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- jM 2014, 159 (Bettina Karl)juris - Die Monatszeitschrift (jM), Jahrgang: 2014, Seite: 159, Entscheidungsbesprechung von Bettina Karl
- Hartz IV-Anspruch gilt auch für EU-Bürger aus RumänienLandessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil28.11.2013, L 6 AS 130/13
- Arbeitsuchende Migranten haben Anspruch auf "Hartz IV"-LeistungenLandessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil10.10.2013, L 19 AS 129/13
- Arbeitsuchende Unionsbürger haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld IILandessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss15.11.2013, L 15 AS 365/13 B ER
Bundessozialgericht Beschluss12.12.2013
Hartz IV: Bundessozialgericht legt EuGH Fragen zum Gleichbehandlungsgebot für EU-Bürger zur Vorabentscheidung vorSteht arbeitsuchenden EU-Bürgern in Deutschland ein Anspruch auf Hartz IV zu?
Das Bundessozialgericht muss darüber entscheiden, ob EU-Bürgern bei einem Aufenthalt zur Arbeitssuche in Deutschland ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zusteht. Das Bundessozialgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zum Gleichbehandlungsgebot für EU-Bürger zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Die Kläger des zugrunde liegenden Falls sind schwedische Staatsangehörige. Die 1966 in Bosnien geborene Klägerin zu 1) reiste im Juni 2010 erneut mit ihren Kindern, der im Mai 1994 geborenen Klägerin zu 2) und den in den Jahren 1998 und 1999 geborenen Klägern zu 3) und 4), in die Bundesrepublik ein. Sämtliche Kinder sind in Deutschland geboren. Den Klägern wurde am 1. Juli 2010 eine Bescheinigung nach § 5 FreizügG/EU erteilt. Nach ihrer Einreise bezog die Klägerin zu 1) Kindergeld für die Kläger zu 2) bis 4). Die Klägerinnen zu 1) und 2) waren seit Juni 2010 in kürzeren Beschäftigungen bzw. Arbeitsgelegenheiten von weniger als einem Jahr tätig, jedoch nicht mehr in der Zeit ab Mai 2011. Im Übrigen bezogen die Kläger SGB II-Leistungen, zuletzt durch Bewilligung des beklagten Jobcenters für den Zeitraum vom 1. Dezember 2011 bis 31. Mai 2012. Diese Bewilligung hob das Jobcenter mit den streitigen Bescheiden für den Zeitraum vom 1. bis 31. Mai 2012 für die Kläger in vollem Umfang unter Hinweis auf den von der Bundesrepublik erklärten Vorbehalt zum Europäischen Fürsorgeabkommen auf.
SG bejaht Anspruch auf Sozialleistungen
Das Sozialgericht Berlin hat den Aufhebungsbescheid aufgehoben, weil eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen nicht eingetreten sei. Die Kläger hätten auch im Mai 2012 Anspruch auf Arbeitslosengeld II bzw. auf Sozialgeld gehabt. Zwar vermittele bei den Klägerinnen zu 1) und 2) - nach Beendigung der Beschäftigungen - wieder ausschließlich die Arbeitssuche das Aufenthaltsrecht, so auch im Mai 2012. Der Ausschlussgrund des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II greife jedoch nicht, weil den Artikeln 2, 3, 4, 70 VO (EG) 883/2004 als jüngerem, höherrangigem und speziellerem Recht wegen § 30 Abs. 2 SGB I Vorrang zukomme. Artikel 4 VO (EG) 883/2004 untersage eine Ungleichbehandlung von Unionsbürgern gegenüber den eigenen Staatsangehörigen und sei auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen anwendbar.
Beklagte verneint Verstoß gegen Europäisches Fürsorgeabkommen
Mit seiner Revision macht das Jobcenter geltend, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht gegen Gemeinschaftsrecht verstoße. Bei den SGB II-Regelbedarfen handele es sich um Sozialhilfeleistungen im Sinne des Artikels 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG. Diese hätten nicht den Zweck, den Arbeitsmarktzugang zu erleichtern, sondern dienten der Existenzsicherung. Dies belege die in § 1 Abs. 3 SGB II vorgenommene Unterscheidung zwischen Leistungen zur Beendigung der Verringerung der Hilfebedürftigkeit, insbesondere durch Eingliederung in Arbeit und solchen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt sehe das SGB II für Arbeitsuchende vielmehr in den §§ 16 ff SGB II weitere Leistungen vor, die gesondert erbracht würden. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstoße nicht gegen die seit dem 1. Mai 2010 anwendbare VO (EG) Nr. 883/2004. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstoße auch nicht gegen das Europäische Fürsorgeabkommen, weil der von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland erklärte Vorbehalt wirksam sei. Der Vorbehalt stehe auch mit Verfassungsrecht in Einklang. Wegen der fehlenden Beteiligung mehrerer Völkerrechtssubjekte könne der einseitige Vorbehalt der Bundesregierung nicht als Vertrag im Sinne des Artikel 59 Abs. 2 Satz 1 GG angesehen werden.
