23.11.2024
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Dokument-Nr. 12309

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Urteil20.09.2011BundesgerichtshofXI ZR 434/10, XI ZR 435/10 und XI ZR 436/10
Vorinstanzen zu XI ZR 434/10:
  • Amtsgericht Berlin-Mitte, Urteil18.11.2009, 17 C 399/09
  • Landgericht Berlin, Urteil27.05.2010, 51 S 9/10
Vorinstanzen zu XI ZR 435/10:
  • Amtsgericht Berlin-Mitte, Urteil02.12.2009, 11 C 208/09
  • Landgericht Berlin, Urteil27.05.2010, 51 S 14/10
Vorinstanzen zu XI ZR 436/10:
  • Amtsgericht Berlin-Mitte, Urteil11.12.2009, 15 C 372/09
  • Landgericht Berlin, Urteil27.05.2010, 51 S 27/10
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil20.09.2011

BGH bejaht Fälligkeit des Entschä­di­gungs­an­spruchs nach dem Einla­gen­si­cherungs- und Anlege­rent­schä­di­gungs­gesetz in Sachen "Phoenix"Geschädigten Geldanlegern müssen Ansprüche unverzüglich ausgezahlt werden

Der Bundes­ge­richtshof hat in drei Paral­lel­ver­fahren entschieden, dass die von den Kapitalanlegern im Zusammenhang mit der Insolvenz der Phoenix Kapitaldienst GmbH gegen die Entschä­di­gungs­ein­richtung der Wertpa­pier­han­dels­un­ter­nehmen geltend gemachten Entschä­di­gungs­ansprüche fällig sind.

Die Kläger der drei Paral­lel­ver­fahren beteiligten sich jeweils in unter­schied­licher Höhe mit einem Anlagebetrag zuzüglich eines Agios an dem Phoenix Managed Account, einer von der Phoenix Kapitaldienst GmbH (im Folgenden: P. GmbH) im eigenen Namen und für gemeinsame Rechnung der Anleger verwalteten Kollektivanlage, deren Gegenstand die Anlage der Kundengelder in Termin­ge­schäften (Futures und Optionen) für gemeinsame Rechnung zu Speku­la­ti­o­ns­zwecken mit Vorrang von Still­hal­ter­ge­schäften war. Spätestens seit 1998 legte die P. GmbH nur noch einen geringen Teil der von ihren Kunden vereinnahmten Gelder vertragsgemäß in Termin­ge­schäften an. Ein Großteil der Gelder wurde im Wege eines so genannten Schnee­ba­ll­systems für Zahlungen an Altanleger und für die laufenden Geschäfts- und Betriebskosten verwendet. An die Kläger wurden keine Auszahlungen geleistet.

Sachverhalt

Im März 2005 untersagte die Bundesanstalt für Finanz­dienst­leis­tungs­aufsicht der P. GmbH den weiteren Geschäfts­betrieb und stellte am 15. März 2005 den Entschä­di­gungsfall fest. Am 1. Juli 2005 wurde über das Vermögen der P. GmbH das Insol­venz­ver­fahren eröffnet. In der Folgezeit gewährte die Beklagte den Klägern jeweils eine Teilent­schä­digung. Unter Abzug des Agios und Berück­sich­tigung der tatsächlich erzielten Gewinne und Verluste sowie der vertraglich vereinbarten Handels- und Bestand­s­pro­vi­sionen errechnete die Beklagte einen Endstand der Beteiligungen und zog hiervon einen Einbehalt wegen eines möglichen Ausson­de­rungs­rechts der Kläger an den auf den (Treuhand-)Konten noch vorhandenen Geldern und den gesetzlichen Selbstbehalt von 10 % ab. Insoweit berief sie sich darauf, dass der Insol­venz­ver­walter über das Vermögen der P. GmbH zur Frage des Bestehens von Ausson­de­rungs­rechten Rechtsgutachten eingeholt und Wirtschafts­prüfer beauftragt hatte, die in ihren Gutachten mit unter­schied­lichen Berech­nungs­me­thoden zu unter­schied­lichen Ergebnissen kamen.

Kläger halten Einbehalt bzw. Abzüge für Agio und Bestand­s­pro­vi­sionen für ungerecht­fertigt

Mit den im Urkundenprozess erhobenen Klagen begehren die Kläger die Auszahlung des wegen eines möglichen Ausson­de­rungs­rechts von der P. GmbH jeweils in Abzug gebrachten Einbehalts. Sie sind der Ansicht, der Einbehalt oder - hilfsweise - die Abzüge für Agio und Bestand­s­pro­vi­sionen seien nicht gerechtfertigt. Die Beklagte hält im Hinblick auf das Urteil des Bundes­ge­richtshofs vom 10. Februar 2011 (Az. IX ZR 49/10) an ihrer Auffassung, den Klägern stehe an den Einzahlungs- und Brokerkonten der P. GmbH ein Aussonderungs- oder Mitaus­son­de­rungsrecht zu, nicht mehr fest. Sie meint jedoch, dass die restlichen Entschä­di­gungs­ansprüche noch nicht fällig seien. Die im Laufe des Revisi­ons­ver­fahrens dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetretene Neben­in­ter­ve­n­ientin, ein dem Entschä­di­gungs­system angeschlossenes Institut, hat die Entschä­di­gungs­pflicht der Beklagten bereits dem Grunde nach bestritten, weil das Anlagemodell der P. GmbH nicht von dem Einla­gen­si­cherungs- und Anlege­rent­schä­di­gungs­gesetz erfasst werde.

