15.11.2024
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Dokument-Nr. 15071

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Beschluss19.12.2012Bundesverfassungsgericht1 BvL 18/11
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • JuS 2013, 856Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS), Jahrgang: 2013, Seite: 856
  • NJW 2013, 1418Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2013, Seite: 1418
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Bundesverfassungsgericht Beschluss19.12.2012

Verzin­sungs­pflicht für Kartell­geldbußen verfas­sungsgemäßVerzin­sungs­pflicht für Kartell­geldbußen soll Unternehmen von rechtsmiss­bräuchlichen Einspruchs­erhebungen zur Erzielung finanzieller Vorteile abhalten

Die gesetzlich angeordnete Verzinsung von Kartell­geldbußen, die durch einen Bescheid der Kartellbehörde festgesetzt worden sind, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht. Das Oberlan­des­gericht Düsseldorf hatte die entsprechende Regelung aus dem Gesetz gegen Wettbewerbs­beschränkungen zur verfassungs­rechtlichen Prüfung vorgelegt. Diese verstößt weder gegen den Gleichheitssatz noch gegen die Garantie effektiven Rechtsschutzes.

Gemäß § 81 Abs. 6 des Gesetzes gegen Wettbe­wer­bs­be­schrän­kungen (GWB) sind seit 2005 Geldbußen wegen Kartell­ord­nungs­wid­rig­keiten in bestimmten Fällen zu verzinsen. Die Zinsver­pflichtung betrifft nur Geldbußen, die gegen juristische Personen oder Perso­nen­ver­ei­ni­gungen in einem Bußgeldbescheid der Kartellbehörde festgesetzt worden sind. Der jährliche Zinssatz beträgt - entsprechend der Regelung des BGB für Verzugszinsen - fünf Prozentpunkte über dem jeweils gültigen Basiszinssatz (derzeit: 4,87 % p. a.).

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde zur Begründung der Vorschrift unter anderem ausgeführt, dass Unternehmen in der Praxis allein dadurch einen erheblichen Zinsgewinn erzielten, dass sie gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einlegten und diesen kurz vor der gerichtlichen Entscheidung wieder zurücknähmen.

Sachverhalt

Die Antragstellerin des Ausgangs­ver­fahrens betreibt ein Versi­che­rungs­un­ter­nehmen in der Rechtsform einer Aktien­ge­sell­schaft. Gegen einen Bußgeldbescheid des Bundes­kar­tellamts vom 17. März 2005 über insgesamt 6,4 Mio. Euro wegen vorsätzlicher Verstöße gegen das Kartellverbot (§ 1 GWB) legte sie Einspruch ein. Bezogen auf einen Bußgeldbetrag von ,4 Mio. Euro wurde das Verfahren vor Gericht teilweise eingestellt. Im Übrigen nahm die Antragstellerin später ihren Einspruch am 15. Juli 2009 zurück und beglich die verbliebene Geldbuße in Höhe von 6 Mio. Euro.

Oberlan­des­gericht legt BVerfG Frage zur Verfas­sungs­mä­ßigkeit der Verzinsung von Kartell­geldbußen vor

Im Jahr 2011 forderte das Bundes­kar­tellamt die Antragstellerin auf, weitere rund 1,77 Mio. Euro als Zinsen auf die Geldbuße zu zahlen. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin an das Oberlan­des­gericht Düsseldorf. Dieses hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage nach der Verfas­sungs­mä­ßigkeit des § 81 Abs. 6 GWB zur Entscheidung vorgelegt.

BVerfG verneint Verstoß gegen allgemeinen Gleichheitssatz

Die zur Prüfung vorgelegte Vorschrift ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie verstößt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).

