18.10.2024
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Sie sehen, wie während einer Hochzeit die Ringe angesteckt werden.

Dokument-Nr. 6381

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Urteil16.07.2008BundesgerichtshofXII ZR 109/05
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BGHZ 177, 272Sammlung: Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (BGHZ), Band: 177, Seite: 272
  • FamRZ 2008, 1739Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht (FamRZ), Jahrgang: 2008, Seite: 1739
  • JuS 2009, 86 (Marina Wellenhofer)Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS), Jahrgang: 2009, Seite: 86, Entscheidungsbesprechung von Marina Wellenhofer
  • MDR 2008, 1273Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2008, Seite: 1273
  • NJW 2008, 3125Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2008, Seite: 3125
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Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Düsseldorf, Urteil16.03.2004, 253 F 174/03
  • Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil23.05.2005, II-2 UF 125/04
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil16.07.2008

BGH zum Bedarf und zur Dauer des Betreuungs­unterhaltsBGH stärkt Rechte allein­er­zie­hender Mütter

Der Bundes­ge­richtshof hatte sich erstmals mit dem zum 1. 1. 2008 geänderten Anspruch auf Betreu­ungs­un­terhalt der Mutter eines nichtehelichen Kindes (§ 1615 l Abs. 2 BGB) zu befassen. Nach dem seit Anfang 2008 geltenden Unterhaltsrecht sind nach Trennung der Eltern Zahlungs­ansprüche für die Betreuung eines gemeinsamen Kindes in der Regel bis zum 3. Lebensjahr begrenzt. Hiervon kann es aber Ausnahmen geben. Die Richter urteilten: Allein­er­zie­henden Müttern und Vätern ist auch dann nicht zwingend ein Vollzeitjob zumutbar, wenn die Kinder ganztags in Kita oder Schule untergebracht sind.

Der u. a. für Familiensachen zuständige XII. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hatte sich erstmals mit Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem zum 1. Januar 2008 geänderten Anspruch auf Betreuungsunterhalt der Mutter eines nichtehelichen Kindes (§ 1615 l Abs. 2 BGB) zu befassen. Weil dieser Anspruch und der Anspruch auf nachehelichen Betreu­ungs­un­terhalt (§ 1570 BGB) durch das Unter­halts­recht­s­än­de­rungs­gesetz einander weitgehend angeglichen worden sind, hat die Entscheidung auch erhebliche Auswirkungen auf die Dauer des nachehelichen Betreu­ungs­un­terhalts.

Sachverhalt

Die 1968 geborene Klägerin und der 1962 geborene Beklagte lernten sich kennen, als die Klägerin von ihrem früheren Ehemann getrennt lebte und ihren im März 1995 geborenen ehelichen Sohn versorgte. Als die Klägerin von dem Beklagten schwanger war, zogen die Parteien zusammen; im Dezember 1997 wurde ihre gemeinsame Tochter geboren. Ein weiteres gemeinsames Kind wurde im Januar 2001 geboren.

Die Parteien trennten sich im Juni 2002. Seit Februar 2004 hat die Klägerin einen neuen Freund. Der Beklagte ist seit Oktober 2004 mit einer neuen Partnerin verheiratet.

Das Berufungs­gericht hatte den Beklagten verurteilt, neben dem Kindesunterhalt an die Klägerin rückständigen und laufenden Betreu­ungs­un­terhalt, zuletzt in Höhe von monatlich 216 €, zu zahlen. Den Anspruch auf Betreu­ungs­un­terhalt hat es allerdings auf die Zeit bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres des jüngsten gemeinsamen Kindes, also bis Januar 2007, beschränkt. Auf die Revision der Klägerin, die einen unbefristeten und höheren (monatlich 1.335 €) Unterhalt begehrt, und die Anschluss­re­vision des Beklagten, der Klagabweisung und Rückzahlung eines Teils des in der Vergangenheit geleisteten Unterhalts anstrebt, hat der Bundes­ge­richtshof die angegriffene Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen.

Der Bundes­ge­richtshof hatte neben Fragen der Einkom­men­s­er­mittlung vor allem zwei in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Rechtsfragen zu beantworten, die sich auf die Höhe des Unter­halts­bedarfs und auf die Dauer des Anspruchs auf Betreu­ungs­un­terhalt auswirken.

1. Zur Bedarfs­be­messung:

Der Unter­halts­bedarf richtet sich beim nachehelichen Unterhalt allgemein nach den fortge­schriebenen ehelichen Lebens­ver­hält­nissen (§ 1578 Abs. 1 BGB; vgl. insoweit BGH FamRZ 2008, 968 = BGH, Urteil v. 05.03.2008 - XII ZR 22/06 -), wird also vom beiderseitigen Einkommen der geschiedenen Ehegatten abgeleitet. Der nacheheliche Betreu­ungs­un­terhalt stellt den Unter­halts­be­rech­tigten allerdings nur so, wie er stünde, wenn er selbst voll arbeiten könnte. Die Differenz zu den – auch vom Einkommen des unter­halts­pflichtigen geschiedenen Ehegatten abgeleiteten – ehelichen Lebens­ver­hält­nissen sichert hingegen nach ständiger Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs der Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB).

