23.11.2024
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Dokument-Nr. 20537

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Urteil28.01.2015BundesgerichtshofXII ZR 201/13
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • MDR 2015, 397Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2015, Seite: 397
  • NJW 2015, 1098Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2015, Seite: 1098
  • ZD 2015, 270Zeitschrift für Datenschutz (ZD), Jahrgang: 2015, Seite: 270
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Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Hameln, Urteil30.06.2013, 20 C 194/12
  • Landgericht Hannover, Urteil06.11.2013, 6 S 50/13
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil28.01.2015

Kinder haben Anspruch auf Auskunft über Identität des anonymen SamenspendersMindestalter des Kindes für Auskunfts­an­spruch nicht erforderlich

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass ein Kind, das durch eine künstliche heterologe Insemination gezeugt wurde, grundsätzlich von der Repro­duk­ti­o­ns­klinik Auskunft über die Identität des anonymen Samenspenders verlangen kann. Ein bestimmtes Mindestalter des Kindes ist dafür nicht erforderlich. Machen die Eltern den Anspruch als gesetzliche Vertreter ihres Kindes geltend, setzt dies voraus, dass die Auskunft zum Zweck der Information des Kindes verlangt wird. Außerdem muss die Abwägung aller rechtlichen Belange - auch derjenigen des Samenspenders - ein Überwiegen der Interessen des Kindes an der Auskunft ergeben.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die im Dezember 1997 und im Februar 2002 geborenen Klägerinnen verlangen von der beklagten Repro­duk­ti­o­ns­klinik Auskunft über die Identität ihres biologischen Vaters durch Bekanntgabe des Samenspenders. Sie wurden jeweils durch eine künstliche heterologe Insemination gezeugt, die in der Klinik an der Mutter der Klägerinnen vorgenommen wurde. Zugrunde lagen diesen Behandlungen Verträge mit der Mutter und dem mit dieser verheirateten (rechtlichen) Vater der Klägerinnen. Die Eheleute hatten in einer notariellen Erklärung gegenüber der Klinik auf Auskunft über die Identität der Samenspender verzichtet.

LG verneint Auskunfts­an­spruch zum jetzigen Zeitpunkt

Das Amtsgericht hat der Auskunftsklage der von ihren Eltern vertretenen Klägerinnen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht im November 2013 die Klage abgewiesen. Den Klägerinnen stehe der geltend gemachte Auskunftsanspruch jedenfalls derzeit nicht zu. Mit dem Verlangen nach Auskunft über die Identität der Samenspender verfolgten sie ein eigenes Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung, das sie jedoch erst mit Vollendung des 16. Lebensjahres geltend machen könnten. Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgen die Klägerinnen ihr Auskunfts­be­gehren weiter.

BGH: Weder der Auskunfts­an­spruch noch Geltendmachung setzen Mindestalter des Kindes voraus

Die Revision hatte Erfolg. Sie führte zur Aufhebung der Berufungs­ent­scheidung und zur Zurück­ver­weisung der Sache an das Landgericht. Ein Auskunfts­an­spruch der durch künstliche Befruchtung gezeugten Kinder kann sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben aus § 242 BGB ergeben. Sie sind in derartigen Konstellationen in den Schutzbereich des Behand­lungs­vertrags zwischen der Klinik und den Eltern einbezogen. Hinzukommen muss ein Bedürfnis des Kindes für die begehrte Information, es muss also zu erwarten sein, dass die Information von dem Kind benötigt wird. Das ist immer dann der Fall, wenn die Eltern die Auskunft zum Zweck der Information des Kindes verlangen. Weder der Auskunfts­an­spruch noch seine Geltendmachung setzen ein bestimmtes Mindestalter des Kindes voraus.

Auskunft­s­er­teilung muss zumutbar sein

Die Auskunft­s­er­teilung muss für den Auskunfts­pflichtigen zumutbar sein. Ob dies der Fall ist, ist durch eine auf den konkreten Einzelfall bezogene, umfassende Abwägung der durch die Auskunft­s­er­teilung berührten rechtlichen, insbesondere grund­recht­lichen, Belange zu klären. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass der Auskunfts­an­spruch des Kindes Ausfluss seines verfas­sungs­rechtlich geschützten allgemeinen Persön­lich­keits­rechts ist und dazu dient, eine Information zu erlangen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit von elementarer Bedeutung sein kann. Dieser Rechtsposition wird regelmäßig ein erhebliches Gewicht im Rahmen der Abwägung zukommen. Dem stehen andererseits die (grund-)rechtlich geschützten Interessen des Auskunfts­ver­pflichteten gegenüber. Die Berufs­aus­übungs­freiheit des Repro­duk­ti­o­ns­me­di­ziners hat in diesem Zusammenhang keine maßgebliche Bedeutung. Zu berücksichtigen ist aber die ärztliche Schweigepflicht, soweit sie dem Schutz Dritter (Samenspender und Kindeseltern) dienen soll.

Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung wird höheres Gewicht zukommen als Recht des Samenspenders auf informationelle Selbst­be­stimmung

Soweit dem Samenspender - den ärztlichen Richtlinien entsprechend - vom Arzt keine Anonymität zugesichert worden ist, hat er sich des Schutzes seines Rechts auf informationelle Selbst­be­stimmung selbst begeben. Andernfalls steht diesem Recht das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung gegenüber, dem regelmäßig ein höheres Gewicht zukommen wird. Zu berücksichtigen sind zudem mögliche Auswirkungen der Auskunft auf die private Lebens­ge­staltung des Samenspenders. Nicht maßgeblich sind hingegen seine wirtschaft­lichen Interessen. Schließlich können auch die Interessen der Eltern dem Auskunfts­be­gehren des Kindes entgegenstehen, wenn sie mit der Auskunft­s­er­teilung nicht einverstanden sind. Tatsächlich wird sich insoweit aber kaum ein schützenswerter rechtlicher Belang ergeben. Denn die entsprechende Klage gegen den behandelnden Arzt kann das Kind nur dann erheben, wenn es zuvor bereits Kenntnis vom Ausein­an­der­fallen von rechtlicher und biologischer Vaterschaft und von der Zeugung mittels Samenspende hat.

Verzicht der Eltern auf Auskunft über Samenspender wirkt sich nicht zu Lasten des Kindes aus

Berück­sich­ti­gungs­fähige rechtliche Belange hat die Klinik im vorliegenden Fall bislang nicht geltend gemacht. Dem verfas­sungs­rechtlich geschützten Recht der Klägerinnen auf Kenntnis von ihrer Abstammung steht damit derzeit keine Rechtsposition gegenüber, die den Auskunfts­an­spruch zu Fall bringen könnte. Der von den Eltern erklärte Verzicht auf die Auskunft wirkt nicht zu Lasten des Kindes.

Rückweisung der Sache an das Landgericht

Das Landgericht wird daher nun Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die Eltern die Auskunft zum Zweck der Information der Kinder begehren. Im Rahmen der Zumutbarkeit der Auskunft­s­er­teilung wird es dann die erforderliche Abwägung der zu berück­sich­ti­genden rechtlichen Interessen vorzunehmen haben.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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