In dem zugrunde liegenden Fall stritten sich die getrennt lebenden Eltern einer Tochter über die Notwendigkeit von Schutzimpfungen. Während die Kindesmutter, bei der die Tochter lebte, präventive Schutzimpfungen ablehnte und nur im Falle einer konkreten Ansteckungsgefahr mit erheblichen Folgen eine Impfung zulassen wollte, befürwortete der Kindesvater vorbehaltlos die Durchführung altersentsprechender Schutzimpfungen. Aufgrund des Streits beantragte der Kindesvater, ihm die alleinige Gesundheitssorge zu übertragen.
Das Amtsgericht Erfurt wies den Antrag des Kindesvaters auf Übertragung der alleinigen Gesundheitssorge für die Tochter als zu weitgehend zurück. Es übertrug ihm aber das Entscheidungsrecht über die Durchführung von Impfungen. Dagegen richtete sich die Beschwerde der Kindesmutter. Sie vertrat die Meinung, dass ihr die Impfentscheidung obliege, da ihr als betreuender Elternteil die Alltagssorge zustehe.
Das Oberlandesgericht Jena verneinte ein Recht der Kindesmutter über die Impfung der Tochter aufgrund der Alltagssorge gemäß § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB zu entscheiden. Denn wegen der mit einer Impfung ebenso mit einer Nichtimpfung potentiell verbundenen gesundheitlichen Folgewirkung liege eine erhebliche Bedeutung im Sinne von § 1628 BGB vor, so dass das Familiengericht die Entscheidung über die Impfung einem Elternteil auf Antrag übertragen kann. Einen solchen Antrag habe der Kindesvater gestellt.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichts sei dem Kindesvater die Entscheidung über die Impfung der Tochter zu übertragen. Denn dieser sei wegen seiner aufgeschlossenen Haltung bezüglich einer Impfvorsorge besser geeignet, eine kindeswohlkonforme Entscheidung zu treffen. Dadurch wird den Bedürfnissen der Tochter am besten Rechnung getragen, insofern eine Impfung nach dem allgemeinen Stand medizinischer Wissenschaft geboten erscheine, um der Gefahr gravierender, zum Teil nicht behandelbarer Erkrankungen zu begegnen. Davon sei hinsichtlich den von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Impfungen auszugehen.
Die vom Amtsgericht umfassend übertragene Entscheidungskompetenz hielt das Oberlandesgericht für zu weitgehend. Vielmehr sei diese auf die von der STIKO empfohlenen Impfungen (Tetanus, Diphterie, Pertussis, Pneumokokken, Rotaviren, Meningokokken C, Masern, Mumps, Röteln, Windpocken) zu beschränken.
Soweit die Kindesmutter Schutzimpfungen nur aus konkretem Anlass zu lassen wollte, hielt das Oberlandesgericht für ungeeignet, gesundheitliche Gefahren von dem Kind abzuwenden. Denn unter Umständen käme die Impfung zu spät, da sie erst nach der Ansteckung erfolge. Zudem sei eine Impfung für ein durch eine Verletzung belastetes Immunsystem deutlich riskanter, als dies bei einem gesunden und unversehrten Kind der Fall sei. Darüber hinaus fehle es an zuverlässigen Kontrollmechanismen, mit denen die Kindesmutter sicherstellen könne, jederzeit Gefahrenherde zu erkennen, um zeitnah Impfmaßnahmen ergreifen zu können.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 29.09.2016
Quelle: Oberlandesgericht Jena, ra-online (vt/rb)