Gefahr rechts­miss­bräuch­licher Einspruch­s­er­hebung zur Erzielung finanzieller Vorteile bei juristischen Personen oder Perso­nen­ver­ei­ni­gungen besonders groß

Die Beschränkung auf Kartell­geldbußen gegen juristische Personen oder Perso­nen­ver­ei­ni­gungen lässt sich auf einen hinreichenden Sachgrund stützen. Der Gesetzgeber hält die Gefahr, dass Einsprüche zur Erzielung finanzieller Vorteile durch Verfah­rens­ver­zö­gerung rechts­miss­bräuchlich eingelegt werden, in dieser Fallgruppe für besonders groß und will ihr entgegenwirken. Diese Einschätzung ist nachvollziehbar und bewegt sich im Rahmen seines Progno­se­spielraums. Der Gesetzgeber ist nicht gezwungen, das optimale Abgren­zungs­kri­terium für die Erreichung seiner Ziele zu wählen, sondern kann sich darauf beschränken, ein Kriterium zu wählen, das zwar die wesentlichen, nicht aber alle denkbaren Fälle erfasst.

Anzahl der Kartell­geldbußen gegen natürliche Personen mit Unter­neh­me­rei­gen­schaft eher unerheblich

Für natürliche Personen mit Unter­neh­mens­ei­gen­schaft besteht keine Verzin­sungs­pflicht. Eine beachtliche Gefahr rechts­miss­bräuch­licher Einspruch­s­er­he­bungen lässt sich bei dieser Personengruppe jedoch schon deshalb nicht feststellen, weil Kartell­geldbußen gegen sie in nur unerheblicher Zahl verhängt werden. Zudem bleibt deren Höhe typischerweise deutlich hinter den Beträgen zurück, die gegen juristische Personen verhängt werden. Dies vermindert den Anreiz, einen Einspruch zu erheben, allein um die Bestandskraft des Bußgeld­be­scheids zu verzögern.

Höhe der verhängten Geldbußen gegen natürliche Personen ohne Unter­neh­me­rei­gen­schaft typischerweise eher gering

Auch für natürliche Personen ohne Unter­neh­mens­ei­gen­schaft, gegen die sich Kartell­geldbußen aufgrund der ordnungs­wid­rig­kei­ten­recht­lichen Organ- und Vertre­ter­haftung ebenfalls richten können, besteht keine Verzin­sungs­pflicht. Die Zahl der Bußgeld­be­scheide gegen diese Personengruppe erreicht zwar eine Größenordnung, die der gegen juristische Personen nahekommt. Jedoch ist die Höhe der verhängten Geldbußen auch hier typischerweise geringer. Dies ist zum einen dadurch zu erklären, dass der erweiterte, über 1 Mio. Euro hinausreichende Bußgeldrahmen auf natürliche Personen ohne Unter­neh­mens­ei­gen­schaft keine Anwendung findet. Zum anderen können Kartell­geldbußen ihrer Höhe nach auch dazu dienen, den wirtschaft­lichen Vorteil abzuschöpfen, der sich aber regelmäßig nicht im Vermögen des handelnden Organs oder Vertreters niederschlägt sondern in dem des repräsentierten Unternehmens.

Fehlende Verzin­sungs­pflicht für natürliche Personen mit bzw. ohne Unter­neh­mens­ei­gen­schaft nicht bedenklich

Es begegnet daher keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken, dass der Gesetzgeber von einer Erstreckung der Verzin­sungs­pflicht auf natürliche Personen mit bzw. ohne Unter­neh­mens­ei­gen­schaft abgesehen hat.

Zinsver­pflichtung nur für Kartell­geldbußen verstößt nicht gegen allgemeinen Gleichheitssatz

Auch aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber nur für Kartell­geldbußen - nicht aber in anderen Rechtsgebieten - eine Zinsver­pflichtung geschaffen hat, folgt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Es fehlt insoweit bereits an vergleichbaren Sachverhalten, deren unter­schiedliche Behandlung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG geprüft werden könnte, weil Ordnungs­wid­rig­keiten dem jeweiligen Fachrecht zugeordnet sind.

