Dokument-Nr. 22173
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Bundesverfassungsgericht Beschluss12.01.2016
Verbot der Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern ist verfassungswidrigMit Sozietätsverbot verbundener Eingriff in Berufsfreiheit ist unverhältnismäßig
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass § 59 a Abs. 1 Satz 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung insoweit verfassungswidrig und nichtig ist, als er Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten verbietet, sich mit Ärztinnen und Ärzten sowie mit Apothekerinnen und Apothekern zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in einer Partnerschaftsgesellschaft zu verbinden. Der mit dem Sozietätsverbot verbundene Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ist unverhältnismäßig. Denn der Gesetzgeber hat den Zusammenschluss von Rechtsanwälten mit anderen Berufsgruppen - insbesondere mit Patentanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern - in einer Partnerschaftsgesellschaft zugelassen. Im Vergleich hierzu birgt eine interprofessionelle Zusammenarbeit von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern keine so wesentlichen zusätzlichen Risiken für die Einhaltung der anwaltlichen Berufspflichten, dass dies eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigte.
Die beiden Antragsteller des Ausgangsverfahrens sind ein Rechtsanwalt sowie eine Ärztin und Apothekerin. Sie gründeten eine Partnerschaftsgesellschaft und meldeten diese zur Eintragung in das Partnerschaftsregister an. Amtsgericht und Oberlandesgericht wiesen die Anmeldung zurück. Der Eintragung stehe die abschließende Regelung des § 59 a Abs. 1 Satz 1 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) entgegen, in der die Berufe des Arztes und des Apothekers nicht aufgeführt seien. Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.
Das Bundesverfassungsgericht verwies in seiner Entscheidung darauf, dass die Vorlagefrage auf den entscheidungserheblichen Teil des zur Prüfung gestellten § 59 a Abs. 1 Satz 1 BRAO zu beschränken ist. Sie bedarf in zweifacher Hinsicht der Einschränkung: hinsichtlich der betroffenen Berufe auf die Zusammenarbeit von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern sowie hinsichtlich der Form der Zusammenarbeit auf die Partnerschaftsgesellschaft.
Gesetzliche Regelung stellt Eingriff in freie Berufsausübung dar
§ 59 a Abs. 1 Satz 1 BRAO ist mit Art. 12 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar, als die Regelung einer Verbindung von Rechtsanwälten mit Ärzten sowie mit Apothekern zur gemeinschaftlichen Berufsausübung im Rahmen einer Partnerschaftsgesellschaft entgegensteht. Zwar verfolgt der Gesetzgeber mit dem Eingriff in die freie Berufsausübung durch Begrenzung der sozietätsfähigen Berufe einen legitimen Zweck. Die Vorschrift soll die Beachtung der wesentlichen anwaltlichen Grundpflichten aus § 43 a BRAO sichern. Hierzu zählen auch die Verschwiegenheitspflicht, das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen sowie die Pflicht, keine die berufliche Unabhängigkeit gefährdenden Bindungen einzugehen.
Sozietätsverbot zur Sicherstellung der anwaltlichen Verschwiegenheit unangemessen
Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass ein grundrechtseinschränkendes Gesetz geeignet, erforderlich und angemessen sein muss, um den vom Gesetzgeber erstrebten Zweck zu erreichen. In diesem Sinne erforderlich ist ein Gesetz, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können. Angemessen ist das Gesetz, wenn bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs, dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird. Für die Sicherstellung der anwaltlichen Verschwiegenheit ist das Sozietätsverbot mit Ärzten und Apothekern in weiten Bereichen nicht erforderlich und im Übrigen unangemessen.
