21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil09.07.2003

Gesteigerte Unter­halts­pflicht: BGH zur Frage, wann auch fiktives Einkommen herangezogen werden darfUnter­halts­an­spruch für minderjähriges Kind bei verminderter Erwer­b­s­tä­tigkeit des Vaters

Der Bundes­ge­richtshof (BGH) hat entschieden, dass unter Umständen ein über den Mindestbedarf hinausgehender Unter­halts­an­spruch für ein minderjähriges Kind auch aus einem fiktiv hinzurechnenden Einkommen abgeleitet werden kann.

Was war geschehen? Der zum Barunterhalt verpflichtete Vater hat im Juni 1997 seine Arbeitsstelle gekündigt, weil er, so trug er vor, nach der Entfernung eines bösartigen Blasentumors an einer gravierenden Blasenschwäche leiden würde. Diese erlaube ihm nicht mehr, die bis dahin durchgeführte Tätigkeit auszuführen. Nach der Kündigung führte der unter­halts­pflichtige Vater weniger gut bezahlte Tätigkeiten aus, so dass er nicht mehr so leistungsfähig (zahlungsfähig) war und nur noch den Minde­st­un­terhalt leistete. Zeitweise war er selbständig tätig.

Der BGH führte aus, dass dem Unter­halts­schuldner aufgrund seiner erweiterten Unter­halts­pflicht gegenüber minderjährigen Kindern nach § 1603 Abs. 2 BGB obliege, eine gesteigerte Ausnutzung seiner Arbeitskraft, die es ihm ermögliche, nicht nur den Mindestbedarf, sondern auch den angemessenen Unterhalt des Kindes sicherzustellen.

So könne einem Unter­halts­pflichtigen ein fiktives Einkommen zugerechnet werden, wenn die verminderten Einkünfte auf die Aufgabe des Arbeitsplatzes zurückzuführen seien. Denn einerseits könne dem Unter­halts­pflichtigen die Berufung auf seine eingeschränkte Leistungs­fä­higkeit nach Treu und Glauben verwehrt sein; zum anderen werde die Leistungs­fä­higkeit eines Unter­halts­pflichtigen nicht durch die tatsächlich vorhandenen, sondern auch durch solche Mittel bestimmt, die er bei gutem Willen durch eine zumutbare Erwer­b­s­tä­tigkeit unter Umständen auch im Wege eines Orts- oder Berufswechsels erreichen könne.

Allerdings sei eine selbst herbeigeführte Leistungs­fä­higkeit des Unter­halts­schuldners, bedingt durch die Aufnahme einer selbständigen Erwer­b­s­tä­tigkeit mit erheblicher Einkom­men­s­einbuße beachtlich, wenn nicht im Einzelfall schwerwiegende Gründe vorlägen, die dem Verpflichteten nach Treu und Glauben die Berufung auf seine eingeschränkte Leistungs­fä­higkeit verwehrten. Ein solcher Verstoß nach Treu und Glauben komme im Allgemeinen nur in Betracht, wenn dem Pflichtigen ein verant­wor­tungsloses, zumindest leichtfertiges Verhalten zur Last zu legen sei. Sofern die Aufgabe eines Arbeitsplatzes auf gesund­heit­lichen Gründen beruhe, sei zu prüfen, ob der Unter­halts­pflichtige überhaupt eine reale anderweitige Beschäf­ti­gung­s­chance hatte.

Vorinstanzen: OLG Zweibrücken, AG Zweibrücken

Quelle: ra-online

der Leitsatz

a) Zur Frage der gesteigerten Ausnutzung der Arbeitskraft eines Unter­halts­pflichtigen zur Sicherung des angemessenen Unterhalts seines minderjährigen Kindes.

b) Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen einem Unter­halts­pflichtigen, der krank­heits­bedingt seinen früheren Arbeitsplatz aufgegeben hat und nunmehr erheblich weniger verdient als zuvor, ein höheres fiktives Erwer­b­s­ein­kommen zugerechnet werden kann (im Anschluss an Senatsurteil vom 15. November 1995 - XII ZR 231/94 - FamRZ 1996, 345).

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