18.10.2024
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Dokument-Nr. 31002

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Bundesgerichtshof Beschluss27.10.2021

Bei finanziell leistungs­fähigen Großeltern keine gesteigerte Unter­halts­pflicht der Eltern für ihre KinderFinanziell leistungsfähige Großeltern mindern Kindes­unterhalts­pflicht des Vaters

Der Bundes­ge­richtshofs hatte zu klären, ob die sog. gesteigerte Unter­halts­pflicht der Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern auch dann besteht, wenn finanziell leistungsfähige Großeltern vorhanden sind. Diese Frage ist u.a. dafür von Bedeutung, ob ein erwerbstätiger Elternteil für den Kindesunterhalt sein oberhalb des sog. notwendigen Selbstbehalts (derzeit 1.160 €) liegendes Einkommen einzusetzen hat oder lediglich das Einkommen oberhalb seines sog. angemessenen Selbstbehalts (derzeit 1.400 €).

Im zugrun­de­lie­genden Fall hat ein Bundesland als Träger der Unter­halts­vor­schusskasse Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht für den Zeitraum von Juni 2016 bis einschließlich Dezember 2017 verlangt. Der Antragsgegner ist der Vater der im August 2010 geborenen M., die aus seiner inzwischen geschiedenen Ehe mit der Kindesmutter hervorgegangen ist, sowie eines Sohnes, dem er ebenfalls unter­halts­pflichtig ist. Er verfügte über ein Nettoeinkommen von rund 1.400 € und zahlte an die Kindesmutter, deren Nettoeinkommen aus einer Teilzeit­tä­tigkeit rund 1.000 € betrug, monatlichen Unterhalt für M. in Höhe von 100 €. Seine Eltern - die Großeltern von M. - hatten monatliche Nettoeinkünfte von fast 3.500 € bzw. gut 2.200 €.

Haftung ja - aber nur bis zur Höhe des angemessenen Selbstbehalts

Die Unter­halts­vor­schusskasse leistete für M. Unter­halts­vor­schuss und nahm den Vater von auf sie übergegangenen Unterhalt in Höhe von insgesamt 758,29 € in Regress. Der Antragsgegner wandte ein, er hafte angesichts der leistungs­fähigen Großeltern nur bis zur Höhe des angemessenen Selbstbehalts und sei deswegen nicht leistungsfähig. Das Amtsgericht hat dem Zahlungsantrag in vollem Umfang entsprochen. Auf die Beschwerde des Vaters hat das Oberlan­des­gericht diese Entscheidung abgeändert und den Antrag abgewiesen.

Keine gesteigerte Unter­halts­pflicht bei Vorhandensein anderer unter­halts­pflichtiger Verwandter

Der Bundes­ge­richtshof hat die dagegen vom Land eingelegte Rechts­be­schwerde zurückgewiesen, weil der Vater nicht über die von ihm erbrachten Unter­halts­zah­lungen hinaus leistungsfähig im Sinne des § 1603 BGB war. Verwandte in gerader Linie haben einander nach § 1601 BGB Unterhalt zu gewähren, wobei die Unterhaltspflicht der Eltern für ihre Kinder derjenigen der Großeltern für ihre Enkel vorgeht (§ 1606 Abs. 2 BGB). Unter­halts­pflichtig ist nach § 1603 Abs. 1 BGB nicht, wer seinen angemessenen Unterhalt gefährden würde; der daraus abgeleitete angemessene Selbstbehalt eines Elternteils gegenüber seinem Kind betrug seinerzeit 1.300 €. Allerdings trifft Eltern minderjähriger Kinder gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB eine gesteigerte Unter­halts­pflicht, weshalb ihnen insoweit nur der notwendige Selbstbehalt von seinerzeit 1.080 € zusteht. Diese sog. gesteigerte Verpflichtung tritt nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 BGB nicht ein, wenn ein anderer unter­halts­pflichtiger Verwandter vorhanden ist.

Willen des Gesetzgebers im Sinne genera­ti­o­nen­über­grei­fender Solidarität

Wie der Bundes­ge­richtshof nun entschieden hat, führt das Vorhandensein von für den Enkelunterhalt leistungs­fähigen Großeltern dazu, dass die gesteigerte Unter­halts­pflicht der Eltern für ihre minderjährigen Kinder entfällt. Dies folgt nicht nur aus dem Geset­zes­wortlaut, der nicht nach dem Verwandt­schaftsgrad differenziert. Es entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der diese Regelung seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Vorstellung getroffen hatte, die Erweiterung der Unter­halts­pflicht sei wegen der für die Eltern damit verbundenen Härte nicht gerechtfertigt, so lange andere zur Gewährung des Unterhalts verpflichtete Verwandte wie etwa Großeltern vorhanden sind. An dieser gesetz­ge­be­rischen Konzeption, die sich in die Konstruktion des Verwand­ten­un­terhalts als Ausdruck der genera­ti­o­nen­über­grei­fenden Solidarität einfügt, hat sich bis heute nichts geändert. Werden Großeltern für den Unterhalt ihrer Enkel herangezogen, stellt dies auch keine verdeckte Unter­halts­ge­währung an die Kindeseltern dar. Vielmehr haften sie gemäß § 1607 Abs. 1 BGB originär nur auf Unterhalt gegenüber ihren Enkelkindern. Die Kindeseltern müssen ihren eigenen angemessenen Unterhalt selbst sicherstellen.

Ersatzhaftung der Großeltern nur die Ausnahme

Durch dieses Geset­zes­ver­ständnis wird das gesetzliche Rangverhältnis nicht in Frage gestellt. Zudem bleibt gewährleistet, dass die Ersatzhaftung der Großeltern die Ausnahme darstellt. Dafür sorgt nicht nur die Anordnung des Vorrangs der elterlichen Unter­halts­pflicht, sondern auch, dass Großeltern gegenüber ihren Enkeln ein deutlich höherer angemessener Selbstbehalt zusteht (derzeit 2.000 € zzgl. der Hälfte des über 2.000 € liegenden Einkommens) als den Eltern gegenüber ihren Kindern.

Auch Prakti­ka­bi­li­täts­er­wä­gungen führen zu keiner abweichenden Geset­zes­aus­legung

Dass der Staat für Unter­halts­vor­schuss­zah­lungen keinen Regress (§ 7 Abs. 1 Satz 1 UVG) bei Großeltern nehmen kann, ist wiederum eine ganz bewusste gesetz­ge­be­rische Entscheidung, kann jedoch nicht dafür maßgeblich sein, welchen Umfang die zivilrechtliche Unter­halts­pflicht der Eltern hat. Schließlich geben auch Prakti­ka­bi­li­täts­er­wä­gungen keine Veranlassung zu einer abweichenden Geset­zes­aus­legung. Bereits die Anzahl der Fälle, in denen intensivere Nachforschungen zu den Einkom­mens­ver­hält­nissen der Großeltern erforderlich sind, dürfte begrenzt sein. Vor allem aber muss ein auf Unterhalt in Anspruch genommener Elternteil in solchen Fällen nicht nur darlegen und beweisen, dass bei Unter­halts­zahlung sein angemessener Selbstbehalt nicht gewahrt wäre, sondern auch, dass andere leistungsfähige Verwandte vorhanden sind. Danach traf den Vater hier keine gesteigerte Unter­halts­pflicht, weil jedenfalls der Großvater ohne weiteres leistungsfähig für den Kindesunterhalt war. Unter Berück­sich­tigung des angemessenen Selbstbehalts musste der Vater daher über die bereits gezahlten 100 € hinaus keinen weiteren Kindesunterhalt leisten.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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