21.11.2024
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Bundessozialgericht Urteil20.12.2016

Keine Herabsetzung einer Verletztenrente wegen neuer prothetischer Versorgung eines Unfall­ver­letztenMikro­prozessor­gesteuerte Beinprothese bewirkt keine entscheidende Verbesserung der Erwer­bs­fä­higkeit

Eine Verletztenrente der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung kann nicht allein deshalb herabgesetzt werden, weil der durch den Arbeitsunfall Verletzte eine neue mikro­prozessor­gesteuerte Beinprothese erhalten hat. In der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung werden die dauerhaften gesund­heit­lichen Beein­träch­ti­gungen aufgrund eines anerkannten Arbeitsunfalls unter anderem mit einer Verletztenrente ausgeglichen. Die Höhe der Verletztenrente ergibt sich aus den Berech­nungs­faktoren Jahres­arbeits­verdienst und Minderung der Erwer­bs­fä­higkeit (MdE). Die Minderung der Erwer­bs­fä­higkeit wird in der Praxis von medizinischen Sachver­ständigen anhand sogenannter MdE-Tabellen eingeschätzt. Das Bundes­sozial­gericht entschied, dass die zuvor vom Landes­so­zi­al­gericht herangezogene MdE-Tabelle, die aktuell keine Differenzierung nach der Qualität der jeweiligen Oberschenkel­prothese vornimmt, nicht zu beanstanden ist.

Der Kläger des zugrunde liegenden Rechtsstreits erlitt als Schüler im Jahre 1998 einen Unfall, der zur Amputation des linken Beines im Bereich des Oberschenkels führte. Er wurde von dem Unfall­ver­si­che­rungs­träger mit einer Prothese versorgt. Dieser bewilligte zunächst eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwer­bs­fä­higkeit in Höhe von 70 %. Im März 2006 erhielt der Kläger anstelle der bisherigen Prothese eine mikro­pro­zes­sor­ge­steuerte Oberschen­kel­prothese (sogenanntes C-Leg). Der beklagte Unfall­ver­si­che­rungs­träger hob daraufhin den ursprünglichen Renten­be­wil­li­gungs­be­scheid wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse teilweise auf und gewährte nur noch eine geringere Verletztenrente nach einer Minderung der Erwer­bs­fä­higkeit von 60 %. Durch die Versorgung mit der C-Leg-Prothese sei eine deutliche Funkti­o­ns­ver­bes­serung des linken Beines eingetreten. In den Vorinstanzen war der Kläger erfolgreich.

Voraussetzungen für Herabsetzung der bisher gewährten Verletztenrente liegen nicht

Das Bundes­so­zi­al­gericht wies die Revision des beklagten Unfall­ver­si­che­rungs­trägers zurück. Die Voraussetzungen für die Herabsetzung der bisher gewährten Verletztenrente lagen nicht vor, weil durch die Versorgung mit einer mikro­pro­zes­sor­ge­steuerten Oberschen­kel­prothese keine wesentliche, zu einer niedrigeren Rente führende Änderung eingetreten ist. Grundsätzlich ist das Bundes­so­zi­al­gericht als Revisi­ons­gericht bei der Überprüfung der MdE-Höhe an die tatsächlichen Feststellungen des Landes­so­zi­al­ge­richts gebunden. Die Prothese bewirkt aber nach den tatsächlichen Feststellungen des Landes­so­zi­al­ge­richts gerade keine entscheidende Verbesserung der Erwer­bs­fä­higkeit. Das Bundes­so­zi­al­gericht hätte deshalb aus eigener Kompetenz nur dann eine geringere Minderung der Erwer­bs­fä­higkeit zugrunde legen können, wenn es zu der Überzeugung gelangt wäre, dass die als medizinische Erfahrungssätze herangezogenen MdE-Tabellenwerte wissen­schaftlich nicht mehr haltbar seien beziehungsweise nicht dem aktuellen Erkenntnisstand entsprächen. Die vom Landes­so­zi­al­gericht berücksichtigte MdE-Tabelle sieht für einen Verlust des Oberschenkels im mittleren und unteren Drittel den Wert von 60 % vor. Eine generelle Änderung dieses Tabellenwertes ist bisher nicht erfolgt. Nach der wohl überwiegenden Auffassung der unfall­me­di­zi­nischen Literatur ist vielmehr nicht zusätzlich nach der Qualität der Prothese zu differenzieren. Zwar gibt es in der medizinischen Literatur eine Diskussion, nach der die MdE-Tabellenwerte bei besserer prothetischer Versorgung niedriger anzusetzen sind. Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass der aktuell geltende MdE-Tabellenwert als wissen­schaftlich unhaltbar von der Rechtsprechung zu korrigieren wäre.

Hinweise zur Rechtslage

Unfallversicherung

Unfallversicherung (SGB VII)'>

[...]

(2) Die Minderung der Erwer­bs­fä­higkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beein­träch­tigung des körperlichen und geistigen Leistungs­ver­mögens ergebenden verminderten Arbeits­mög­lich­keiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens.

[...]

§ 48 Zehntes Buch Sozial­ge­setzbuch (SGB X)

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwal­tungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

[...]

§ 73 Siebtes Buch Sozial­ge­setzbuch - Gesetzliche Unfall­ver­si­cherung (SGB VII)

[...]

(3) Bei der Feststellung der Minderung der Erwer­bs­fä­higkeit ist eine Änderung im Sinne des § 48 Absatz 1 des Zehnten Buches nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 vom Hundert beträgt; bei Renten auf unbestimmte Zeit muss die Veränderung der Minderung der Erwer­bs­fä­higkeit länger als drei Monate andauern. [...]

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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