitnehmer Einzelmitglied in der Pensionskasse und alleiniger Versicherungsnehmer wurde. Die Beschwerdeführer zahlten nach ihrem Ausscheiden aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis fast 18 beziehungsweise 22 Jahre allein die Beiträge an die Pensionskasse. Die von ihr geleisteten Renten beruhen weit überwiegend auf ihren Einzahlungen.
Krankenkasse lehnt beantragte Beitragsfreiheit ab
Die Beschwerdeführer sind als Rentner pflichtversicherte Mitglieder in einer gesetzlichen Krankenkasse und sozialen Pflegeversicherung, wofür die Pensionskasse monatliche Beiträge abführt. Für die Berechnung dieser Beiträge legt die Pensionskasse die gesamte Rentenzahlung zugrunde und damit auch die Leistungen, die auf den Einzahlungen der Beschwerdeführer nach der Beendigung des jeweiligen Arbeitsverhältnisses beruhen. Die von den Beschwerdeführern beantragte Beitragsfreiheit für diese Leistungen lehnte die jeweilige Krankenkasse mit der Begründung ab, dass es sich ebenfalls um Versorgungsbezüge in Form von Renten der betrieblichen Altersvorsorge handele und diese insgesamt beitragspflichtig seien. Eine Unterscheidung zwischen Einzahlungen vor und nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses müsse nicht getroffen werden.
BSG bejaht Beitragspflicht
Die dagegen gerichteten Klageverfahren blieben letztlich erfolglos. Das Bundessozialgericht begründet dies damit, dass Leistungen einer Einrichtung der betrieblichen Altersversorgung, wie einer Pensionskasse, unabhängig davon, auf wessen Beiträgen die Zahlungen beruhen, stets der betrieblichen Altersvorsorge zuzurechnen und daher beitragspflichtig seien.
Beschwerdeführer rügen Ungleichbehandlung
Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Leistungen der Pensionskassen, die auf dem Anteil beruhen, die nach der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses von ihnen selbst eingezahlt worden seien, müssten ebenso wie Leistungen aus privaten Lebensversicherungen beitragsfrei sein. Für eine Ungleichbehandlung gebe es keinen hinreichenden Grund.
BVerfG bejaht Verletzung des Gleichheitssatzes
Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Verfassungsbeschwerden für begründet. Der Gleichheitssatz ist verletzt. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet nicht nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem, sondern auch die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem. Typisierungen und Pauschalierungen sind dabei insoweit zulässig, als dadurch auftretende Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, sie nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. Gemessen an diesem Maßstab liegt eine Ungleichbehandlung zwischen der Beitragspflicht bei Leistungen einer Pensionskasse in der Rechtsform des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, die auf den alleinigen Zahlungen des Versicherten in einen Versicherungsvertrag ohne Beteiligung des früheren Arbeitgebers nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruhen, und einer beitragsfreien Leistung aus einer bereits anfänglich privaten Lebensversicherung vor.
Unterschiedliche Behandlung bei Beitragspflicht in gesetzlicher Kranken- und Pflegeversicherung nicht gerechtfertigt
Die bislang vorgenommene Unterscheidung zwischen privater und betrieblicher Altersvorsorge allein nach der auszahlenden Institution überschreitet im vorliegenden Fall die Grenze einer zulässigen Typisierung. Es ist vielmehr darauf abzustellen, ob der Versicherte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses den institutionellen Rahmen des Betriebsrentenrechts weiterhin unverändert nutzt oder den Vertrag aus dem betrieblichen Bezug löst. Der Zweck einer Einrichtung der betrieblichen Altersversorgung schließt das Betreiben privater Altersvorsorge nicht aus. Indem der Versicherte nach Ende des Arbeitsverhältnisses mit der Pensionskasse in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit einen Lebensversicherungsvertrag ohne Beteiligung des Arbeitgebers abschließt oder einen bestehenden Vertrag in dieser Weise ändert und die Versicherungsleistungen selbst finanziert, wird der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts verlassen. Einzahlungen des Versicherten auf diesen Vertragsteil unterscheiden sich nur unwesentlich von Einzahlungen auf privat abgeschlossene Lebensversicherungsverträge. Eine unterschiedliche Behandlung bei der Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung rechtfertigt dies nicht. Der Einbezug kann vielmehr dazu führen, dass Verträge nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht weiter für die private Altersvorsorge genutzt werden und die vom Gesetzgeber gewollte Eigenvorsorge nicht eintritt.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 04.09.2018
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.
Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss26394
Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.