Beim Anspruch auf Betreu­ungs­un­terhalt der Mutter eines nichtehelichen Kindes richtet sich der Unter­halts­bedarf nach ihrer eigenen Lebensstellung (§§ 1615 l Abs. 2 und 3, 1610 Abs. 1 BGB). Auch dieser Anspruch stellt die Unter­halts­be­rechtigte so, wie sie stünde, wenn das gemeinsame Kind nicht geboren wäre. Hatte die unter­halts­be­rechtigte Mutter vor der Geburt eigene Einkünfte, bemisst sich ihr Unter­halts­bedarf nach diesen Einkünften, allerdings nicht über die Hälfte des Einkommens des Unter­halts­pflichtigen hinaus. War die Mutter des gemeinsamen Kindes – wie hier – geschieden und hatte sie wegen der Betreuung eines ehelichen Kindes einen Unter­halts­an­spruch gegen ihren geschiedenen Ehemann, richtet sich ihre Lebensstellung und somit ihr Bedarf für den Unter­halts­an­spruch gegen den Vater des später nichtehelich geborenen Kindes nach diesem Unter­halts­an­spruch. Umstritten war, ob sich bei einer nichtehelichen Lebens­ge­mein­schaft vor der Geburt des Kindes die für den späteren Unter­halts­bedarf ausschlag­gebende Lebensstellung auch aus einem höheren Einkommen des nichtehelichen Lebenspartners ergeben kann. Das Oberlan­des­gericht hatte dies angenommen, weil die Parteien schon vor der Geburt des Kindes zusammengezogen waren und die Klägerin durch das Zusammenleben eine entsprechende – vom Einkommen des Beklagten abgeleitete – Lebensstellung erworben habe. Der Bundes­ge­richtshof hat diese Auffassung nicht geteilt. Im Unterschied zur Ehe ergeben sich allein aus einer nichtehelichen Lebens­ge­mein­schaft (ohne Kind) keine Unter­halts­ver­pflich­tungen. Sollten die Parteien seinerzeit also zusammen von dem Einkommen des Beklagten gelebt haben, lägen darin freiwillige Leistungen, die der Beklagte vor Beginn des Mutterschutzes jederzeit hätte beenden können. Eine nachhaltige Lebensstellung konnten diese tatsächlichen Umstände nicht begründen, sodass es bei der Lebensstellung nach der Höhe des Unter­halts­an­spruchs gegen den geschiedenen Ehegatten verblieb.

2. Zur Dauer des Betreu­ungs­un­terhalts:

Nachdem das Bundes­ver­fas­sungs­gericht die frühere Regelung für verfas­sungs­widrig und nur noch bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung für anwendbar erklärt hatte (BVerfG FamRZ 2007, 965 = BVerfG, Beschluss v. 28.02.2007 - 1 BvL 9/04 -), hat der Gesetzgeber den Unter­halts­an­spruch des betreuenden Elternteils neu geregelt. Lediglich für Unter­halts­ansprüche, die vor dem 1. Januar 2008 fällig geworden waren, gilt nach § 36 Nr. 7 EGZPO das frühere Recht weiter.

Das bis Ende 2007 geltende Recht sah für den nachehelichen Betreu­ungs­un­terhalt in § 1570 BGB a.F. einen zeitlich unbegrenzten Anspruch vor, der von der Rechtsprechung sehr weitgehend, aber auch sehr pauschaliert in Sinne eines Alter­spha­sen­modells ausgelegt wurde. Bis zur Vollendung des 8. Lebensjahres des Kindes musste der betreuende Elternteil nicht arbeiten und hatte einen vollen Unter­halts­an­spruch. Danach, bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres, sollte nur eine halbschichtige Tätigkeit zumutbar sein und der Unter­halts­an­spruch nur wegen des restlichen Unter­halts­bedarfs fortbestehen. Für den Betreu­ungs­un­terhalt der Mutter des nichtehelich geborenen Kindes sah das Gesetz nur einen zeitlich begrenzten Unter­halts­an­spruch bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres vor, der nur dann verlängert werden konnte, wenn es grob unbillig gewesen wäre, den Unter­halts­an­spruch nach Ablauf dieser Frist zu versagen. Allerdings hatte der Bundes­ge­richtshof schon die Verlän­ge­rungs­mög­lichkeit nach dieser früheren Regelung aus verfas­sungs­recht­lichen Gründen weit ausgelegt (BGH FamRZ 2006, 1362 = BGH, Urteil v. 05.07.2006 - XII ZR 11/04 -).

Die für Unter­halts­ansprüche ab Januar 2008 geltende gesetzliche Neuregelung hat den nachehelichen Betreu­ungs­un­terhalt (§ 1570 BGB) und den Betreu­ungs­un­terhalt der Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes (§ 1615 l Abs. 2 BGB) auch zur Dauer einander weitgehend angeglichen. Allerdings kann danach in beiden Fällen zunächst nur für die Dauer von mindestens drei Jahren nach der Geburt Betreu­ungs­un­terhalt verlangt werden. Verlangt der betreuende Elternteil aus Billig­keits­gründen Unterhalt über diese Dauer hinaus, muss er die Gründe dafür darlegen und beweisen, was eine individuelle Beurteilung der Verhältnisse erfordert.

