21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil12.01.2022

BGH-Urteil zu Geschäfts­schließungen im Corona-Lockdown: Mietanpassungen im Einzelfall möglichBGH zur Mietzah­lungs­pflicht bei coronabedingter Geschäfts­schließung

Mieter von Geschäftsräumen haben bei behördlich angeordneten Betriebs­schließungen aufgrund der Corona-Pandemie grundsätzlich einen Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäfts­grundlage. Es muss allerdings weiterhin geprüft werden, ob dem Mieter ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Dies entschied der Bundes­ge­richtshof. Er stellte weiterhin klar, dass es sich bei den Betriebs­schließungen um keinen Mietmangel handelt, so dass der Mieter keinen Anspruch auf Mietminderung hat.

Der u.a. für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hatte die Frage zu entscheiden, ob ein Mieter von gewerblich genutzten Räumen für die Zeit einer behördlich angeordneten Geschäfts­schließung während der COVID-19-Pandemie zur vollständigen Zahlung der Miete verpflichtet ist.

Sachverhalt

Die Beklagte hat von der Klägerin Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzel­han­dels­ge­schäfts für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs gemietet. Aufgrund des sich im März 2020 in Deutschland verbreitenden SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) erließ das Sächsische Staats­mi­nis­terium für Soziales und Gesell­schaft­lichen Zusammenhalt am 18. und am 20. März 2020 Allge­mein­ver­fü­gungen, aufgrund derer die Beklagte ihr Texti­l­ein­zel­han­dels­ge­schäft im Mietobjekt vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 schließen musste. Infolge der behördlich angeordneten Betrie­bs­schließung entrichtete die Beklagte für den Monat April 2020 keine Miete.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung der Miete für den Monat April 2020 in Höhe von 7.854,00 € verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlan­des­gericht Dresden die erstin­sta­nzliche Entscheidung aufgehoben und die Beklagte - unter Abweisung der Klage im Übrigen - zur Zahlung von nur 3.720,09 € verurteilt. Infolge des Auftretens der COVID-19-Pandemie und der staatlichen Schlie­ßungs­a­n­ordnung auf Grundlage der Allge­mein­ver­fü­gungen sei eine Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags i.S.v. § 313 Abs. 1 BGB eingetreten, die eine Anpassung des Vertrags dahin gebiete, dass die Kaltmiete für die Dauer der angeordneten Schließung auf die Hälfte reduziert werde.

Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs

Auf die Revisionen der Klägerin, die nach wie vor die volle Miete verlangt, und der Beklagten, die ihren Klage­ab­wei­sungs­antrag weiterverfolgt, hat der Bundes­ge­richtshof das Urteil des Oberlan­des­ge­richts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen.

BGH: Mieter von gewerblich genutzten Räumen hat Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäfts­grundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass im Fall einer Geschäfts­schließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäfts­grundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommt.

Die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewähr­leis­tungs­vor­schriften und der Regelungen des allgemeinen schuld­recht­lichen Leistungs­stö­rungs­rechts, insbesondere des § 313 BGB zum Wegfall der Geschäfts­grundlage, ist nicht durch die für die Zeit vom 1. April 2020 bis zum 30. September 2022 geltende Vorschrift des Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen. Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass diese Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut und ihrem Gesetzeszweck allein eine Beschränkung des Kündi­gungs­rechts des Vermieters zum Ziel hat und nichts zur Höhe der geschuldeten Miete aussagt.

BGH: Betrie­bs­schließung stellt keinen Mangel der Mietsache dar, so dass keine Mietminderung erfolgen kann

Die auf den Allge­mein­ver­fü­gungen des Sächsischen Staats­mi­nis­teriums beruhende Betrie­bs­schließung hat jedoch nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB geführt, weshalb das Oberlan­des­gericht zu Recht eine Minderung der Miete nach § 536 Abs. 1 BGB abgelehnt hat. Ergeben sich aufgrund von gesetz­ge­be­rischen Maßnahmen während eines laufenden Mietver­hält­nisses Beein­träch­ti­gungen des vertragsmäßigen Gebrauchs eines gewerblichen Mietobjekts, kann dies zwar einen Mangel i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die durch die gesetz­ge­be­rische Maßnahme bewirkte Gebrauchs­be­schränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang steht. Die mit der Schlie­ßungs­a­n­ordnung verbundene Gebrauchs­be­schränkung der Beklagten erfüllt diese Voraussetzung nicht. Die behördlich angeordnete Geschäfts­schließung knüpft allein an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publi­kums­verkehr an, der die Gefahr einer verstärkten Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus begünstigt und der aus Gründen des Infek­ti­o­ns­schutzes untersagt werden sollte. Durch die Allge­mein­ver­fügung wird jedoch weder der Beklagten die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume im Übrigen noch der Klägerin tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträum­lich­keiten verboten. Das Mietobjekt stand daher trotz der Schlie­ßungs­a­n­ordnung weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung. Das Vorliegen eines Mangels i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich auch nicht aus dem im vorliegenden Fall vereinbarten Mietzweck der Räumlichkeiten zur "Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzel­han­dels­ge­schäfts für Textilien aller Art, sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs". Die Beklagte konnte nicht davon ausgehen, dass die Klägerin mit der Vereinbarung des konkreten Mietzwecks eine unbedingte Einstands­pflicht auch für den Fall einer hoheitlich angeordneten Öffnungs­un­ter­sagung im Falle einer Pandemie übernehmen wollte.

