24.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss28.02.2007

Unter­schiedliche Dauer der Unter­halts­ansprüche für die Betreuung ehelicher und nichtehelicher Kinder ist verfas­sungs­widrigGesetzgeber muss Gleich­be­handlung sicherstellen

Die derzeitige Behandlung unverheirateter Eltern beim Unterhalt für die Betreuung ihrer Kinder ist verfas­sungs­widrig. Das geht aus einem Beschluss des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hervor. Das Gericht sah eine ungerecht­fertigte Schlech­ter­stellung des betreuenden Elternteils von nicht ehelichen Kindern gegenüber Elternteilen, die eheliche Kinder betreuen. Der betreuende Elternteil von ehelichen Kindern kann vom anderen Elternteil mindestens bis zum achten Lebensjahr des Kindes Unterhalt verlangen, ohne selbst einer Erwer­b­s­tä­tigkeit nachgehen zu müssen. Bei Unverheirateten besteht dieser Anspruch nur drei Jahre. Dies verstoße gegen das Gebot nichtehelichen Kindern gleiche Bedingungen wie ehelichen Kindern zu schaffen. Der Gesetzgeber muss bis Ende 2008 eine Neuregelung schaffen.

Nach § 1570 BGB kann ein geschiedener Elternteil von dem früheren Ehegatten Unterhalt verlangen, solange und soweit von ihm wegen der Pflege oder Erziehung eines gemein­schaft­lichen Kindes eine Erwer­b­s­tä­tigkeit nicht erwartet werden kann. Übereinstimmend geht die Rechtsprechung davon aus, dass bis zum Alter eines Kindes von acht Jahren beziehungsweise bis zum Ende seiner Grundschulzeit für den betreuenden Elternteil keine Erwer­b­s­ob­lie­genheit besteht. Demgegenüber ist der in § 1615 l BGB normierte Anspruch eines Elternteils, der ein nichteheliches Kind betreut und deshalb einer Erwer­b­s­tä­tigkeit nicht nachgeht, deutlich schwächer ausgestaltet. Die Verpflichtung des anderen Elternteils zur Gewährung von Unterhalt an den betreuenden Elternteil endet gemäß § 1615 l Abs. 2 Satz 3 BGB im Regelfall spätestens drei Jahre nach der Geburt des Kindes.

Diese unter­schiedliche Regelung der Dauer des Unter­halts­an­spruchs eines kinder­be­treuenden Elternteils ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Sie verstößt gegen das in Art. 6 Abs. 5 GG an den Gesetzgeber gerichtete Gebot, nichtehelichen Kindern gleiche Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung zu schaffen wie ehelichen Kindern. Dies entschied der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts auf eine Vorlage des Oberlan­des­ge­richts Hamm. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2008 eine verfas­sungs­gemäße Regelung zu treffen. Bis zum Inkrafttreten der Neuregelung kommen die bestehenden Regelungen weiter zu Anwendung.

Die Entscheidung ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

I. Der Gesetzgeber hat dem in Art. 6 Abs. 5 GG enthaltenen Verbot einer Schlech­ter­stellung nichtehelicher Kinder gegenüber ehelichen Kindern zuwider­ge­handelt. Art. 6 Abs. 5 verbietet, mit zweierlei Maß zu messen und bei ehelichen Kindern eine erheblich längere persönliche Betreuung für angezeigt zu halten als bei nichtehelichen Kindern. Denn wie viel ein Kind an persönlicher elterlicher Betreuung und Zuwendung bedarf, richtet sich nicht danach, ob es ehelich oder nichtehelich geboren ist. Durch die ungleiche Dauer der Unter­halts­ansprüche wegen der Betreuung von Kindern wird das nichteheliche Kind gegenüber dem ehelichen Kind zurückgesetzt, weil ihm die Möglichkeit genommen wird, ebenso lang wie ein eheliches Kind im Mittelpunkt elterlicher Sorge zu stehen. Diese unter­schiedliche Behandlung ist nicht gerechtfertigt.

1. Sie rechtfertigt sich nicht durch unter­schiedliche soziale Situationen, in denen sich die Kinder befinden. Die tatsächlichen Lebens­be­din­gungen von ehelichen Kindern geschiedener Eltern und nichtehelichen Kindern unterscheiden sich prinzipiell nur unwesentlich. In beiden Fällen ist der betreuende Elternteil auf die Sicherstellung seines Unterhalts angewiesen, wenn er das Kind persönlich betreuen und deshalb keiner Erwerbsarbeit nachgehen will.

2. Auch die im Gesetz­ge­bungs­ver­fahren angeführte große Bandbreite unter­schied­licher Lebens­ge­stal­tungen, die im Gegensatz zu verheirateten Eltern bei nicht­ver­hei­rateten Eltern anzutreffen sei, vermag die ungleiche Dauer der Unter­halts­ansprüche kinder­be­treuender Elternteile nicht zu rechtfertigen. Art. 6 Abs. 5 GG bezweckt gerade die Gleichstellung von Kindern, deren Eltern keine Verantwortung füreinander übernommen haben, mit solchen Kindern, deren Eltern in ehelicher Verbundenheit füreinander und für ihr Kind Sorge tragen. Auf die Art der elterlichen Beziehung kommt es hinsichtlich eines Unter­halts­an­spruchs, der wegen der Pflege oder Erziehung eines Kindes gewährt wird, nicht an. Der Unter­halts­pflichtige wird vom Gesetz nicht um des anderen Elternteils willen, sondern wegen des Kindes in Anspruch genommen, damit dieses persönlich von einem Elternteil betreut werden kann. Auch führt die Vielge­stal­tigkeit nichtehelicher Beziehungen nicht zu unter­schied­licher Eltern­ver­ant­wortung gegenüber dem Kind.

