21.11.2024
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Landgericht Nürnberg-Fürth Urteil17.12.2015

Klage einer Intersexuellen wegen unzureichender Aufklärung vor geschlechts­anpassender Behandlung erfolgreichLG Nürnberg-Fürth bejaht grundsätzlichen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat entschieden, dass einer Intersexuellen, die vor einer Mitte der 90er-Jahre erfolgten geschlechts­anpassenden Behandlung nicht ausreichend über ihre genetische Disposition aufgeklärt wurde, grundsätzlich einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz zusteht.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Intersexuelle, die nicht als Klägerin oder Kläger bezeichnet werden wollte (denn gerade darum geht es in diesem Rechtsstreit) warf den Beklagten - dem Univer­si­täts­klinikum Erlangen und einem dort tätigen Arzt - nicht nur vor, sie falsch behandelt zu haben. Sie stützt ihre Klage vor allem auch darauf, vor der Behandlung als damals 20-Jährige nicht darüber aufgeklärt worden zu sein, dass sie nicht nur weibliche, sondern auch männliche Geschlechts­anteile hat, also weder Mann noch Frau ist, sondern - so beschreibt sie sich selbst - ein Zwitter. Statt ihr dies mitzuteilen, habe man sie im Rahmen einer geschlechts­zu­wei­senden Therapie mit erheblichen gesund­heit­lichen Nebenfolgen als Frau behandelt. Damit habe man ihr die Möglichkeit genommen, als Mann therapiert zu werden oder den Zustand ohne eindeutige Geschlechts­zu­ordnung zu belassen. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte sie in die Behandlung nicht eingewilligt.

Beklagte beruft sich auf ärztliche Lehrbücher und dort empfohlene frühzeitige Zuweisung zu einem Geschlecht

Die Beklagten verteidigen sich unter anderem damit, dass bis Mitte der 90er-Jahre in ärztlichen Lehrbüchern noch eine frühzeitige Zuweisung zu einem Geschlecht empfohlen worden sei und man zum Schutz der psychosexuellen Gesundheit und einer ungestörten Geschlecht­s­i­dentität von einer "radikalen" Aufklärung abgeraten habe.

LG erklärt feminisierende Operation für rechtswidrig

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat zwar keinen Behandlungsfehler der Beklagten festgestellt, bejahte aber dem Grunde nach einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz insoweit, als eine feminisierende Operation im Juli 1995 ohne wirksame Einwilligung vorgenommen worden und daher rechtswidrig gewesen sei.

Ärzte hätten über Zustand des intersexuellen Genitals aufklären müssen

Die von der Intersexuellen erteilte Einwilligung sei unwirksam, weil die Ärzte ihr kein zutreffendes Bild von ihrem gesund­heit­lichen Zustand vermittelt hätten. Dazu hätte es auch 1995 schon gehört, der schon Erwachsenen den Zustand ihres intersexuellen Genitals mitzuteilen und ihr Ursachen und Folgen jedenfalls in den Grundzügen verständlich zu erläutern. Nur so hätte Martina H. die Bedeutung und Tragweite der ihr vorgeschlagenen feminisierenden Behandlung erkennen und eine selbstbestimmte Entscheidung treffen können.

Gericht bejaht dem Grunde nach Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz

Der Intersexuellen stehe deshalb gegen das Univer­si­täts­klinikum Erlangen dem Grunde nach ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz zu. Zur Bestimmung der Höhe des Schmer­zens­geldes bedürfe es allerdings einer weiteren Beweisaufnahme. Insoweit wird der Prozess fortzusetzen sein.

Keine Haftung des ausführenden Operateurs

Der mitverklagte ausführende Operateur hingegen hafte nicht dafür, dass die klagende Intersexuelle von anderer Seite bei der Entwicklung des Gesamt­be­hand­lungs­konzepts nur unzureichend aufgeklärt worden sei. Die gegen ihn erhobene Klage hat das Gericht deshalb abgewiesen.

Quelle: Oberlandesgericht Nürnberg/ra-online

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