Sozietätsverbot bei nicht ausreichend gesicherter Verschwiegenheit grundsätzlich zulässig
Die Verpflichtung der Rechtsanwälte zur Verschwiegenheit nach § 43 a Abs. 2 BRAO ist nach Maßgabe des § 203 Abs. 1 Nr. 3 Strafgesetzbuch (StGB) strafbewehrt. Der Gesetzgeber ist grundsätzlich nicht gehindert, solche Berufe von der gemeinschaftlichen Ausübung auszuschließen, für die ein ausreichendes Maß an Verschwiegenheit nicht gesichert erscheint. Diesem Ansatz folgend hat er solche Defizite nur bei den in § 59 a Abs. 1 BRAO genannten Berufen nicht zugrunde gelegt und sie daher als sozietätsfähig zugelassen.
Ärzte und Apotheker sind ebenso wie Rechtsanwälten zur beruflichen Verschwiegenheit verpflichtet
Der hiernach erfolgte Ausschluss von Ärzten und Apothekern aus dem Kreis der sozietätsfähigen Berufe ist jedoch regelmäßig schon nicht erforderlich, um das Geheimhaltungsinteresse der Mandanten zu sichern. Eine Weitergabe mandatsrelevanter Informationen an die nichtanwaltlichen Partner wird bei Beauftragung einer interprofessionellen Sozietät regelmäßig erwartet und stellt daher keine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht dar. Auch zum Schutz der anwaltlichen Verschwiegenheit gegenüber außenstehenden Dritten ist ein solches Sozietätsverbot zumindest in weiten Bereichen nicht erforderlich. Denn Ärzte sowie Apotheker sind gleich den Rechtsanwälten zur beruflichen Verschwiegenheit verpflichtet. Die Pflicht gilt umfassend für alle nicht allgemein bekannten Tatsachen, die dem Berufsträger in seiner Eigenschaft als Arzt beziehungsweise Apotheker anvertraut oder sonst bekannt werden; sie ist nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbewehrt.
Für qualifizierte Beratung kann Zusammenschluss mit anderen Berufsgruppen erforderlich sein
Soweit die Kenntnisse nicht bei der Berufsausübung als Arzt oder Apotheker anvertraut oder sonst bekannt geworden sind, besteht für den nichtanwaltlichen Partner zwar keine Verschwiegenheitspflicht. Gleichwohl ist das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nicht mehr gewahrt, wenn das Sozietätsverbot allein darauf gestützt wird. Denn für eine qualifizierte Beratung, aber auch für den wirtschaftlichen Erfolg einer Anwaltskanzlei kann es entscheidend sein, anwaltliche Hilfe in spezialisierten Bereichen anzubieten und sich dauerhaft mit Angehörigen hierfür geeigneter Berufe zusammenzuschließen. Die hiermit verbundene zusätzliche Gefährdung der Verschwiegenheit ist gering und kann den erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit im Ergebnis nicht rechtfertigen. Insbesondere hat der Gesetzgeber bei den in § 59 a Abs. 1 BRAO genannten Berufen keine zusätzlichen Gefährdungen zugrunde gelegt und sie daher für eine gemeinsame Berufsausübung mit Rechtsanwälten zugelassen. Auch bei der Zusammenarbeit mit hiernach als sozietätsfähig anerkannten Berufen sind aber Situationen nicht ausgeschlossen, in denen der berufsfremde Partner von Umständen Kenntnis erlangt, die zwar der anwaltlichen Verschwiegenheit, nicht aber seiner eigenen beruflichen Verpflichtung zur Verschwiegenheit unterfallen. Hinzu kommt, dass nach § 30 Satz 1 und § 33 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) zu gewährleisten ist, dass auch die berufsfremden Partner und die Partnerschaftsgesellschaft das anwaltliche Berufsrecht beachten.
Anwaltliches Zeugnisverweigerungsrecht steht Partnerschaft von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern nicht entgegen
Zur Sicherung der anwaltlichen Zeugnisverweigerungsrechte ist ein Verbot einer Partnerschaft von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern ebenfalls weitgehend nicht erforderlich, zumindest aber unangemessen. Nach den einschlägigen Verfahrensordnungen können auch Ärzte und Apotheker ein eigenes Recht zur Zeugnisverweigerung beanspruchen. Sollten sich in einzelnen Fällen Situationen ergeben, in denen das Zeugnisverweigerungsrecht des nichtanwaltlichen Partners hinter dem des Rechtsanwalts zurückbleibt, so ist die mit dem reduzierten Schutz der Verschwiegenheit verbundene Gefahr gering und unterscheidet sich wiederum nicht von der, die der Gesetzgeber für die von ihm bereits als sozietätsfähig zugelassenen Berufe hinnimmt.
