Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Intersexuelle, die nicht als Klägerin oder Kläger bezeichnet werden wollte (denn gerade darum geht es in diesem Rechtsstreit) warf den Beklagten - dem Universitätsklinikum Erlangen und einem dort tätigen Arzt - nicht nur vor, sie falsch behandelt zu haben. Sie stützt ihre Klage vor allem auch darauf, vor der Behandlung als damals 20-Jährige nicht darüber aufgeklärt worden zu sein, dass sie nicht nur weibliche, sondern auch männliche Geschlechtsanteile hat, also weder Mann noch Frau ist, sondern - so beschreibt sie sich selbst - ein Zwitter. Statt ihr dies mitzuteilen, habe man sie im Rahmen einer geschlechtszuweisenden Therapie mit erheblichen gesundheitlichen Nebenfolgen als Frau behandelt. Damit habe man ihr die Möglichkeit genommen, als Mann therapiert zu werden oder den Zustand ohne eindeutige Geschlechtszuordnung zu belassen. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte sie in die Behandlung nicht eingewilligt.
Die Beklagten verteidigen sich unter anderem damit, dass bis Mitte der 90er-Jahre in ärztlichen Lehrbüchern noch eine frühzeitige Zuweisung zu einem Geschlecht empfohlen worden sei und man zum Schutz der psychosexuellen Gesundheit und einer ungestörten Geschlechtsidentität von einer "radikalen" Aufklärung abgeraten habe.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat zwar keinen Behandlungsfehler der Beklagten festgestellt, bejahte aber dem Grunde nach einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz insoweit, als eine feminisierende Operation im Juli 1995 ohne wirksame Einwilligung vorgenommen worden und daher rechtswidrig gewesen sei.
Die von der Intersexuellen erteilte Einwilligung sei unwirksam, weil die Ärzte ihr kein zutreffendes Bild von ihrem gesundheitlichen Zustand vermittelt hätten. Dazu hätte es auch 1995 schon gehört, der schon Erwachsenen den Zustand ihres intersexuellen Genitals mitzuteilen und ihr Ursachen und Folgen jedenfalls in den Grundzügen verständlich zu erläutern. Nur so hätte Martina H. die Bedeutung und Tragweite der ihr vorgeschlagenen feminisierenden Behandlung erkennen und eine selbstbestimmte Entscheidung treffen können.
Der Intersexuellen stehe deshalb gegen das Universitätsklinikum Erlangen dem Grunde nach ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz zu. Zur Bestimmung der Höhe des Schmerzensgeldes bedürfe es allerdings einer weiteren Beweisaufnahme. Insoweit wird der Prozess fortzusetzen sein.
Der mitverklagte ausführende Operateur hingegen hafte nicht dafür, dass die klagende Intersexuelle von anderer Seite bei der Entwicklung des Gesamtbehandlungskonzepts nur unzureichend aufgeklärt worden sei. Die gegen ihn erhobene Klage hat das Gericht deshalb abgewiesen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 21.12.2015
Quelle: Oberlandesgericht Nürnberg/ra-online