21.11.2024
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Bundesgerichtshof Beschluss03.05.2017

Streit um Schutzimpfung: Entscheidung kann bei gemeinsam sorge­be­rech­tigten nichtehelichen Eltern zum Wohl des Kindes auf einen Elternteil übertragen werdenBGH zum Entschei­dungsrecht bei Uneinigkeit der Eltern über Schutzimpfung ihres Kindes

Der Bundes­ge­richtshof hatte sich mit der Frage zu befassen, wie ein zwischen sorge­be­rech­tigten Eltern in Bezug auf die Schutzimpfungen ihres Kindes entstandener Streit beizulegen ist.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die gemeinsam sorge­be­rech­tigten nichtehelichen Eltern ihrer im Juni 2012 geborenen Tochter. Diese lebt bei der Mutter. Zwischen den Eltern besteht Uneinigkeit über die Notwendigkeit von Schutzimpfungen für ihre Tochter. Sie haben wechselseitig die Allein­über­tragung der Gesund­heitssorge beantragt. Der Vater befürwortet die Durchführung der alter­s­ent­spre­chenden Schutzimpfungen, die durch die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) empfohlen werden. Die Mutter ist der Meinung, dass das Risiko von Impfschäden schwerer wiege als das allgemeine Infek­ti­o­ns­risiko. Nur wenn ärztlicherseits Impfschäden mit Sicherheit ausgeschlossen werden könnten, könne sie eine anlas­su­n­ab­hängige Impfung ihrer Tochter befürworten.

Verfahrensgang

Das Amtsgericht hat dem Vater das Entschei­dungsrecht über die Durchführung von Impfungen übertragen. Auf die Beschwerde der Mutter hat das Oberlan­des­gericht es bei der Übertragung der Entschei­dungs­be­fugnis auf den Vater belassen, diese aber auf Schutzimpfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Pneumokokken, Rotaviren, Meningokokken C, Masern, Mumps und Röteln beschränkt.

Entschei­dungs­be­fugnis kann Elternteil gerichtlich zugesprochen werden

Die hiergegen eingelegte Rechts­be­schwerde der Mutter blieb ohne Erfolg. Nach § 1628 Satz 1 BGB* kann das Familiengericht, wenn sich die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Die Entschei­dungs­kom­petenz ist dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungs­vor­schlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird.

Impfung stellt Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind dar

Die Durchführung von Schutzimpfungen stellt keine alltägliche Angelegenheit dar, welche nach § 1687 Abs. 1 BGB** in die Entschei­dungs­be­fugnis des Elternteils fiele, bei dem sich das Kind aufhält, sondern eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind. Bei Impfungen handelt es sich bereits nicht um Entscheidungen, die als Alltags­an­ge­le­gen­heiten häufig vorkommen. Die Entscheidung, ob das Kind während der Minder­jäh­rigkeit gegen eine bestimmte Infek­ti­o­ns­krankheit geimpft werden soll, fällt im Gegensatz zu Angelegenheiten des täglichen Lebens regelmäßig nur einmal an. Sowohl das durch eine Impfung vermeidbare und mit möglichen Komplikationen verbundene Infek­ti­o­ns­risiko als auch das Risiko einer Impfschädigung belegen die erhebliche Bedeutung.

Impfemp­feh­lungen der STIKO vom BGH als medizinischer Standard anerkannt

Das Oberlan­des­gericht hat den Vater mit Recht als besser geeignet angesehen, um über die Durchführung der aufgezählten Impfungen des Kindes zu entscheiden. Es hat hierfür in zulässiger Weise darauf abgestellt, dass der Vater seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiert. Die Impfemp­feh­lungen der STIKO sind vom Bundes­ge­richtshof bereits als medizinischer Standard anerkannt worden. Da keine einschlägigen Einzel­fa­l­lum­stände wie etwa bei dem Kind bestehende besondere Impfrisiken vorliegen, konnte das Oberlan­des­gericht auf die Impfemp­feh­lungen als vorhandene wissen­schaftliche Erkenntnisse zurückgreifen. Die von der Mutter erhobenen Vorbehalte, die aus ihrer Befürchtung einer "unheilvollen Lobbyarbeit von Pharmaindustrie und der Ärzteschaft" resultieren, musste das Oberlan­des­gericht dagegen nicht zum Anlass für die Einholung eines gesonderten Sachver­stän­di­gen­gut­achtens über allgemeine Impfrisiken nehmen.

* § 1628 BGB Gerichtliche Entscheidung bei Meinungs­ver­schie­den­heiten der Eltern

Können sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen, so kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. [...]

** § 1687 Abs. 1 BGB Ausübung der gemeinsamen Sorge bei Getrenntleben

(1) Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so ist bei Entscheidungen in Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, ihr gegenseitiges Einvernehmen erforderlich. Der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, hat die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens. Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. [...]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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