Der bei der beklagten Krankenkasse versicherten Klägerin des zugrunde liegenden Streitfalls fehlt das Endglied des Zeigefingers der rechten Hand. Deshalb beantragte sie die Versorgung mit einer individuell angefertigten Silikonfingerprothese entsprechend einem Kostenvoranschlag in Höhe von 3.513,77 Euro. Sie arbeite mit Kundenkontakt am Flughafenschalter und fühle sich in der Öffentlichkeit starrenden Blicken ausgesetzt. Beim Musizieren, beim Modellbau sowie bei der Bedienung der Tastatur und der Maus ihres Computers am Arbeitsplatz und zu Hause biete ihr die Silikonprothese einen erheblichen Funktionsgewinn. Zudem sei es ohne den Schutz durch eine Fingerprothese äußerst schmerzhaft, wenn der Finger beim Greifen an Gegenstände stoße.
Die Krankenkasse lehnte den Antrag ab, da die Klägerin durch den Verlust des Zeigefingerendgliedes nicht wesentlich beeinträchtigt sei, und die Fingerepithese funktionell weitgehend unbedeutend bleibe. Im Vordergrund stehe der kosmetische Aspekt, der eine Kostenzusage nicht rechtfertige. Eine eventuelle Druckschmerzhaftigkeit könne durch eine Schutzkappe oder Verbandmaterial vermindert werden.
Die Klägerin blieb mit der Klage und der Berufung erfolglos. Das Hessische Landessozialgericht führte aus, dass auch im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs die Krankenkassen nicht für solche Innovationen aufzukommen hätten, die keine wesentlichen Gebrauchsvorteile bewirkten und sich auf einen besseren Komfort oder eine bessere Optik beschränkten. Einen wesentlichen Gebrauchsvorteil habe die Klägerin weder vorgetragen noch sei dies den Unterlagen zu entnehmen.
Mit der Revision rügte die Klägerin die Verletzung von § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Sie begehrte eine Naturalfingerprothese mit der weitestgehend individuellen Anpassung an die gesunde Hand und mit der besten Griffigkeit. Denn es sei ein möglichst weitgehender Behinderungsausgleich geschuldet, der auch die Vermeidung einer Stigmatisierung beinhalte. Darüber hinaus biete ihr die Fingerprothese im gesamten täglichen Leben Gebrauchsvorteile, weil die im Wesentlichen durch Daumen und Zeigefinger gestaltete Greiffunktion der Hand durch den Verlust des Zeigefingers erheblich eingeschränkt werde.
Die Revision der Klägerin blieb vor dem Bundessozialgericht jedoch ohne Erfolg. Grundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Versorgung mit einer Silikonfingerprothese ist § 33 Abs. 1 SGB V. Als Körperersatzstück soll die Fingerprothese im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs eingesetzt werden, in dem die gesetzliche Krankenversicherung die Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung einer beeinträchtigten Körperfunktion zu bewirken hat. Das gilt grundsätzlich unabhängig davon, wie wichtig die fehlende Funktion für den Betroffenen konkret oder generell ist. Eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung scheidet jedoch selbst für Hilfsmittel, die ein fehlendes Körperteil ersetzen, ausnahmsweise dann aus, wenn das Defizit des Betroffenen zu keinen oder allenfalls ganz geringfügigen Funktionsbeeinträchtigungen führt, die durch das begehrte Hilfsmittel nicht ausgeglichen werden können. Der Leistungsanspruch ergibt sich - soweit keine Funktionsbeeinträchtigung vorliegt - nicht bereits zur Wiederherstellung der vollständigen körperlichen Integrität bzw. eines vollständigen, unversehrten Körperbildes.
Das Fehlen des letzten Gliedes des Zeigefingers beeinträchtigt die Greif- und Haltefunktion der Hand nicht nennenswert, wie sich auch aus den Regelungen des SGB IX und des BVG über den Ausgleich für den Verlust eines Fingerendgliedes ergibt. Den Schutz vor Schmerzen beim Anstoßen des nicht durch einen Fingernagel geschützten Stumpfes leistet eine Fingerkappe nicht weniger sicher als die von der Klägerin begehrte Prothese.
Da das Fehlen des Zeigefingerendgliedes nicht mit einer wesentlichen Beeinträchtigung von Körperfunktionen verbunden ist, liegt keine Krankheit im Sinne des § 27 SGB V vor, deren Behandlungserfolg mit Hilfe eines Hilfsmittels zu sichern wäre. Auch unter dem Aspekt einer "entstellenden Wirkung" liegt in dem Verlust des Fingerendgliedes weder eine Behinderung noch eine Krankheit. Beim für die Öffentlichkeit typischen oberflächlichen Kontakt fällt der Fingerdefekt der Klägerin kaum auf. Diesem kommt insgesamt allenfalls die Wirkung einer kleineren ästhetischen Unregelmäßigkeit ohne Krankheitswert zu, deren Beseitigung bzw. Kaschierung - soweit sie vom Betroffenen gewünscht wird - als kosmetische Maßnahme dem Bereich der Eigenverantwortung angehört.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 23.10.2015
Quelle: Bundessozialgericht/ra-online