Im zugrunde liegenden Fall klagte eine geschiedene Ehefrau gegenüber ihren Ex-Mann auf Zahlung von Kindesunterhalt für die gemeinsame Tochter. Der Ex-Mann hatte in der Vergangenheit eine Vielzahl von Berufen ausgeübt, war jedoch im Zeitpunkt des Gerichtsverfahrens arbeitslos und bezog Sozialleistungen. Die Ex-Frau behauptete, der Ex-Mann sei in der Lage zu arbeiten. Da er sich jedoch weigere dem nachzukommen, müsse ein fiktives Einkommen hinzugerechnet werden.
Das Amtsgericht Marburg hielt den Ex-Mann für unterhaltspflichtig, während das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. eine Unterhaltspflicht verneinte. Seiner Auffassung nach, sei der Ex-Mann auch nach den Anforderungen der gesteigerten Unterhaltspflicht aus § 1603 Abs. 2 BGB nicht leistungsfähig gewesen. Er habe keinen Betrag für den Kindesunterhalt aufbringen können, ohne seinen eigenen Selbstbehalt zu gefährden. Es sei zudem aufgrund seines Berufslebens nicht zu erwarten gewesen, dass er ein Vollzeitjob bekommt. Außerdem sei nicht ersichtlich gewesen, dass er im Rahmen eines Minijobs einen Betrag über den Selbstbehalt erhält, welchen er zum Unterhalt einsetzen habe können. Die Hinzurechnung eines fiktiven Einkommens wegen Verstoß gegen seine Erwerbsobliegenheit scheide daher aus. Gegen die Entscheidung legte die Ex-Frau Beschwerde ein.
Nach Einlegung der Beschwerde, führte nunmehr die volljährig gewordene Tochter das Unterhaltsverfahren weiter. Der Bundesgerichtshof hielt diesen Beteiligtenwechsel für zulässig. Jedoch betonte er, dass dies nicht automatisch nach Eintritt der Volljährigkeit des unterhaltsberechtigten Kindes geschehen dürfe. Denn nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Prozess- bzw. Verfahrensstandschaft nach § 1629 Abs. 3 BGB folge, dass es der freien Entscheidung des volljährig gewordenen Kindes überlassen bleiben muss, ob es sich am Verfahren beteiligt und dieses fortsetzt. Die Vorschrift lasse zwingend nur die Geltendmachung des Unterhalts durch den sorgeberechtigten Elternteil zu, um das Kind aus dem Streit der Eltern herauszuhalten. Dem würde es widersprechen, wenn das Kind mit Eintritt der Volljährigkeit ohne Rücksicht auf seinen Willen zur Partei bzw. zum Beteiligten des Verfahrens wird.
Der Bundesgerichtshof bestätigte darüber hinaus die Entscheidung des Oberlandesgerichts und wies die Beschwerde der Ex-Frau zurück. Denn nach § 1603 Abs. 1 BGB sei nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen nicht in der Lage ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Dies sei hier der Fall gewesen.
Zwar sei es richtig, so der Bundesgerichtshof weiter, dass fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden können, wenn der Unterhaltspflichtige eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt. Dies setze jedoch voraus, dass eine reale Beschäftigungschance besteht. Davon sei hier aber angesichts der wechselvollen Erwerbsbiografie des Ex-Manns nicht auszugehen gewesen.
Es sei außerdem aus Sicht der Bundesrichter richtig, dass ein fiktives Einkommen berücksichtigt werden kann, wenn der Unterhaltspflichtige im Rahmen eines Minijobs ein über den Selbstbehalt liegendes Nebeneinkommen erzielen könnte. Dies setze aber voraus, dass es dem Unterhaltspflichtigen möglich ist, eine Geringverdienertätigkeit auszuüben und, dass er dabei ein anrechnungsfreies Einkommen erzielen kann, welches über den Selbstbehalt liegt. Dies sei aber weder von der Tochter vorgetragen worden, noch sonst ersichtlich gewesen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 06.09.2013
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)