Untersagung der Beschlagnahme knüpft an Zeugnisverweigerungsrecht an und ist auch auf Ärzte und Apotheker anwendbar
Auch die Sicherung der strafprozessualen Beschlagnahmeverbote, die ebenfalls dem Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Mandant und Rechtsanwalt dienen, macht ein Verbot der Partnerschaft mit Ärzten und Apothekern nicht erforderlich. Der Schutz dieser Berufsgruppen vor einer Beschlagnahme bleibt nicht hinter dem Schutz zurück, den Rechtsanwälte beanspruchen können. Vielmehr knüpft § 97 StPO die Untersagung der Beschlagnahme an das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b StPO und ist daher sowohl auf Rechtsanwälte als auch auf Ärzte und Apotheker anwendbar.
Gesetzgeber nimmt begrenzte Schwächung der Geheimhaltungsinteressen der Mandanten zugunsten der Berufsfreiheit hin
Bei Ermittlungsmaßnahmen im repressiven Bereich der Strafverfolgung und im präventiven Bereich der Gefahrenabwehr sowie bei der Straftatenverhütung sind zwar Unterschiede im Schutzniveau zu verzeichnen, die das Geheimhaltungsinteresse der Mandanten berühren können. Insbesondere gilt nach § 160 a Abs. 1 StPO zugunsten von Rechtsanwälten ein absolutes, zugunsten von Ärzten und Apothekern nach § 160 a Abs. 2 in Verbindung mit § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO aber nur ein relatives Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot. Jedoch unterfallen auch die in § 59 a Abs. 1 BRAO genannten sozietätsfähigen Berufe nur dem relativen Schutz; insoweit nimmt der Gesetzgeber eine begrenzte Schwächung der Geheimhaltungsinteressen der Mandanten zugunsten der Berufsfreiheit hin.
Zur Sicherung der anwaltlichen Unabhängigkeit mag sich ein Sozietätsverbot, das Partnerschaftsgesellschaften zwischen Rechtsanwälten und Ärzten oder Apothekern entgegensteht, noch als erforderlich darstellen; auch hier ist aber jedenfalls die Angemessenheit nicht mehr gewahrt.
Bei der Zusammenarbeit mehrerer Berufsträger lassen sich Beeinträchtigungen der beruflichen Unabhängigkeit der einzelnen Partner etwa wegen der Rücksichtnahme auf die Belange anderer zur Vermeidung oder Lösung von Interessenskonflikten oder auch aufgrund entstehender Machtstrukturen nie völlig ausschließen. Die Annahme des Gesetzgebers, insoweit gelte es einer Gefährdung der Unabhängigkeit zu begegnen, ist daher plausibel und nicht zu beanstanden.
Zusammenarbeit von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern bietet kein entscheidend erhöhtes Gefährdungspotential für anwaltliche Unabhängigkeit
Im Vergleich zu den nach § 59 a BRAO zulässigen Konstellationen der gemeinsamen Berufsausübung bietet die interprofessionelle Zusammenarbeit von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern jedoch kein entscheidend erhöhtes Gefährdungspotential für die anwaltliche Unabhängigkeit, so dass deren Verbot sich als unangemessen erweist. Zwar fehlt es hier im Unterschied zu den sozietätsfähigen Berufen an der Gemeinsamkeit einer im weitesten Sinne wirtschaftlichen oder wirtschaftsrechtlichen Beratung; dies lässt jedoch keinen plausiblen Grund für einen gesteigerten Schutzbedarf zugunsten der anwaltlichen Unabhängigkeit erkennen. Im Gegenteil spricht das grundlegend andere Tätigkeitsfeld der Ärzte und Apotheker eher dafür, dass diese schon wegen ihrer beruflichen Distanz zu rechtlichen Fragestellungen die Unabhängigkeit des anwaltlichen Partners stärker respektieren werden.
