18.10.2024
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Bundesgerichtshof Beschluss09.08.2016

BGH zu den Anforderungen an Vorsor­ge­vollmacht und Patien­ten­ver­fügung im Zusammenhang mit dem Abbruch lebens­er­hal­tender MaßnahmenAnforderungen an die Bestimmtheit einer Patien­ten­ver­fügung dürfen nicht überspannt werden

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, welche Anforderungen eine Vorsor­ge­vollmacht und eine Patien­ten­ver­fügung im Zusammenhang mit dem Abbruch von lebens­er­hal­tenden Maßnahmen erfüllen müssen.

Die 1941 geborene Betroffene des zugrunde liegenden Verfahrens erlitt Ende 2011 einen Hirnschlag. Noch im Krankenhaus wurde ihr eine Magensonde gelegt, über die sie seitdem ernährt wird und Medikamente verabreicht bekommt. Im Januar 2012 wurde sie in ein Pflegeheim aufgenommen. Die zu diesem Zeitpunkt noch vorhandene Fähigkeit zur verbalen Kommunikation verlor sie infolge einer Phase epileptischer Anfälle im Frühjahr 2013. Die Betroffene hatte 2003 und 2011 zwei wortlau­ti­den­tische, mit "Patien­ten­ver­fügung" betitelte Schriftstücke unterschrieben. In diesen war niedergelegt, dass unter anderem dann, wenn aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibe, "lebens­ver­län­gernde Maßnahmen unterbleiben" sollten. An die "Patien­ten­ver­fügung" angehängt war die einer ihrer drei Töchter erteilte Vorsor­ge­vollmacht, dann an ihrer Stelle mit der behandelnden Ärztin alle erforderlichen Entscheidungen abzusprechen, ihren Willen im Sinne dieser Patientenverfügung einzubringen und in ihrem Namen Einwendungen vorzutragen, die die Ärztin berücksichtigen solle.

Betroffene erteilt Tochter Genera­l­vollmacht für Fragen der medizinischen Versorgung und Behandlung

Außerdem hatte die Betroffene 2003 in einer notariellen Vollmacht dieser Tochter Genera­l­vollmacht erteilt. Diese berechtigte zur Vertretung auch in Fragen der medizinischen Versorgung und Behandlung. Die Bevollmächtigte könne "in eine Untersuchung des Gesund­heits­zu­standes, in eine Heilbehandlung oder in die Durchführung eines ärztlichen Eingriffs einwilligen, die Einwilligung hierzu verweigern oder zurücknehmen." Die Vollmacht enthielt zudem die Befugnis, über den Abbruch lebens­ver­län­gernder Maßnahmen zu entscheiden mit dem Zusatz, dass die Betroffene im Falle einer zum Tode führenden Erkrankung keinen Wert auf solche Maßnahmen lege, wenn feststehe, dass eine Besserung des Zustands nicht erwartet werden könne.

Andere Töchter der Betroffenen verlangen Widerruf der Vollmacht durch Kontroll­be­treuer

Die Bevollmächtigte und die die Betroffene behandelnde Hausärztin sind übereinstimmend der Auffassung, dass der Abbruch der künstlichen Ernährung gegenwärtig nicht dem Willen der Betroffenen entspricht. Demgegenüber vertreten die beiden anderen Töchter der Betroffenen die gegenteilige Meinung und haben deshalb beim Betreu­ungs­gericht angeregt, einen sogenannten Kontroll­be­treuer nach § 1896 Abs. 3 BGB zu bestellen, der die ihrer Schwester erteilten Vollmachten widerruft. Während das Amtsgericht dies abgelehnt hat, hat das Landgericht den amtsge­richt­lichen Beschluss aufgehoben und eine der beiden auf Abbruch der künstlichen Ernährung drängenden Töchter zur Betreuerin der Betroffenen mit dem Aufgabenkreis "Widerruf der von der Betroffenen erteilten Vollmachten, allerdings nur für den Bereich der Gesund­heits­fürsorge", bestellt. Die Rechts­be­schwerde der bevoll­mäch­tigten Tochter war erfolgreich. Sie führt zur Zurück­ver­weisung der Sache an das Landgericht.

Vollmachten ermächtigen lediglich zur Mitsprache, nicht aber zur Bestimmung der Vorgehensweise

Ein Bevoll­mäch­tigter kann nach § 1904 BGB die Einwilligung, Nicht­ein­wil­ligung und den Widerruf der Einwilligung des einwil­li­gungs­un­fähigen Betroffenen rechtswirksam ersetzen, wenn ihm die Vollmacht schriftlich erteilt ist und der Vollmachttext hinreichend klar umschreibt, dass sich die Entschei­dungs­kom­petenz des Bevoll­mäch­tigten auf die im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, diese zu unterlassen oder am Betroffenen vornehmen zu lassen. Hierzu muss aus der Vollmacht auch deutlich werden, dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesund­heit­lichen Schadens verbunden sein kann. Ob die beiden von der Betroffenen erteilten privat­schrift­lichen Vollmachten diesen inhaltlichen Erfordernissen gerecht werden, unterliegt Bedenken, weil sie nach ihrem Wortlaut lediglich die Ermächtigung zur Mitsprache in den in der Patien­ten­ver­fügung genannten Fallge­stal­tungen, nicht aber zur Bestimmung der Vorgehensweise enthalten. Jedenfalls die notarielle Vollmacht genügt aber den gesetzlichen Anforderungen.

