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Bundesverfassungsgericht Beschluss28.02.2007
Unterschiedliche Dauer der Unterhaltsansprüche für die Betreuung ehelicher und nichtehelicher Kinder ist verfassungswidrigGesetzgeber muss Gleichbehandlung sicherstellen
Die derzeitige Behandlung unverheirateter Eltern beim Unterhalt für die Betreuung ihrer Kinder ist verfassungswidrig. Das geht aus einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hervor. Das Gericht sah eine ungerechtfertigte Schlechterstellung des betreuenden Elternteils von nicht ehelichen Kindern gegenüber Elternteilen, die eheliche Kinder betreuen. Der betreuende Elternteil von ehelichen Kindern kann vom anderen Elternteil mindestens bis zum achten Lebensjahr des Kindes Unterhalt verlangen, ohne selbst einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu müssen. Bei Unverheirateten besteht dieser Anspruch nur drei Jahre. Dies verstoße gegen das Gebot nichtehelichen Kindern gleiche Bedingungen wie ehelichen Kindern zu schaffen. Der Gesetzgeber muss bis Ende 2008 eine Neuregelung schaffen.
Nach § 1570 BGB kann ein geschiedener Elternteil von dem früheren Ehegatten Unterhalt verlangen, solange und soweit von ihm wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Übereinstimmend geht die Rechtsprechung davon aus, dass bis zum Alter eines Kindes von acht Jahren beziehungsweise bis zum Ende seiner Grundschulzeit für den betreuenden Elternteil keine Erwerbsobliegenheit besteht. Demgegenüber ist der in § 1615 l BGB normierte Anspruch eines Elternteils, der ein nichteheliches Kind betreut und deshalb einer Erwerbstätigkeit nicht nachgeht, deutlich schwächer ausgestaltet. Die Verpflichtung des anderen Elternteils zur Gewährung von Unterhalt an den betreuenden Elternteil endet gemäß § 1615 l Abs. 2 Satz 3 BGB im Regelfall spätestens drei Jahre nach der Geburt des Kindes.
Diese unterschiedliche Regelung der Dauer des Unterhaltsanspruchs eines kinderbetreuenden Elternteils ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Sie verstößt gegen das in Art. 6 Abs. 5 GG an den Gesetzgeber gerichtete Gebot, nichtehelichen Kindern gleiche Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung zu schaffen wie ehelichen Kindern. Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts auf eine Vorlage des Oberlandesgerichts Hamm. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2008 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. Bis zum Inkrafttreten der Neuregelung kommen die bestehenden Regelungen weiter zu Anwendung.
Die Entscheidung ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
I. Der Gesetzgeber hat dem in Art. 6 Abs. 5 GG enthaltenen Verbot einer Schlechterstellung nichtehelicher Kinder gegenüber ehelichen Kindern zuwidergehandelt. Art. 6 Abs. 5 verbietet, mit zweierlei Maß zu messen und bei ehelichen Kindern eine erheblich längere persönliche Betreuung für angezeigt zu halten als bei nichtehelichen Kindern. Denn wie viel ein Kind an persönlicher elterlicher Betreuung und Zuwendung bedarf, richtet sich nicht danach, ob es ehelich oder nichtehelich geboren ist. Durch die ungleiche Dauer der Unterhaltsansprüche wegen der Betreuung von Kindern wird das nichteheliche Kind gegenüber dem ehelichen Kind zurückgesetzt, weil ihm die Möglichkeit genommen wird, ebenso lang wie ein eheliches Kind im Mittelpunkt elterlicher Sorge zu stehen. Diese unterschiedliche Behandlung ist nicht gerechtfertigt.
1. Sie rechtfertigt sich nicht durch unterschiedliche soziale Situationen, in denen sich die Kinder befinden. Die tatsächlichen Lebensbedingungen von ehelichen Kindern geschiedener Eltern und nichtehelichen Kindern unterscheiden sich prinzipiell nur unwesentlich. In beiden Fällen ist der betreuende Elternteil auf die Sicherstellung seines Unterhalts angewiesen, wenn er das Kind persönlich betreuen und deshalb keiner Erwerbsarbeit nachgehen will.
2. Auch die im Gesetzgebungsverfahren angeführte große Bandbreite unterschiedlicher Lebensgestaltungen, die im Gegensatz zu verheirateten Eltern bei nichtverheirateten Eltern anzutreffen sei, vermag die ungleiche Dauer der Unterhaltsansprüche kinderbetreuender Elternteile nicht zu rechtfertigen. Art. 6 Abs. 5 GG bezweckt gerade die Gleichstellung von Kindern, deren Eltern keine Verantwortung füreinander übernommen haben, mit solchen Kindern, deren Eltern in ehelicher Verbundenheit füreinander und für ihr Kind Sorge tragen. Auf die Art der elterlichen Beziehung kommt es hinsichtlich eines Unterhaltsanspruchs, der wegen der Pflege oder Erziehung eines Kindes gewährt wird, nicht an. Der Unterhaltspflichtige wird vom Gesetz nicht um des anderen Elternteils willen, sondern wegen des Kindes in Anspruch genommen, damit dieses persönlich von einem Elternteil betreut werden kann. Auch führt die Vielgestaltigkeit nichtehelicher Beziehungen nicht zu unterschiedlicher Elternverantwortung gegenüber dem Kind.
