24.11.2024
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Dokument-Nr. 2646

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Bundesgerichtshof Urteil05.07.2006

BGH stärkt Unter­halts­an­spruch für nichteheliche KinderUnter­schiedliche Unter­halts­fristen aber wegen des besonderen Schutzes der Familie zulässig

Der Bundes­ge­richtshof hatte sich mit einem weiteren Teilaspekt des Unter­halts­an­spruchs der nicht mit dem Vater des Kindes verheirateten Mutter nach § 1615 l Abs. 2 BGB zu befassen.

Nach dieser Vorschrift steht der Mutter ein Unter­halts­an­spruch für die Dauer von mindestens drei Jahren zu, soweit von ihr wegen der Pflege und Erziehung des Kindes eine Erwer­b­s­tä­tigkeit nicht erwartet werden kann. Unterhalt kann aber auch darüber hinaus zugesprochen werden, wenn dies aus Billig­keits­gründen, insbesondere mit Blick auf die Belange des Kindes, geboten ist. Damit unterscheidet sich die Vorschrift von § 1570 BGB, der einer geschiedenen Mutter wegen der Pflege und Erziehung des gemeinsamen Kindes grundsätzlich einen unbefristeten Unter­halts­an­spruch einräumt. Nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur kann die geschiedene Ehefrau regelmäßig erst dann auf eine eigene Berufstätigkeit verwiesen werden, wenn ihr Kind das achte (Teilzeit­tä­tigkeit) bzw. das 15. Lebensjahr (volle Erwer­b­s­tä­tigkeit) vollendet hat.

In Rechtsprechung und Literatur ist deswegen umstritten, ob die grundsätzliche Begrenzung des Unter­halts­an­spruchs der nicht verheirateten Mutter auf drei Jahre dem Gleich­heitsgebot und dem besonderen Schutz der nichtehelich geborenen Kinder genügt. Das Oberlan­des­gericht Schleswig hat im vorliegenden Fall eine verfas­sungs­gemäße Auslegung nach Billigkeit für möglich gehalten. Es hat der Klägerin, die zuletzt als Assistenzärztin tätig war, einen Unter­halts­an­spruch bis zur Vollendung des siebten Lebensjahres der gemeinsamen Tochter zugesprochen, weil sie wegen ihrer Erkrankung neben der Pflege und Erziehung des gemeinsamen Kindes nur zu einer halbschichtigen Tätigkeit in der Lage sei.

Der Senat hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen und die Rechts­auf­fassung des Oberlan­des­ge­richts Schleswig gebilligt. Zwar ist eine vollständige Angleichung des Unter­halts­an­spruchs aus Anlass der Geburt an den Unter­halts­an­spruch des geschiedenen Ehegatten nicht von Verfassungs wegen geboten; die gesetzliche Regelung in § 1615 l Abs. 2 Satz 3 BGB ist aber verfas­sungsgemäß auszulegen, wobei elternbezogene, insbesondere aber kindbezogene Gründe für eine Fortdauer des Unter­halts­an­spruchs berücksichtigt werden müssen.

Art. 6 Abs. 1 GG stellt die Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, was sich wegen der nachehelichen Solidarität in besonderer Weise auf den Unter­halts­an­spruch eines geschiedenen Ehegatten auswirkt. Die Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes kann sich demgegenüber zwar nicht in gleicher Weise auf den Schutz der Ehe und Familie berufen. Denn dem Anspruch der nichtehelichen Mutter können höchst unter­schiedliche Sachverhalte zugrunde liegen, sodass deswegen eine flexiblere Unter­halts­re­gelung geboten ist als es beim nachehelichen Unterhalt der Fall ist. Aus verfas­sungs­recht­licher Sicht kann aber die Ausgestaltung der nichtehelichen Lebens­ge­mein­schaft im Einzelfall einen besonderen Vertrau­en­s­tat­bestand begründen, der als elternbezogener Grund eine Fortdauer des Unter­halts­an­spruchs über die Vollendung des dritten Lebensjahres hinaus aus Billigkeit gebietet.

Nach Art. 6 Abs. 5 GG hat der Gesetzgeber nichtehelich geborenen Kindern die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung zu schaffen wie ehelichen Kindern. Dieses Gebot wirkt sich auf den Unter­halts­an­spruch der Mutter, um den es hier geht, allerdings nur insoweit aus, als die Pflege und Erziehung des Kindes betroffen ist. Zwar kann die Mutter seit Inkrafttreten des Schwangeren- und Famili­en­hil­fe­än­de­rungs­ge­setzes zum 1. Oktober 1995 frei entscheiden, ob sie das Kind selbst betreut oder wegen ihrer Erwer­b­s­tä­tigkeit die Erziehung anderweit regelt. (siehe auch Urteil des Bundes­ge­richtshofs vom 17. November 2004 - Wegfall des Unter­halts­an­spruchs einer nicht verheirateten Mutter bei Heirat eines anderen Mannes) Aus unter­halts­recht­licher Sicht hat sie dabei jedoch besondere staatliche Hilfen, die ihr die Kindererziehung erleichtern sollen, in Anspruch zu nehmen. Bei der Bemessung des Unter­halts­an­spruchs ist deswegen auch zu berücksichtigen, dass inzwischen genügend Kinder­gar­ten­plätze jedenfalls für eine Halbtags­be­treuung zur Verfügung stehen, wie sich aus dem Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) "Die Politik der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland" vom 26. November 2004 ergibt.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 99/06 des BGH vom 05.07.2006

der Leitsatz

BGB § 1615 l Abs. 2 Satz 3; GG Art. 6 Abs. 1, 2 und 5, Art. 3 Abs. 1

a) Die grundsätzliche Befristung des Unter­halts­an­spruchs der nichtehelichen Mutter auf die Dauer von drei Jahren ab Geburt des Kindes bewirkt keine verfas­sungs­widrige Schlech­ter­stellung des nichtehelich geborenen Kindes gegenüber ehelich geborenen Kindern.

b) Ob es, insbesondere unter Berück­sich­tigung der Belange des Kindes, grob unbillig ist, einen Unter­halts­an­spruch nach Ablauf von drei Jahren nach der Geburt zu versagen, ist in verfas­sungs­kon­former Auslegung unter Berück­sich­tigung kindbezogener wie elternbezogener Gründe zu entscheiden.

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