Äußerung "Keine lebens­er­hal­tenden Maßnahmen" enthält keine hinreichend konkrete Behand­lungs­ent­scheidung

Eine schriftliche Patien­ten­ver­fügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB entfaltet unmittelbare Bindungswirkung nur dann, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nicht­ein­wil­ligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Von vornherein nicht ausreichend sind allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patien­ten­ver­fügung dürfen aber auch nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behand­lungs­si­tuation will und was nicht. Die Äußerung, "keine lebens­er­hal­tenden Maßnahmen" zu wünschen, enthält jedenfalls für sich genommen keine hinreichend konkrete Behand­lungs­ent­scheidung. Die insoweit erforderliche Konkretisierung kann aber gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behand­lungs­si­tua­tionen erfolgen.

Privat­schriftliche Schriftstücke und notarielle Vollmacht kommen nicht als bindende Patien­ten­ver­fü­gungen in Betracht

Danach kommen sowohl die beiden privat­schrift­lichen Schriftstücke als auch die in der notariellen Vollmacht enthaltenen Äußerungen nicht als bindende, auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerichtete Patien­ten­ver­fü­gungen in Betracht. Sie beziehen sich nicht auf konkrete Behand­lungs­maß­nahmen, sondern benennen ganz allgemein "lebens­ver­län­gernde Maßnahmen". Auch im Zusammenspiel mit den weiteren enthaltenen Angaben ergibt sich nicht die für eine Patien­ten­ver­fügung zu verlangende bestimmte Behand­lungs­ent­scheidung.

Bevollmächtigte setzt sich durch eigenes Verhalten nicht über Willen der Mutter hinweg

Auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen ergibt sich auch kein auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerichteter Behand­lungs­wunsch oder mutmaßlicher Wille der Betroffenen. Daher kann derzeit nicht angenommen werden, dass die Bevollmächtigte sich offenkundig über den Willen ihrer Mutter hinwegsetzt, was für die Anordnung einer Kontroll­be­treuung in diesem Zusammenhang erforderlich wäre. Das Landgericht wird nach Zurück­ver­weisung allerdings zu prüfen haben, ob mündliche Äußerungen der Betroffenen vorliegen, die einen Behand­lungs­wunsch darstellen oder die Annahme eines auf Abbruch der künstlichen Ernährung gerichteten mutmaßlichen Willens der Betroffenen rechtfertigen.

Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt:

Erläuterungen

§ 1901 a BGB Patien­ten­ver­fügung

(1) Hat ein einwil­li­gungs­fähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwil­li­gungs­un­fä­higkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesund­heits­zu­stands, Heilbe­hand­lungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patien­ten­ver­fügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behand­lungs­si­tuation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patien­ten­ver­fügung kann jederzeit formlos widerrufen werden.

(2) Liegt keine Patien­ten­ver­fügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patien­ten­ver­fügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behand­lungs­si­tuation zu, hat der Betreuer die Behand­lungs­wünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvor­stel­lungen des Betreuten.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten.

(4) Niemand kann zur Errichtung einer Patien­ten­ver­fügung verpflichtet werden. Die Errichtung oder Vorlage einer Patien­ten­ver­fügung darf nicht zur Bedingung eines Vertrags­schlusses gemacht werden.

(5) Die Absätze 1 bis 3 gelten für Bevollmächtigte entsprechend.

§ 1904 BGB Genehmigung des Betreu­ungs­ge­richts bei ärztlichen Maßnahmen

(1) Die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesund­heits­zu­stands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Betreu­ungs­ge­richts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesund­heit­lichen Schaden erleidet. Ohne die Genehmigung darf die Maßnahme nur durchgeführt werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist.

(2) Die Nicht­ein­wil­ligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesund­heits­zu­stands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Betreu­ungs­ge­richts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesund­heit­lichen Schaden erleidet.

(3) Die Genehmigung nach den Absätzen 1 und 2 ist zu erteilen, wenn die Einwilligung, die Nicht­ein­wil­ligung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht.

(4) Eine Genehmigung nach den Absätzen 1 und 2 ist nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 a festgestellten Willen des Betreuten entspricht.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für einen Bevoll­mäch­tigten. Er kann in eine der in Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 2 genannten Maßnahmen nur einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung widerrufen, wenn die Vollmacht diese Maßnahmen ausdrücklich umfasst und schriftlich erteilt ist.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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