3. Die ungleiche Dauer der Unterhaltsansprüche rechtfertigt sich auch nicht dadurch, dass bei geschiedenen Ehegatten im Gegensatz zu nicht miteinander verheirateten Eltern die eheliche Solidarität nachwirkt und Ansprüche begründen kann, die Nichtverheirateten nicht zustehen.
Zwar ist es wegen des Schutzes, den die eheliche Verbindung durch Art. 6 Abs. 1 GG erfährt, nicht ausgeschlossen, einen geschiedenen Elternteil unterhaltsrechtlich besser zustellen als einen unverheirateten Elternteil, was sich mittelbar auch auf die Lebenssituation der mit diesen Elternteilen zusammenlebenden Kinder auswirken kann. So etwa hat ein geschiedener Elternteil ungeachtet des Alters des von ihm betreuten Kindes einen Unterhaltsanspruch gegen den anderen Elternteil, wenn er eine angemessene Erwerbsarbeit nicht findet. Räumt der Gesetzgeber aber dem geschiedenen Ehegatten einen Unterhaltsanspruch allein wegen der persönlichen Betreuung des gemeinsamen Kindes ein, dann verbietet es ihm Art. 6 Abs. 5 GG, die Dauer der für notwendig erachteten persönlichen Betreuung beim ehelichen Kind anders zu bemessen als bei einem nichtehelichen Kind.
Weder dem Wortlaut des § 1570 BGB noch seiner Entstehungsgeschichte ist eine über die Kinderbetreuung hinausgehende Ausrichtung des Unterhaltsanspruchs zu entnehmen. Für den vom Gesetzgeber erst später nachgeschobenen Hinweis, dass der Betreuungsunterhalt auch durch den zusätzlichen Schutzzweck der nachehelichen Solidarität begründet sei, finden sich keine Anhaltspunkte. Die ausschließlich nach dem Kindesalter bemessene Dauer des Unterhaltsanspruchs aus § 1570 BGB spricht vielmehr gegen die Annahme und Berücksichtigung eines solchen weiteren, die Dauer des Anspruchs bestimmenden Grundes. Auch die Rechtsprechung richtet die Unterhaltsdauer ausschließlich am Alter der Kinder aus. Das Alter eines Kindes ist sicherlich ein geeigneter Anknüpfungspunkt, um den Bedarf eines Kindes an persönlicher Betreuung durch einen Elternteil zu bestimmen. Das Alter ist aber kein tauglicher Maßstab dafür, zeitlich zu bestimmen, wie lange einem Elternteil nicht wegen der Kinderbetreuung, sondern wegen seines Vertrauens auf die während der Ehe eingenommene Rolle als Betreuer des Kindes Unterhalt gewährt werden sollte. Aufgrund der Anknüpfung ausschließlich an das Alter des Kindes beruht die unterschiedliche Dauer des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt allein auf einer unterschiedlichen Einschätzung des Betreuungsbedarfs von nichtehelichen und ehelichen Kindern. Dies aber verbietet Art. 6 Abs. 5 GG.
II. § 1615 l Abs. 2 Satz 3 BGB verletzt dagegen nicht das von Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht. Die zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs auf in der Regel drei Jahre ist im Lichte des Art. 6 Abs. 2 GG nicht zu beanstanden. Zum einen liegt es in der Einschätzungskompetenz des Gesetzgebers, für wie lange er es aus Kindeswohlgesichtspunkten für erforderlich und dem unterhaltspflichtigen Elternteil zumutbar erachtet, die persönliche Betreuung des Kindes durch einen Elternteil durch Gewährung eines Unterhaltsanspruchs an diesen zu ermöglichen. Zum anderen hat er jedem Kind ab dem dritten Lebensjahr einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz eingeräumt. Damit hat er sichergestellt, dass ein Kind ab diesem Alter in der Regel eine außerhäusliche Betreuung erfahren kann. Es ist eine vertretbare Einschätzung des Gesetzgebers, wenn er es deshalb nicht für notwendig erachtet hat, den betreuenden Elternteil länger von seiner Erwerbsobliegenheit zu entbinden, vielmehr unter Auswertung wissenschaftlicher Studien davon ausgegangen ist, eine Betreuung des Kindes im Kindergarten sei diesem nicht abträglich, sondern fördere wichtige Kompetenzen des Kindes.
III. Für die Beseitigung des verfassungswidrigen Zustands stehen dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. So kann er eine Gleichbehandlung der Regelungssachverhalte durch eine Änderung des § 1615 l BGB, durch eine Änderung von § 1570 BGB oder durch eine Neuregelung beider Sachverhalte vornehmen. Dabei hat er nur in jedem Fall einen gleichen Maßstab hinsichtlich der Dauer des Betreuungsunterhalts bei nichtehelichen und ehelichen Kindern zugrunde zu legen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 23.05.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 56/07 des BVerfG vom 23.05.2007
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