Gründe, die für eine Verlängerung des Betreu­ungs­un­terhalts sprechen können, ergeben sich zunächst nach den insoweit wortgleichen Vorschriften der §§ 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3, 1615 l Abs. 2 Satz 4 und 5 BGB aus kindbezogenen Gründen, wobei die Belange des Kindes und die Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen sind. Insoweit darf aus verfas­sungs­recht­lichen Gründen und wegen der identischen gesetzlichen Regelung nicht zwischen ehelich und nichtehelich geborenen Kindern differenziert werden.

Daneben können aber auch elternbezogene Gründe für eine Verlängerung des Betreu­ungs­un­terhalts sprechen. Beim nachehelichen Betreu­ungs­un­terhalt sieht § 1570 Abs. 2 BGB dies ausdrücklich vor und verweist dabei auf die Gestaltung von Kinderbetreuung und Erwer­b­s­tä­tigkeit in der Ehe sowie deren Dauer. Auch die gesetzliche Regelung zum Betreu­ungs­un­terhalt der Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes schließt dies nicht aus, indem es eine Verlängerung "insbesondere" aus kindbezogenen Gründen vorsieht. Daraus und aus dem Schutz der Familie in Art. 6 Abs.1 GG lässt sich entnehmen, dass sich die Möglichkeit zur Verlängerung des Betreu­ungs­un­terhalts der Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes aus elternbezogenen Gründen um so mehr der Verlän­ge­rungs­mög­lichkeit beim nachehelichen Betreu­ungs­un­terhalt annähern kann, als die Beziehung der Eltern einer Ehe vergleichbar war, also bei längerem Zusammenleben oder bei einem gemeinsamen Kinderwunsch.

Ferner hat der Bundes­ge­richtshof auf einen weiteren Gesichtspunkt hingewiesen, der ebenfalls für einen verlängerten Anspruch spricht und im Gegensatz zu den zuvor genannten Umständen möglicherweise nach dem Alter des Kindes generalisiert werden kann. Selbst wenn ein Kind im Kindergarten volltags betreut wird, führt dies nämlich noch nicht notwendig zu einer vollschichtigen Erwerbspflicht des betreuenden Elternteils. Denn zusätzlich zur Betreuung insbesondere in den Abendstunden könnte eine vollschichtige Erwerbspflicht überob­li­ga­torisch sein. Ob sich aus dem Gesichtspunkt einer überob­li­ga­ti­o­ns­mäßigen Doppelbelastung ungeachtet des gesetzlichen Regelfalls eines dreijährigen Betreu­ungs­un­terhalts Fallgruppen bilden lassen, die auf Erfah­rungs­werten beruhen und - z.B. nach dem Alter des Kindes – einer gewissen Pauschalierung zugänglich sind, wird das Berufungs­gericht prüfen müssen. Allerdings wird dieser Gesichtspunkt allein regelmäßig angesichts einer eingeschränkten Erwerbspflicht nicht zu einem vollen Unter­halts­an­spruch führen können.

Quelle: ra-online, BGH (pm)

der Leitsatz

BGB §§ 1615 l Abs. 2, 1610, 1570

a) Die für die Höhe des Unter­halts­bedarfs nach § 1615 l Abs. 2, 3 Satz 1, 1610 Abs. 1 BGB relevante Lebensstellung des Unter­halts­be­rech­tigten ergibt sich auch dann, wenn er schon vor der Geburt des gemeinsamen Kindes mit dem anderen Elternteil zusammen gelebt hat, aus den Einkünften, die er ohne die Geburt des Kindes hätte. Auch in einem solchen Fall ist nicht ein Quotenunterhalt nach den Einkommens- und Vermö­gens­ver­hält­nissen innerhalb der nichtehelichen Lebens­ge­mein­schaft geschuldet.

b) Elternbezogene Gründe, die neben kindbezogenen Gründen für eine Verlängerung des Betreu­ungs­un­terhalts nach § 1615 l Abs. 2 BGB sprechen können, kommen insbesondere dann in Betracht, wenn die Eltern mit ihrem gemeinsamen Kind zusammengelebt haben und deswegen ein evtl. Vertrau­en­s­tat­bestand als Nachwirkung dieser Familie zu berücksichtigen ist.

c) Bei der Bemessung der Erwer­b­s­ob­lie­genheit des betreuenden Elternteils ist zu beachten, ob der ihm neben oder nach der Erziehung und Betreuung in staatlichen Einrichtungen verbleibende Anteil an der Betreuung und Erziehung des Kindes in Verbindung mit einer vollschichtigen Erwer­b­s­tä­tigkeit zu einer überob­li­ga­ti­o­ns­mäßigen Belastung führen würde.

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