21.11.2024
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Sie sehen eine Geldbörse mit einer Gesundheitskarte von einer deutschen Krankenversicherung.

Dokument-Nr. 21762

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Bundessozialgericht Urteil30.09.2015

Versicherte hat keinen Anspruch auf Kostenübernahme für Silikonprothese bei fehlendem Endglied des Zeigefingers durch die KrankenkasseFehlen des Zeige­finger­end­gliedes ist nicht mit wesentlichen Beein­träch­tigung von Körper­funk­tionen verbunden

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat entschieden, dass das Fehlen des letzten Gliedes des Zeigefingers die Greif- und Haltefunktion einer Hand nicht nennenswert beeinträchtigt und einer Versicherte daher keinen Anspruch auf Kostenübernahme für eine Silikonprothese durch die Krankenkasse zusteht.

Der bei der beklagten Krankenkasse versicherten Klägerin des zugrunde liegenden Streitfalls fehlt das Endglied des Zeigefingers der rechten Hand. Deshalb beantragte sie die Versorgung mit einer individuell angefertigten Silikon­fin­ger­prothese entsprechend einem Kosten­vor­an­schlag in Höhe von 3.513,77 Euro. Sie arbeite mit Kundenkontakt am Flugha­fen­schalter und fühle sich in der Öffentlichkeit starrenden Blicken ausgesetzt. Beim Musizieren, beim Modellbau sowie bei der Bedienung der Tastatur und der Maus ihres Computers am Arbeitsplatz und zu Hause biete ihr die Silikonprothese einen erheblichen Funktionsgewinn. Zudem sei es ohne den Schutz durch eine Fingerprothese äußerst schmerzhaft, wenn der Finger beim Greifen an Gegenstände stoße.

Im Vordergrund stehender kosmetischer Aspekt rechtfertigt keine Kostenzusage durch Krankenkasse

Die Krankenkasse lehnte den Antrag ab, da die Klägerin durch den Verlust des Zeige­fin­ge­rend­gliedes nicht wesentlich beeinträchtigt sei, und die Fingerepithese funktionell weitgehend unbedeutend bleibe. Im Vordergrund stehe der kosmetische Aspekt, der eine Kostenzusage nicht rechtfertige. Eine eventuelle Druck­schmerz­haf­tigkeit könne durch eine Schutzkappe oder Verbandmaterial vermindert werden.

LSG verneint Kosten­über­nah­me­pflicht der Krankenkasse

Die Klägerin blieb mit der Klage und der Berufung erfolglos. Das Hessische Landes­so­zi­al­gericht führte aus, dass auch im Bereich des unmittelbaren Behin­de­rungs­aus­gleichs die Krankenkassen nicht für solche Innovationen aufzukommen hätten, die keine wesentlichen Gebrauchs­vorteile bewirkten und sich auf einen besseren Komfort oder eine bessere Optik beschränkten. Einen wesentlichen Gebrauchs­vorteil habe die Klägerin weder vorgetragen noch sei dies den Unterlagen zu entnehmen.

Klägerin verweist auf geschuldeten Behin­de­rungs­aus­gleich

Mit der Revision rügte die Klägerin die Verletzung von § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Sie begehrte eine Natura­l­fin­ger­prothese mit der weitestgehend individuellen Anpassung an die gesunde Hand und mit der besten Griffigkeit. Denn es sei ein möglichst weitgehender Behin­de­rungs­aus­gleich geschuldet, der auch die Vermeidung einer Stigmatisierung beinhalte. Darüber hinaus biete ihr die Fingerprothese im gesamten täglichen Leben Gebrauchs­vorteile, weil die im Wesentlichen durch Daumen und Zeigefinger gestaltete Greiffunktion der Hand durch den Verlust des Zeigefingers erheblich eingeschränkt werde.

Leistungs­an­spruch ergibt sich nicht bereits zur Wieder­her­stellung der vollständigen körperlichen Integrität

Die Revision der Klägerin blieb vor dem Bundes­so­zi­al­gericht jedoch ohne Erfolg. Grundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Versorgung mit einer Silikon­fin­ger­prothese ist § 33 Abs. 1 SGB V. Als Körpe­rer­satzstück soll die Fingerprothese im Bereich des unmittelbaren Behin­de­rungs­aus­gleichs eingesetzt werden, in dem die gesetzliche Kranken­ver­si­cherung die Erhaltung, Wieder­her­stellung oder Verbesserung einer beein­träch­tigten Körperfunktion zu bewirken hat. Das gilt grundsätzlich unabhängig davon, wie wichtig die fehlende Funktion für den Betroffenen konkret oder generell ist. Eine Leistungs­pflicht der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung scheidet jedoch selbst für Hilfsmittel, die ein fehlendes Körperteil ersetzen, ausnahmsweise dann aus, wenn das Defizit des Betroffenen zu keinen oder allenfalls ganz geringfügigen Funkti­o­ns­be­ein­träch­ti­gungen führt, die durch das begehrte Hilfsmittel nicht ausgeglichen werden können. Der Leistungs­an­spruch ergibt sich - soweit keine Funkti­o­ns­be­ein­träch­tigung vorliegt - nicht bereits zur Wieder­her­stellung der vollständigen körperlichen Integrität bzw. eines vollständigen, unversehrten Körperbildes.

Greif- und Haltefunktion der Hand nicht nennenswert beeinträchtigt

Das Fehlen des letzten Gliedes des Zeigefingers beeinträchtigt die Greif- und Haltefunktion der Hand nicht nennenswert, wie sich auch aus den Regelungen des SGB IX und des BVG über den Ausgleich für den Verlust eines Finge­rend­gliedes ergibt. Den Schutz vor Schmerzen beim Anstoßen des nicht durch einen Fingernagel geschützten Stumpfes leistet eine Fingerkappe nicht weniger sicher als die von der Klägerin begehrte Prothese.

Fingerdefekt für die Öffentlichkeit kaum auffällig

Da das Fehlen des Zeige­fin­ge­rend­gliedes nicht mit einer wesentlichen Beein­träch­tigung von Körper­funk­tionen verbunden ist, liegt keine Krankheit im Sinne des § 27 SGB V vor, deren Behand­lungs­erfolg mit Hilfe eines Hilfsmittels zu sichern wäre. Auch unter dem Aspekt einer "entstellenden Wirkung" liegt in dem Verlust des Finge­rend­gliedes weder eine Behinderung noch eine Krankheit. Beim für die Öffentlichkeit typischen oberflächlichen Kontakt fällt der Fingerdefekt der Klägerin kaum auf. Diesem kommt insgesamt allenfalls die Wirkung einer kleineren ästhetischen Unregel­mä­ßigkeit ohne Krankheitswert zu, deren Beseitigung bzw. Kaschierung - soweit sie vom Betroffenen gewünscht wird - als kosmetische Maßnahme dem Bereich der Eigen­ver­ant­wortung angehört.

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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