18.10.2024
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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Beschluss15.11.2013

Arbeitsuchende Unionsbürger haben keinen Anspruch auf Arbeits­lo­sengeld IILeistungs­aus­schluss verstößt nicht gegen europa­recht­liches Dis­kriminierungs­verbot

Das Landes­so­zi­al­gericht Niedersachsen-Bremen hat in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entschieden, dass Unionsbürger, die sich zum Zweck der Arbeitsuche in Deutschland aufhalten, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebens­un­terhalts nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) haben.

Der Entscheidung lag ein Fall einer rumänischen Familie mit drei minderjährigen Kindern zugrunde, die Rumänien im Jahr 2010 verlassen und sich zunächst in Frankreich aufgehalten hatte, um sich im Sommer 2012 in Bremen - zunächst in einer Notunterkunft - niederzulassen. Die Eltern waren in der Folgezeit weder als Arbeitnehmer noch als Selbständige erwerbstätig. Ihr im November 2012 beim Jobcenter Bremen gestellter Antrag auf laufende Leistungen zur Sicherung des Lebens­un­terhalts blieb zunächst erfolglos, weil sich das Jobcenter auf den im SGB II vorgesehenen Leistungsausschluss für arbeitsuchende Unionsbürger berief.

SG Bremen: Leistungs­aus­schluss verstößt gegen europa­recht­liches Diskri­mi­nie­rungs­verbot

Die Familie stellte darauf beim Sozialgericht Bremen einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, dem das Sozialgericht stattgab. Das Sozialgericht war der Auffassung, dass der Leistungs­aus­schluss gegen ein europa­recht­liches Diskriminierungsverbot verstößt, und verpflichtete das Jobcenter, der Familie vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebens­un­terhalts für einen Zeitraum von sechs Monaten zu gewähren.

Rumänische Familie hat keinen Anspruch auf Arbeits­lo­sengeld II

Diese Entscheidung hat das Landes­so­zi­al­gericht Niedersachsen-Bremen aufgehoben. Es hat die Bedenken gegen die Vereinbarkeit des Leistungs­aus­schlusses (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II) für arbeitsuchende Unionsbürger mit europäischem Recht nicht geteilt. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die rumänische Familie keinen Anspruch auf Arbeits­lo­sengeld II hat.

LSG verneint Verstoß gegen Diskri­mi­nie­rungs­verbot

Das Gericht stellte in seiner Entscheidung maßgeblich darauf ab, dass der deutsche Gesetzgeber mit der in Rede stehenden Vorschrift von einer im europäischen Recht, der so genannten Unions­bür­ger­richtlinie, vorgesehenen Ermächtigung Gebrauch gemacht hat. Diese erlaubt es den Mitglieds­s­taaten, Unionsbürgern, die nicht Arbeitnehmer oder Selbständige sind, unter bestimmten Voraussetzungen keine "Sozia­l­hil­fe­leis­tungen" zu gewähren. Nach Auffassung des Landes­so­zi­al­ge­richts handelt es sich bei dem Arbeits­lo­sengeld II um Sozialhilfe im Sinne dieser Richtlinie, da es dazu bestimmt ist, das verfas­sungs­rechtlich verbürgte Existenzminimum eines Menschen sicherzustellen. Einen Verstoß gegen ein in einer europäischen Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vorgesehenes Diskri­mi­nie­rungs­verbot hat das Gericht im Ergebnis nicht gesehen. Allerdings hat er für den Personenkreis der arbeitsuchenden Unionsbürger, die trotz bestehender Notlage keine laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebens­un­terhalts vom Jobcenter erhalten können, im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschen­würdigen Daseins einen Anspruch auf eine Mindest­si­cherung angenommen. Dieser richtet sich allerdings gegen den Sozia­l­hil­fe­träger, der die nach den Umständen des Einzelfalls unabweisbar gebotenen Leistungen zu erbringen hat. Dabei kommt bei möglicher und zumutbarer Rückkehr in das Heimatland in der Regel nur die Übernahme der Kosten der Rückreise und des bis dahin erforderlichen Aufenthalts in Betracht (Überbrü­ckungs­leis­tungen). Ist die Rückkehr im Einzelfall vorerst nicht möglich, sind längerfristige Leistungen zu erbringen, die das verfas­sungs­rechtlich gebotene Existenzminimum sichern.

LSG Niedersachsen-Bremen stellt sich gegen Entscheidung des LSG Nordrein-Westfalen

Das Landes­so­zi­al­gericht Niedersachsen-Bremen ist mit dieser Entscheidung nicht dem Urteil des Landes­so­zi­al­ge­richts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 gefolgt. Das Landes­so­zi­al­gericht Nordrhein-Westfalen war der Auffassung, dass Unionsbürger, die keine begründete Aussicht haben, in absehbarer Zeit eingestellt zu werden, kein Freizü­gig­keitsrecht als arbeitsuchende Unionsbürger haben und damit auch nicht dem Leistungs­aus­schluss für diesen Personenkreis unterliegen. Dies hätte zur Folge, dass die Jobcenter ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebens­un­terhalts zu gewähren haben. Nach Auffassung des Landes­so­zi­al­ge­richts Niedersachsen-Bremen würde dies aber zu dem vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollten Ergebnis führen, dass ausgerechnet die Personen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht oder kaum integrierbar sind, von der gerade zur Vermeidung von so genanntem Sozialtourismus geschaffenen Ausschluss­klausel nicht erfasst werden.

Sozial­ge­setzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954)

Erläuterungen
[...]

§ 7 Leistungs­be­rechtigte (Fassung vom 20.12.2011)

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7 a noch nicht erreicht haben,

2. erwerbsfähig sind,

3. hilfebedürftig sind und

4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungs­be­rechtigte).

Ausgenommen sind

1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeit­neh­me­rinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizü­gig­keits­ge­setzes/EU freizü­gig­keits­be­rechtigt sind, und ihre Familien­an­ge­hörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,

2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufent­haltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familien­an­ge­hörigen,

3. Leistungs­be­rechtigte nach § 1 des Asylbe­wer­ber­leis­tungs­ge­setzes. Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufent­halt­stitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufent­halts­ge­setzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Aufent­halts­rechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) [...]

Quelle: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen/ra-online

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