Dem Mieter von gewerblich genutzten Räumen kann jedoch im Fall einer Geschäfts­schließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäfts­grundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen. Dies hat das Berufungs­gericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt; seine Erwägungen zu einer möglichen Vertrags­an­passung sind jedoch nicht frei von Rechtsfehlern.

Aufgrund der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie Geschäfts­schlie­ßungen, Kontakt- und Zugangs­be­schrän­kungen und der damit verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesell­schaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ist im vorliegenden Fall die sogenannte große Geschäfts­grundlage betroffen. Darunter versteht man die Erwartung der vertrag­s­chlie­ßenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaft­lichen und sozialen Rahmen­be­din­gungen eines Vertrags nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. Diese Erwartung der Parteien wurde dadurch schwerwiegend gestört, dass die Beklagte aufgrund der zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlassenen Allge­mein­ver­fü­gungen ihr Geschäftslokal in der Zeit vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 schließen musste. Dafür, dass bei einer zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie behördlich angeordneten Betrie­bs­schließung die tatsächliche Voraussetzung des § 313 Abs. 1 Satz 1 BGB einer schwerwiegenden Störung der Geschäfts­grundlage erfüllt ist, spricht auch die neu geschaffene Vorschrift des Art. 240 § 7 EGBGB. Danach wird vermutet, dass sich ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat, wenn vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind.

BGH: Neben dem Wegfall der Geschäfts­grundlage ist zusätzlich zu prüfen, ob dem Mieter ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann

Allein der Wegfall der Geschäfts­grundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB berechtigt jedoch noch nicht zu einer Vertrags­an­passung. Vielmehr verlangt die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berück­sich­tigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risiko­ver­teilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters wie im vorliegenden Fall auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie einer Betrie­bs­schließung für einen gewissen Zeitraum, geht dies über das gewöhnliche Verwen­dungs­risiko des Mieters hinaus. Denn die wirtschaft­lichen Nachteile, die ein gewerblicher Mieter aufgrund einer pande­mie­be­dingten Betrie­bs­schließung erlitten hat, beruhen nicht auf unter­neh­me­rischen Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen ein Geschäft betreiben zu können, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden. Sie sind vielmehr Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesell­schaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die keine der beiden Mietver­trags­parteien verantwortlich gemacht werden kann. Durch die COVID-19-Pandemie hat sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietver­trag­lichen Risiko­ver­teilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst wird. Das damit verbundene Risiko kann regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.

Dies bedeutet aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen kann. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB). Eine pauschale Betrach­tungsweise wird den Anforderungen an dieses normative Tatbe­stands­merkmal der Vorschrift nicht gerecht. Deshalb kommt die vom Oberlan­des­gericht vorgenommene Vertrags­an­passung dahingehend, dass ohne Berück­sich­tigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäfts­schließung grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird, weil das Risiko einer pande­mie­be­dingten Gebrauchs­be­schränkung der Mietsache keine der beiden Mietver­trags­parteien allein trifft, nicht in Betracht. Es bedarf vielmehr einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung, bei der zunächst von Bedeutung ist, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäfts­schließung und deren Dauer entstanden sind. Diese werden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung bestehen, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen ist. Zu berücksichtigen kann auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäfts­schließung zu vermindern.

Da eine Vertrags­an­passung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäfts­grundlage aber nicht zu einer Überkom­pen­sierung der entstandenen Verluste führen darf, sind bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pande­mie­be­dingten Nachteile erlangt hat. Dabei können auch Leistungen einer ggf. einstands­pflichtigen Betrie­bs­ver­si­cherung des Mieters zu berücksichtigen sein. Staatliche Unter­stüt­zungs­maß­nahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, bleiben hingegen bei der gebotenen Abwägung außer Betracht, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreicht. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaft­lichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich. Schließlich sind bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.

Das Oberlan­des­gericht hat nach der Zurück­ver­weisung nunmehr zu prüfen, welche konkreten wirtschaft­lichen Auswirkungen die Geschäfts­schließung in dem streit­ge­gen­ständ­lichen Zeitraum für die Beklagte hatte und ob diese Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, das eine Anpassung des Mietvertrags erforderlich macht.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/pt)

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