24.11.2024
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Bundesgerichtshof Beschluss17.03.2003

BGH zur vormund­schafts­ge­richt­lichen Genehmigung von Betreu­e­rent­schei­dungen im Zusammenhang mit lebens­ver­län­gernden Maßnahmen an einwil­li­gungs­un­fähigen Patienten

Ein durch Apparatemedizin am Leben gehaltener Patient darf trotz seines in einer Patien­ten­ver­fügung festgelegten Willens nicht sterben, wenn dem nicht ein Vormund­schafts­gericht zustimmt. Das hat der Bundes­ge­richtshof entschieden.

Der jetzt 72-jährige Betroffene erlitt im November 2000 infolge eines Myoca­r­din­farktes einen hypoxischen Gehirnschaden im Sinne eines apallischen Syndroms. Seither wird er über eine PEG-(Magen-)Sonde ernährt; eine Kontaktaufnahme mit ihm ist nicht möglich. Der Sohn des Betroffenen, der zum Betreuer u.a. für den Aufgabenkreis "Sorge für die Gesundheit des Betroffenen, ... Vertretung gegenüber ... Einrichtungen (z.B. Heimen) ..." bestellt wurde, verlangt, die künstliche Ernährung seines Vaters einzustellen, da eine Besserung des Zustandes seines Vaters nicht zu erwarten sei. Die Ehefrau und die Tochter des Betroffenen unterstützen diese Forderung. Der Betreuer verweist auf eine maschi­nen­schriftliche und vom Betroffenen im November 1998 handschriftlich unterzeichnete Verfügung, in der es u.a. heißt:

"Für den Fall, daß ich zu einer Entscheidung nicht mehr fähig bin, verfüge ich: Im Fall meiner irreversiblen Bewußtlosigkeit, schwerster Dauerschäden meines Gehirns oder des dauernden Ausfalls lebenswichtiger Funktionen meines Körpers oder im Endstadium einer zum Tode führenden Krankheit, wenn die Behandlung nur noch dazu führen würde, den Vorgang des Sterbens zu verlängern, will ich: - keine Inten­siv­be­handlung, - Einstellung der Ernährung, ...".

Die Oberlan­des­ge­richte Frankfurt und Karlsruhe hatten zuvor ausgesprochen, daß die Einwilligung des Betreuers eines selbst nicht mehr entschei­dungs­fähigen, irreversibel hirnge­schä­digten Betroffenen in den Abbruch der Ernährung mittels einer PEG-(Magen-)Sonde analog § 1904 BGB der vormund­schafts­ge­richt­lichen Genehmigung bedürfe. Das Schleswig-Holsteinische Oberlan­des­gericht verneint eine Geneh­mi­gungs­pflicht; es hat deshalb die Sache dem Bundes­ge­richtshof zur Entscheidung vorgelegt.

Der XII. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hat für den vorliegenden Fall die Notwendigkeit einer vormund­schafts­ge­richt­lichen Zustimmung bejaht. Er hat dabei zur Zulässigkeit lebens­er­hal­tender oder -verlängernder Maßnahmen allgemein Stellung genommen und auch die Bedeutung sog. Patien­ten­ver­fü­gungen unterstrichen:

Sei ein Patient einwil­li­gungs­unfähig und habe sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen, so müßten lebens­er­haltende oder -verlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies seinem zuvor - etwa in Form einer sog. Patien­ten­ver­fügung - geäußerten Willen entspreche. Dies folge aus der Würde des Menschen, die es gebiete, sein in einwil­li­gungs­fähigem Zustand ausgeübtes Selbst­be­stim­mungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigen­ver­ant­wort­lichem Entscheiden nicht mehr in der Lage sei. Nur wenn ein solcher erklärter Wille des Patienten nicht festgestellt werden könne, beurteile sich die Zulässigkeit solcher Maßnahmen nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten, der dann individuell - also aus dessen Lebens­ent­schei­dungen, Wertvor­stel­lungen und Überzeugungen - zu ermitteln sei.

Sei - wie hier - für den Patienten ein Betreuer bestellt, so habe dieser dem Patientenwillen gegenüber Arzt und Pflegepersonal in eigener rechtlicher Verantwortung Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Seine Einwilligung in eine ärztlicherseits angebotene lebens­er­haltende oder -verlängernde Behandlung könne der Betreuer jedoch nur mit Zustimmung des Vormund­schafts­ge­richts wirksam verweigern. Für eine Einwilligung des Betreuers und eine Zustimmung des Vormund­schafts­ge­richts sei allerdings kein Raum, wenn ärztlicherseits eine solche Behandlung oder Weiter­be­handlung nicht angeboten werde - sei es daß sie von vornherein medizinisch nicht indiziert, nicht mehr sinnvoll oder aus sonstigen Gründen nicht möglich sei. Die Entschei­dungs­zu­stän­digkeit der Vormund­schafts­ge­richte folge aber aus einer Gesamtschau des Betreu­ungs­rechts und dem unabweisbaren Bedürfnis, mit den Instrumenten dieses Rechts auch auf Fragen im Grenzbereich menschlichen Lebens und Sterbens für alle Beteiligten rechtlich verantwortbare Antworten zu finden.

Vorinstanzen:

OLG Schleswig, AG Lübeck

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 52/2003 des BGH vom 10.04.2003

der Leitsatz

BGB §§ 1896, 1901, 1904

a) Ist ein Patient einwil­li­gungs­unfähig und hat sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen, so müssen lebens­er­haltende oder -verlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies seinem zuvor - etwa in Form einer sog. Patien­ten­ver­fügung - geäußerten Willen entspricht. Dies folgt aus der Würde des Menschen, die es gebietet, sein in einwil­li­gungs­fähigem Zustand ausgeübtes Selbst­be­stim­mungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigen­ver­ant­wort­lichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist. Nur wenn ein solcher erklärter Wille des Patienten nicht festgestellt werden kann, beurteilt sich die Zulässigkeit solcher Maßnahmen nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten, der dann individuell - also aus dessen Lebens­ent­schei­dungen, Wertvor­stel­lungen und Überzeugungen - zu ermitteln ist.

b) Ist für einen Patienten ein Betreuer bestellt, so hat dieser dem Patientenwillen gegenüber Arzt und Pflegepersonal in eigener rechtlicher Verantwortung und nach Maßgabe des § 1901 BGB Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Seine Einwilligung in eine ärztlicherseits angebotene lebens­er­haltende oder –verlängernde Behandlung kann der Betreuer jedoch nur mit Zustimmung des Vormund­schafts­ge­richts wirksam verweigern. Für eine Einwilligung des Betreuers und eine Zustimmung des Vormund­schafts­ge­richts ist kein Raum, wenn ärztlicherseits eine solche Behandlung oder Weiter­be­handlung nicht angeboten wird - sei es daß sie von vornherein medizinisch nicht indiziert, nicht mehr sinnvoll oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist. Die Entschei­dungs­zu­stän­digkeit des Vormund­schafts­ge­richts ergibt sich nicht aus einer analogen Anwendung des § 1904 BGB, sondern aus einem unabweisbaren Bedürfnis des Betreu­ungs­rechts.

c) Zu den Voraussetzungen richterlicher Rechts­fort­bildung.

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