Dokument-Nr. 5073
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Bundessozialgericht Urteil30.10.2007
Bundessozialgericht zum Versicherungsschutz bei einem Unfall auf dem SchulwegUnreife sowie altersspezifische Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen müssen berücksichtigt werden
Schüler sind auf dem Heimweg auch dann gesetzlich unfallversichert, wenn sie nicht die kürzeste Strecke wählen. Das hat das Bundessozialgericht im Falle eines Jungen entschieden, der zwei Bushaltestellen zu spät ausgestiegen war und hatte dadurch einen längeren Fußweg nach Hause hatte. An einer Kreuzung kam es dann zu einem schweren Unfall.
Schüler sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst b SGB VII während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen gesetzlich gegen Unfall versichert; der Versicherungsschutz erstreckt sich nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auf das Zurücklegen des mit dem Schulbesuch zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von der Schule.
Sachverhalt
Der seinerzeit acht Jahre alte Kläger fuhr am 28. November 2003 nach Unterrichtsende von der Volksschule mit dem Schulbus nach Hause. Er stieg an diesem Tag nicht wie sonst an der auf Höhe der elterlichen Wohnung gelegenen Haltestelle, sondern erst zwei Haltestellen weiter aus, wodurch sich der Fußweg nach Hause um ca. 350 Meter verlängerte. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts hatte er sich im Bus mit einer Mitschülerin unterhalten und auf deren Aufforderung: "Du musst jetzt raus" nicht reagiert. Auf dem verlängerten Nachhauseweg wurde der Kläger beim Überqueren der Straße von einem PKW erfasst und schwer verletzt.
Der Beklagte lehnte es ab, den Unfall als versicherten Schulunfall ("Arbeitsunfall" in der Terminologie des Gesetzes) anzuerkennen, weil der Kläger vom direkten Nachhauseweg abgewichen sei. Während das Sozialgericht diese Auffassung geteilt und die Klage abgewiesen hat, hat das Landessozialgericht die Beklagte verurteilt, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen. Es hat insbesondere darauf abgehoben, dass ein achtjähriger Schüler nicht über die nötige Einsichtsfähigkeit und Reife verfüge, um stets den kürzesten Weg nach Hause zu nehmen und an der "richtigen" Haltestelle auszusteigen. Beim Kläger sei die altersgruppentypische Zerstreutheit noch dadurch verstärkt worden, dass er an einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) leide und sich deshalb besonders schlecht konzentrieren könne. Durch das Verpassen der Haltestelle sei deshalb der sachliche Zusammenhang des Weges mit dem Schulbesuch nicht gelöst worden.
Entscheidung des Bundessozialgerichts
Das Bundessozialgericht hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Das Landessozialgericht hat den Verkehrsunfall des Klägers zu Recht als in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten "Arbeitsunfall" angesehen. Zwar führt jede Unterbrechung einer versicherten Tätigkeit (hier: Zurücklegen des Weges nach Hause), die aus eigenwirtschaftlichen, privaten Gründen vorgenommen wird, zu einem Entfallen des Versicherungsschutzes während der Unterbrechung. Es entspricht aber der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, für die Frage, ob der sachliche Zusammenhang durch eine eigenwirtschaftlich bestimmte Handlungstendenz gelöst ist, bei Kindern und Jugendlichen weniger strikte Maßstäbe anzulegen und deren Unreife sowie altersspezifische Verhaltensweisen zu berücksichtigen. Der vom Beklagten geltend gemachte Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ist nicht ersichtlich, weil zwischen erwachsenen ausgereiften Personen und Kindern und Jugendlichen tatsächliche Unterschiede in diesem Sinne bestehen, die die rechtliche Ungleichbehandlung nicht nur rechtfertigen, sondern sogar gebieten.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 30.10.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 35/07 des BSG vom 30.10.2007
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