Landgericht gibt Klagen in Höhe eines Teilbetrages von 90 % statt

Das Amtsgericht hat die Klagen abgewiesen. Auf die Berufungen der Kläger hat das Landgericht den Klagen in Höhe eines Teilbetrages von 90 %, d.h. unter Abzug des gesetzlichen Selbstbehalts von 10 %, stattgegeben, die weitergehenden Berufungen zurückgewiesen und der Beklagten die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten.

BGH bejaht dem Grunde nach Fälligkeit der Entschä­di­gungs­pflicht seitens der Phoenix Kapitaldienst GmbH

Der Bundes­ge­richtshof wies die Revisionen der Beklagten zurück. Er hat unter Bestätigung seiner früheren Rechtsprechung und in Übereinstimmung mit einer Entscheidung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts das Phoenix Managed Account als Finanz­kom­mis­si­ons­ge­schäft angesehen und damit die Entschä­di­gungs­pflicht der Beklagten dem Grunde nach bejaht. Die Entschä­di­gungs­ein­richtung hat nach § 5 Abs. 4 Satz 1 EAEG* die Berechtigung und die Höhe eines angemeldeten Entschä­di­gungs­an­spruchs unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, zu prüfen und diesen gemäß § 5 Abs. 4 Satz 6 EAEG* spätestens drei Monate, nachdem sie die Berechtigung und die Höhe des Anspruchs festgestellt hat, zu erfüllen. Damit ist der Anspruch fällig. Die Entschä­di­gungs­ein­richtung muss die angemeldeten Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach in eigener Verantwortung prüfen und nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 EAEG* geeignete Maßnahmen treffen, um die Gläubiger innerhalb der gesetzlichen Fristen zu entschädigen. Aufgrund dessen hat sie auftretende Fragen tatsächlicher oder rechtlicher Art selbst zu entscheiden oder kann darüber - wenn und soweit dies angezeigt ist - einen "Musterprozess" führen. Letzteres kann insbesondere bei einer schwierigen, in der höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung noch nicht geklärten Rechtsfrage in Betracht kommen. Bleibt die Entschä­di­gungs­ein­richtung dagegen untätig, tritt nach Ablauf der 3-Monats-Frist des § 5 Abs. 4 Satz 6 EAEG* die Fälligkeit der Entschä­di­gungs­ansprüche ein.

Gericht rügt Untätigkeit des Beklagten hinsichtlich der zwischen den Parteien umstrittenen Fragen des Bestehens eines Ausson­de­rungs­rechts

Nach diesen Maßgaben hat der Bundes­ge­richtshof die Fälligkeit der Entschä­di­gungs­ansprüche bejaht. Die Beklagte hat die zwischen den Parteien umstrittene Frage des Bestehens eines Ausson­de­rungs­rechts nicht selbst entschieden und auch keinen "Musterprozess" geführt, sondern ist untätig geblieben. Den Erlass des Urteils des Bundes­ge­richtshofs vom 10. Februar 2011 durfte sie nicht abwarten. Hierdurch ist zwar entschieden worden, dass den Anlegern an den Einzahlungs- und Brokerkonten der P. GmbH weder ein Aussonderungs- noch ein Mitaus­son­de­rungsrecht nach § 47 Abs. 1 InsO zusteht. Dieses von dem Insol­venz­ver­walter über das Vermögen der P. GmbH gegen einen Großanleger mit einer Betei­li­gungssumme von 11.130.000 US-Dollar betriebene Verfahren stellt aber keinen "Musterprozess" im oben genannten Sinne dar. Dies folgt bereits daraus, dass die Beklagte - selbst wenn sie sich an dem Rechtsstreit als Neben­in­ter­ve­n­ientin beteiligt hätte - nicht "Herrin" des Verfahrens gewesen wäre und z.B. eine nichtstreitige Erledigung des Rechtsstreits nicht hätte verhindern können. Aufgrund der Untätigkeit der Beklagten durften die Kläger ihre noch jeweils offene Restforderung gerichtlich geltend machen, ohne dass ihnen die Beklagte den Einwand fehlender Fälligkeit entgegenhalten kann.

*§ 5 des Einla­gen­si­cherungs- und Anlege­rent­schä­di­gungs­ge­setzes lautet:

(1) Die Bundesanstalt hat den Entschä­di­gungsfall unverzüglich festzustellen, spätestens jedoch innerhalb von fünf Arbeitstagen, nachdem sie davon Kenntnis erlangt hat, dass ein Institut nicht in der Lage ist, Einlagen zurückzuzahlen, und spätestens innerhalb von 21 Tagen, nachdem sie davon Kenntnis erlangt hat, dass ein Institut nicht in der Lage ist, Verbind­lich­keiten aus Wertpa­pier­ge­schäften zu erfüllen. […]

(2) Die Entschä­di­gungs­ein­richtung hat die Gläubiger des Instituts unverzüglich über den Eintritt des Entschä­di­gungs­falles und die Frist gemäß Absatz 3 Satz 1 zu unterrichten; sie trifft geeignete Maßnahmen, um die Gläubiger innerhalb der in Absatz 4 genannten Frist zu entschädigen. […]

(3) […]

(4) 1Die Entschä­di­gungs­ein­richtung hat die angemeldeten Ansprüche unverzüglich zu prüfen. […] 6Ansprüche, die auf die Entschädigung von Verbind­lich­keiten des Instituts aus Wertpa­pier­ge­schäften gerichtet sind, hat die Entschä­di­gungs­ein­richtung spätestens drei Monate, nachdem sie die Berechtigung und die Höhe der Ansprüche festgestellt hat, zu erfüllen. […]

(5) […]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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