18.10.2024
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Bundesgerichtshof Beschluss22.06.2016

Eintragung eines Intersexuellen im Gebur­ten­re­gister als "inter" oder "divers" unzulässigIntersexuelle Menschen können lediglich Löschung des bisher angegebenen Geschlechts in Gebur­ten­re­gister verlangen

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass das Personen­stands­gesetz eine Eintragung wie "inter" oder "divers" als Angabe des Geschlechts eines Intersexuellen im Gebur­ten­re­gister nicht zulässt.

Im zugrunde liegenden Fall begehrte die antragstellende Person die Änderung ihres Geburtseintrags dahin, dass ihr Geschlecht als "inter" oder "divers" angegeben wird. Zur Begründung hat die 1989 geborene und als Mädchen in das Geburtenregister eingetragene Betroffene eine Chromo­so­me­n­analyse vorgelegt, wonach sie über einen numerisch auffälligen Chromosomensatz mit einem X-Chromosom und einem fehlenden zweiten Gonosom verfügt. Sie sei weder Frau noch Mann. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Das Oberlan­des­gericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer zugelassenen Rechts­be­schwerde.

Familienrecht geht von einem binären Geschlech­ter­system aus

Die Rechts­be­schwerde hatte keinen Erfolg. Eine Änderung der Eintragung im Gebur­ten­re­gister in "inter" bzw. "divers" ist nach geltendem Recht nicht möglich. Das folgt bereits aus dem Wortlaut der § 21 Abs. 1 Nr. 3* iVm § 22 Abs. 3 PStG. Es ist auch keine verfas­sungs­konforme Auslegung der Norm im Sinne des Begehrens der antrag­stel­lenden Person geboten. Eintragungen in Perso­nen­stands­re­gistern haben lediglich eine dienende Funktion; sie enthalten Angaben, die insbesondere nach den Regeln des Familienrechts grundlegende Bedeutung für die persönliche Rechtsstellung besitzen. Das Familienrecht geht von einem binären Geschlech­ter­system aus (Mann oder Frau). Der Gesetzgeber hat zwar mit der Neuregelung des § 22 Abs. 3 PStG** für intersexuelle Menschen, die sich den bekannten Geschlechtern nicht zuordnen lassen, die Möglichkeit geschaffen, von einer Eintragung des Geschlechts im Gebur­ten­re­gister abzusehen. Er hat damit jedoch kein weiteres Geschlecht geschaffen.

Betroffene kann Angabe des Geschlechts nachträglich aus Gebur­ten­re­gister löschen lassen

Der Bundes­ge­richtshof hat auch keine Veranlassung gesehen, die Sache dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG*** vorzulegen. Die Frage, ob die früher bestehende Notwendigkeit, entweder als männlich oder als weiblich im Gebur­ten­re­gister eingetragen zu werden, Intersexuelle in ihren Grundrechten verletzt, stellt sich nicht mehr. Denn die Betroffene kann seit der Änderung des Perso­nen­stands­rechts zum 1. November 2013 erreichen, dass die Angabe des Geschlechts ("Mädchen") nachträglich aus dem Gebur­ten­re­gister gelöscht wird, was von ihr aber ersichtlich nicht gewünscht wird.

Mögliche Übertragbarkeit der Rechtsprechung des BVerfG zur Transsexualität auf Fälle der Intersexualität hier nicht entschei­dungs­re­levant

Schließlich macht es für die Betroffene im Ergebnis keinen - verfas­sungs­rechtlich bedeutsamen - Unterschied, ob ein geschlechts­zu­ord­nender Eintrag unterbleibt oder - wie von ihr begehrt - ein Eintrag erfolgt, der keinem bestehenden "Geschlecht" zugeordnet werden kann, also rein dekla­ra­to­rischer Natur ist. Die Frage, in welcher Weise der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten ist, der Situation der intersexuellen Menschen durch eine Änderung des Familienrechts Rechnung zu tragen, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen, weil es der Betroffenen allein um die Eintragung ihres Geschlechts als "inter" oder "divers" im Gebur­ten­re­gister geht. Deshalb musste der Bundes­ge­richtshof auch nicht entscheiden, ob sich die Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zur Transsexualität auf Fälle der Intersexualität übertragen lässt. Zu bedenken ist dabei allerdings, dass anders als bei der Zuordnung zu einem schon bestehenden Geschlecht (wie im Falle der Transsexualität) durch die Schaffung eines weiteren Geschlechts staatliche Ordnungs­in­teressen in weitaus erheblicherem Umfang betroffen wären.

*§ 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG

Erläuterungen
Im Gebur­ten­re­gister werden beurkundet

1. [...]

2. [...]

3. das Geschlecht des Kindes,

**§ 22 Abs. 3 PStG

Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Perso­nen­standsfall ohne eine solche Angabe in das Gebur­ten­re­gister einzutragen.

***Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG

Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfas­sungs­widrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfas­sungs­strei­tig­keiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richtes einzuholen.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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