Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil28.11.2013
Hartz IV-Anspruch gilt auch für EU-Bürger aus RumänienAusnahmsloser Leistungsausschluss für arbeitsuchende EU-Bürger europarechtswidrig
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat den ausnahmslosen Leistungsausschluss für arbeitsuchende EU-Bürger für europarechtswidrig erklärt und einer in Deutschland lebenden Familie mit rumänischer Staatsbürgerschaft Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) zugesprochen.
Die Kläger des zugrunde liegenden Falls, eine rumänische Familie mit einem Kind, wohnen seit 2009 in Gelsenkirchen und lebten zunächst von dem Erlös aus dem Verkauf von Obdachlosenzeitschriften und von Kindergeld.
Jobcenter lehnt Antrag auf Erhalt von Grundsicherungsleistungen ab
Das beklagte Jobcenter lehnte den im November 2010 gestellten Antrag mit der Begründung ab, Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe, könnten keine Grundsicherungsleistungen erhalten.
Leistungsausschluss widerspricht dem zwischen den EU-Staaten vereinbarten gesetzlich wirksamen Gleichbehandlungsgebot
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat diesen im Gesetz enthaltenen Leistungsausschluss (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch II) als europarechtswidrig angesehen. Es hat daher das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen aufgehoben und die beantragten Leistungen zuerkannt. Das Gericht ist - insofern noch weitergehend als frühere Entscheidungen anderer Senate des Landessozialgerichts - der Auffassung, dass der Leistungsausschluss in dieser ausnahmslosen Automatik dem zwischen den EU-Staaten vereinbarten gesetzlich wirksamen Gleichbehandlungsgebot widerspreche (Art. 4 Verordnung EU 883/2004).
Unionsbürgerrichtlinie verlangt Solidarität des aufnehmenden Staates mit anderen Mitgliedstaaten
Soweit die so genannte Unionsbürgerrichtlinie (Richtlinie 2004/38) den Mitgliedstaaten erlaube, einschränkende Regelungen zur Vermeidung von so genanntem Sozialtourismus vorzusehen, sei dies nicht in dieser im Sozialgesetzbuch II enthaltenen unbedingten und umfassenden Form möglich. Die Richtlinie verlange eine bestimmte Solidarität des aufnehmenden Staates Deutschland mit den anderen Mitgliedstaaten. Das erfordere unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit Regelungen, wonach abhängig von den individuellen Umständen Leistungen im Einzelfall jedenfalls ausnahmsweise möglich sein müssen. In dieser Auffassung sieht sich das Gericht durch die neueste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bestätigt (vgl. EuGH Urteil vom 19.09.2013 C-140/12).
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 29.11.2013
Quelle: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen/ra-online