Entscheidung des Gesetzgebers nicht willkürlich

Die Vorschrift ist schließlich nicht deshalb mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar, weil sie die Verzinsung nicht auch auf solche Geldbußen erstreckt, die durch das Kartellgericht festgesetzt werden. Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist angesichts des Ziels, der rechts­miss­bräuch­lichen Einlegung von Einsprüchen zur Erlangung finanzieller Vorteile entge­gen­zu­wirken, frei von Willkür, wenn nicht sogar naheliegend. Führt das betroffene Unternehmen eine gerichtliche Sachent­scheidung herbei, so hat es Kartellbehörde und Kartellgericht nicht zweckwidrig nur zur Verfah­rens­ver­zö­gerung belastet, sondern die staatlichen Institutionen entsprechend ihrer Funktion tatsächlich in Anspruch genommen.

Kein Verstoß gegen Garantie effektiven Rechtsschutzes

Die Pflicht zur Verzinsung von Kartell­geldbußen verstößt ferner nicht gegen die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG).

Unternehmen sollen durch Verzin­sungs­pflicht von Einsprüchen gegen Kartell­buß­geld­be­scheide abgehalten werden

Mit der Verzin­sungs­pflicht für Kartell­geldbußen verfolgt der Gesetzgeber zwar das Ziel, Unternehmen von Einsprüchen gegen Kartell­buß­geld­be­scheide abzuhalten. Er zielt damit jedoch nur auf Einsprüche, die allein zur Erlangung finanzieller Vorteile eingelegt und noch vor einer gerichtlichen Entscheidung zurückgenommen werden sollen. Unternehmen, die auf diese Weise lediglich finanzielle Vorteile durch die verspätete Zahlung der gegen sie festgesetzten Geldbuße erzielen wollen, erstreben gerade keine gerichtliche Prüfung und Entscheidung über die ihnen zur Last gelegten Ordnungs­wid­rig­keiten. Eine Inanspruchnahme der Gerichte zu diesem Zweck steht außerhalb des Schutzes von Art. 19 Abs. 4 GG.

Die Garantie effektiven Rechtsschutzes wird jedoch insoweit berührt, als sich - bei zunächst ernsthaft mit dem Ziel einer gerichtlichen Sachent­scheidung eingelegtem Einspruch - für das betroffene Unternehmen nachträglich ein berechtigtes Interesse an der Rücknahme ergeben kann.

Mit Einspruchs­rü­cknahme wird angefochtener Bußgeldbescheid bestandskräftig und festgesetzte Geldbuße ist rückwirkend zu verzinsen

Ein solches Interesse kann insbesondere dann bestehen, wenn sich im Lauf des gerichtlichen Verfahrens die Gefahr einer strengeren Ahndung der Ordnungs­wid­rigkeit manifestiert. Der Einspruchs­führer muss mit einer solchen Verböserung grundsätzlich rechnen, weil das Kartellgericht bei seiner Entscheidung nicht an den Bußgeldbescheid gebunden ist. Da der angefochtene Bußgeldbescheid mit der Einspruchsrücknahme bestandskräftig wird, ist die festgesetzte Geldbuße rückwirkend zu verzinsen. Die Überlegung, dass einer sich abzeichnenden Verböserung nur um den Preis einer Verzinsung der angegriffenen Geldbuße zu entgehen ist, könnte einzelnen Betroffenen die Inanspruchnahme von Rechtsschutz wirtschaftlich derart risikobehaftet erscheinen lassen, dass sie von der Einlegung des Einspruchs von Anfang an absehen.

Größenordnung der möglicherweise anfallenden Zinsen für Betroffene im Voraus hinreichend überschaubar

Eine unzumutbare rechts­schutz­hemmende Wirkung ist damit jedoch nicht verbunden. Die Betroffenen können die Größenordnung der möglicherweise anfallenden Zinsen hinreichend im Voraus überschauen. Die Zinsen erreichen im Regelfall auch keine Größenordnung, die bei vernünftiger Betrachtung den Rechtsweg für die betroffenen Unternehmen aus wirtschaft­lichen Gründen verstellen oder auch nur spürbar erschweren könnte. Bereits der - am Marktzins orientierte - Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz steht der Annahme einer rechts­schutz­hem­menden Wirkung entgegen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Betroffenen während der gesamten Dauer des gerichtlichen Verfahrens entweder Zinsen für Kredite sparen oder - durch einen Einsatz der Gelder im operativen oder investiven Geschäfts­bereich - Einnahmen erzielen können.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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