Partnerschaftsgesellschaft befreit jeweiligen Berufsträger nicht von berufsrechtlichen Pflichten
Eine stärkere Gefährdung der Unabhängigkeit folgt auch nicht aus der hier in Frage stehenden Organisationsform. Die Berufsausübung in einer Partnerschaftsgesellschaft befreit den jeweiligen Berufsträger nicht von seinen berufsrechtlichen Pflichten (vgl. § 6 Abs. 1 PartGG). Zudem kann die Geschäftsführungsbefugnis des einzelnen Partners insoweit nicht beschränkt werden, als seine Berufsausübung betroffen ist (vgl. § 6 Abs. 2 PartGG). Darüber hinaus gelten - unabhängig von der Gesellschaftsform - die bereits genannten Sicherungen der Berufsordnung für Rechtsanwälte.
Auch das Ziel, Interessenkonflikte zu vermeiden, rechtfertigt nicht ein Sozietätsverbot, das Partnerschaftsgesellschaften zwischen Rechtsanwälten und Ärzten oder Apothekern hindert.
Nichtanwaltliche Partner können vertraglich an Einhaltung des anwaltlichen Berufsrechts gebunden werden
Gemäß § 43 a Abs. 4 BRAO und nach näherer Maßgabe des § 3 BORA ist es Rechtsanwälten untersagt, widerstreitende Interessen zu vertreten. Strafrechtlich abgesichert ist dieses Verbot in wesentlichen Teilen durch die Strafbarkeit des Parteiverrats nach § 356 StGB. Entsprechende Bestimmungen finden sich in den Berufsordnungen für Ärzte und Apotheker nicht; diese können auch nicht Täter des § 356 StGB sein. Der Verzicht auf vergleichbare Regelungen erscheint nachvollziehbar, weil Ärzte und Apotheker typischerweise nicht im Interesse ihrer Patienten in ein Gegnerverhältnis zu Dritten geraten. Jedoch sind auch nicht alle der in § 59 a BRAO genannten sozietätsfähigen Berufe zu geradliniger Interessenvertretung gemäß § 43 a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA verpflichtet. Zudem können sich allenfalls noch Patentanwälte - sowie in dem sehr eingeschränkten Rahmen des § 392 AO auch Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer - wegen Parteiverrats strafbar machen. Daher bleibt regelmäßig nur der Weg, den anwaltlichen Partner gemäß § 30 Satz 1 BORA zu verpflichten, diese nichtanwaltlichen Partner vertraglich an die Einhaltung des anwaltlichen Berufsrechts zu binden. Hinzu kommt die Verpflichtung des Rechtsanwalts, gemäß § 33 Abs. 2 BORA zu verhindern, dass durch sozietätsweit wirkende Maßnahmen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen missachtet wird.
Keine spezifisch erhöhte Gefährdung der anwaltlichen Geradlinigkeit durch Zusammenschluss mit Ärzten und Apothekern
In dem damit gezogenen engen Rahmen hat es auch der Gesetzgeber bei Zulassung der sozietätsfähigen Berufe durch § 59 a Abs. 1 BRAO hingenommen, dass Gefährdungen für die Geradlinigkeit anwaltlicher Tätigkeit durch interprofessionelle Zusammenarbeit nicht völlig auszuschließen sind. Da sich wiederum zeigt, dass bei einer Partnerschaft mit Ärzten und Apothekern im Vergleich zu Angehörigen sozietätsfähiger Berufe keine spezifisch erhöhten Gefährdungen der anwaltlichen Geradlinigkeit auszumachen sind, erweist sich das Sozietätsverbot unter diesem Gesichtspunkt ebenfalls als unangemessener Eingriff in deren Berufsfreiheit.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 03.02.2016
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
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