BSG legt EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor
Das Bundessozialgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Gilt das Gleichbehandlungsgebot des Artikel 4 VO (EG) 883/2004 - mit Ausnahme des Exportausschlusses des Artikel 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 - auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Artikel 70 Abs. 1, 2 VO (EG) 883/2004?
2. Falls 1) bejaht wird: Sind - ggf. in welchem Umfang - Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots des Artikel 4 VO (EG) 883/2004 durch Bestimmungen in nationalen Rechtsvorschriften in Umsetzung des Artikel 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG möglich, nach denen der Zugang zu diesen Leistungen ausnahmslos nicht besteht, wenn sich ein Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers in dem anderen Mitgliedstaat allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt?
3. Steht Artikel 45 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Artikel 18 AEUV einer nationalen Bestimmung entgegen, die Unionsbürgern, die sich als Arbeitsuchende auf die Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts berufen können, eine Sozialleistung, die der Existenzsicherung dient und gleichzeitig auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert, ausnahmslos für die Zeit eines Aufenthaltsrechts nur zur Arbeitsuche und unabhängig von der Verbindung mit dem Aufnahmestaat verweigert?
Die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union erfolgt auf der Grundlage von Artikel 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der den Mitgliedstaaten eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Unionsrechts ermöglichen soll. Das Bundessozialgericht ist als letztinstanzliches Gericht der Sozialgerichtsbarkeit nach Artikel 267 Abs. 3 AEUV verpflichtet, dem EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung einer Norm des Unionsrechts vorzulegen, wenn es dies zur Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits für erforderlich hält.
BSG verneint einen sich aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen ergebenden Anspruch auf SGB II-Leistungen
Das Gericht geht nach Vorprüfung im Rahmen des Vorlageverfahrens davon aus, dass sich im streitigen Monat Mai 2012 ein Anspruch der Kläger auf SGB II-Leistungen nicht mehr bereits aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen ergab und der von der Bundesregierung am 19. Dezember 2011 erklärte Vorbehalt wirksam ist. Von der richtigen Auslegung der in den Vorlagefragen bezeichneten Vorschriften des Unionsrechts hängt es ab, ob die deutsche Ausschlussklausel für EU-Bürger wirksam ist. Verstößt sie gegen EU-Recht, hatten die Kläger im Monat Mai 2012 weiterhin einen Anspruch auf SGB II-Leistungen und der Aufhebungsbescheid wäre rechtswidrig.
Ausschluss würde übermäßige Belastung des Leistung gewährenden Mitgliedstaates vermeiden
Die Ausschlussklausel des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II differenziert nach der Staatsangehörigkeit, weil sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts arbeitsuchenden EU-Bürgern anderer Mitgliedstaaten für die gesamte Dauer ihres Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche uneingeschränkt verweigert, während deutsche Staatsangehörige diese beanspruchen können. Die Frage, ob diese Ungleichbehandlung möglich ist, hängt zum einen von der Auslegung der in Artikel 4 der Verordnung (EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der Sicherheit enthaltenen Verpflichtung zur Gleichbehandlung auf dem Gebiet des Sozialrechts sowie der Tragweite dieses Gleichbehandlungsgrundsatzes ab. Die weitere, an den EuGH gerichtete Vorlagefrage betrifft das Verhältnis dieses Gleichbehandlungsgrundsatzes zu der Beschränkung des Artikels 24 Abs. 2 der FreizügigkeitsRL 2004/38/EG. Diese soll es den Mitgliedstaaten ermöglichen, die Erbringung von Sozialhilfeleistungen an arbeitsuchende Unionsbürger zur Vermeidung einer übermäßigen Belastung des gewährenden Mitgliedstaats auszuschließen. Die dritte Frage berücksichtigt die EuGH-Rechtsprechung zu Sozialleistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern und nach dem Recht der Mitgliedstaaten von Umständen abhängig gemacht werden können, die für eine tatsächliche Verbindung zwischen der betroffenen Person und dem betroffenen räumlichen Arbeitsmarkt repräsentativ sind.
Zu der Vereinbarkeit der Ausschlussklausel mit EU-Recht liegen bereits zahlreiche Entscheidungen der Sozialgerichte und Landessozialgerichte, insbesondere in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, vor.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 17.12.2013
Quelle: Bundessozialgericht/ra-online
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