3. Die ungleiche Dauer der Unter­halts­ansprüche rechtfertigt sich auch nicht dadurch, dass bei geschiedenen Ehegatten im Gegensatz zu nicht miteinander verheirateten Eltern die eheliche Solidarität nachwirkt und Ansprüche begründen kann, die Nicht­ver­hei­rateten nicht zustehen.

Zwar ist es wegen des Schutzes, den die eheliche Verbindung durch Art. 6 Abs. 1 GG erfährt, nicht ausgeschlossen, einen geschiedenen Elternteil unter­halts­rechtlich besser zustellen als einen unverheirateten Elternteil, was sich mittelbar auch auf die Lebenssituation der mit diesen Elternteilen zusam­men­le­benden Kinder auswirken kann. So etwa hat ein geschiedener Elternteil ungeachtet des Alters des von ihm betreuten Kindes einen Unterhaltsanspruch gegen den anderen Elternteil, wenn er eine angemessene Erwerbsarbeit nicht findet. Räumt der Gesetzgeber aber dem geschiedenen Ehegatten einen Unter­halts­an­spruch allein wegen der persönlichen Betreuung des gemeinsamen Kindes ein, dann verbietet es ihm Art. 6 Abs. 5 GG, die Dauer der für notwendig erachteten persönlichen Betreuung beim ehelichen Kind anders zu bemessen als bei einem nichtehelichen Kind.

Weder dem Wortlaut des § 1570 BGB noch seiner Entste­hungs­ge­schichte ist eine über die Kinderbetreuung hinausgehende Ausrichtung des Unter­halts­an­spruchs zu entnehmen. Für den vom Gesetzgeber erst später nachgeschobenen Hinweis, dass der Betreu­ungs­un­terhalt auch durch den zusätzlichen Schutzzweck der nachehelichen Solidarität begründet sei, finden sich keine Anhaltspunkte. Die ausschließlich nach dem Kindesalter bemessene Dauer des Unter­halts­an­spruchs aus § 1570 BGB spricht vielmehr gegen die Annahme und Berück­sich­tigung eines solchen weiteren, die Dauer des Anspruchs bestimmenden Grundes. Auch die Rechtsprechung richtet die Unterhaltsdauer ausschließlich am Alter der Kinder aus. Das Alter eines Kindes ist sicherlich ein geeigneter Anknüp­fungspunkt, um den Bedarf eines Kindes an persönlicher Betreuung durch einen Elternteil zu bestimmen. Das Alter ist aber kein tauglicher Maßstab dafür, zeitlich zu bestimmen, wie lange einem Elternteil nicht wegen der Kinderbetreuung, sondern wegen seines Vertrauens auf die während der Ehe eingenommene Rolle als Betreuer des Kindes Unterhalt gewährt werden sollte. Aufgrund der Anknüpfung ausschließlich an das Alter des Kindes beruht die unter­schiedliche Dauer des Anspruchs auf Betreu­ungs­un­terhalt allein auf einer unter­schied­lichen Einschätzung des Betreu­ungs­bedarfs von nichtehelichen und ehelichen Kindern. Dies aber verbietet Art. 6 Abs. 5 GG.

II. § 1615 l Abs. 2 Satz 3 BGB verletzt dagegen nicht das von Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht. Die zeitliche Begrenzung des Unter­halts­an­spruchs auf in der Regel drei Jahre ist im Lichte des Art. 6 Abs. 2 GG nicht zu beanstanden. Zum einen liegt es in der Einschät­zungs­kom­petenz des Gesetzgebers, für wie lange er es aus Kindes­wohl­ge­sichts­punkten für erforderlich und dem unter­halts­pflichtigen Elternteil zumutbar erachtet, die persönliche Betreuung des Kindes durch einen Elternteil durch Gewährung eines Unter­halts­an­spruchs an diesen zu ermöglichen. Zum anderen hat er jedem Kind ab dem dritten Lebensjahr einen Anspruch auf einen Kinder­gar­tenplatz eingeräumt. Damit hat er sichergestellt, dass ein Kind ab diesem Alter in der Regel eine außerhäusliche Betreuung erfahren kann. Es ist eine vertretbare Einschätzung des Gesetzgebers, wenn er es deshalb nicht für notwendig erachtet hat, den betreuenden Elternteil länger von seiner Erwer­b­s­ob­lie­genheit zu entbinden, vielmehr unter Auswertung wissen­schaft­licher Studien davon ausgegangen ist, eine Betreuung des Kindes im Kindergarten sei diesem nicht abträglich, sondern fördere wichtige Kompetenzen des Kindes.

III. Für die Beseitigung des verfas­sungs­widrigen Zustands stehen dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. So kann er eine Gleich­be­handlung der Regelungs­sach­verhalte durch eine Änderung des § 1615 l BGB, durch eine Änderung von § 1570 BGB oder durch eine Neuregelung beider Sachverhalte vornehmen. Dabei hat er nur in jedem Fall einen gleichen Maßstab hinsichtlich der Dauer des Betreu­ungs­un­terhalts bei nichtehelichen und ehelichen Kindern zugrunde zu legen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 56/07 des BVerfG vom 23.05.2007

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