Die Verfassungsbeschwerde betraf einer unterhaltsrechtlichen Abänderungsklage. Es klagte ein Mann, der vom Thüringer Oberlandesgericht dazu verurteilt worden war, nachehelichen Unterhalt von 785,77 EUR zu zahlen. Das Gericht hatte dabei ein fiktives Gehalt von 3.067,75 EUR netto zugrunde gelegt.
Das Thüringer Oberlandesgericht begründete seine Entscheidung damit, dass der Mann darlegungs- und beweislastbelastet dafür ist, dass er ein früheres die ehelichen Lebensverhältnisse prägendes Einkommen nicht mehr erziele und nicht mehr erzielen könne. An dem im Zeitpunkt der Scheidung erreichten Einkommensniveau sei auch dann festzuhalten, wenn er den Nachweis, dass er ein solches Einkommen bei Entfaltung entsprechender Bemühungen nicht mehr erlangen könne, nicht erbracht habe. Vorliegend entsprächen die Bewerbungen des Beschwerdeführers um eine angemessene Tätigkeit weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht den Anforderungen des Senats, sodass dem Beschwerdeführer wegen Verletzung seiner Erwerbsobliegenheiten ein fiktives Einkommen zuzurechnen sei.
Das Bundesverfassungsgericht kassierte das Urteil des Oberlandesgerichts. Die Verfassungsbeschwerde sei begründet, weil die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletze. Die Zurechnung eines fiktiven Einkommens von monatlich 3.067,75 € netto führe zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Beschwerdeführers, weil es für die Annahme, der Beschwerdeführer sei in der Lage, ein solches Einkommen zu erzielen, an einer tragfähigen Begründung fehlte.
Das Bundesverfassungsgericht führte weiter aus, dass ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG hier selbst dann vorliege, wenn man dem Oberlandesgericht darin folge, der Beschwerdeführer habe sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht nicht ausreichend um eine besser bezahlte Tätigkeit bemüht und sein Gesundheitszustand stehe einer Vollzeitbeschäftigung nicht entgegen.
Denn die Zurechnung fiktiver Einkünfte, welche die Leistungsfähigkeit begründen sollen, habe neben den fehlenden subjektiven Erwerbsbemühungen des Unterhaltsschuldners objektiv zur Voraussetzung, dass die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlichen Einkünfte für den Verpflichteten überhaupt erzielbar seien, was von den persönlichen Voraussetzungen des Unterhaltsschuldners wie Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und Gesundheitszustand und dem Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen abhängig sei. Werde einem Unterhaltsschuldner die Erwirtschaftung eines Einkommens abverlangt, welches er objektiv nicht erzielen könne, liege regelmäßig ein unverhältnismäßiger Eingriff in seine wirtschaftliche Handlungsfreiheit vor.
Es erscheine wenig plausibel, anzunehmen, der Beschwerdeführer habe nach langer Krankheit im Alter von 55 Jahren und weiterhin bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen unmittelbar im Anschluss an die Beendigung seiner mehrjährigen Arbeitsunfähigkeit eine Beschäftigung als angestellter Makler zu dem vom Oberlandesgericht zugrunde gelegten weit überdurchschnittlichen Gehalt finden können, argumentierten die Verfassungsrichter.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 11.06.2008
Quelle: ra-online