23.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil11.11.2014

Öffentlicher Auftraggeber darf Bieter nicht an der Ausführung eines auf einem erheblichen Kalku­la­ti­o­ns­irrtum beruhenden Auftrags festhaltenBieter darf sich jedoch nicht unter dem Vorwand des Kalku­la­ti­o­ns­irrtums von bewusst günstig kalkuliertem Angebot loslösen

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, unter welchen Voraussetzungen es einem öffentlichen Auftraggeber verwehrt ist, auf ein Angebot den Zuschlag zu erteilen, das nur infolge eines Kalku­la­ti­o­ns­irrtums des Anbieters außerordentlich günstig ausgefallen war.

Im zugrunde liegenden Verfahren hatte der betreffende Bieter bestimmte Straßen­bau­a­r­beiten zu einem Preis von rund 455.000 Euro angeboten. Das nächst­güns­tigste Angebot belief sich auf rund 621.000 Euro. Vor Zuschlags­er­teilung erklärte er gegenüber der Vergabestelle, in einer Angebots­po­sition einen falschen Mengenansatz gewählt zu haben, und bat um Ausschluss seines Angebots von der Wertung. Dieser Bitte kam das beklagte Land nicht nach, sondern erteilte dem Bieter den Zuschlag. Da dieser den Auftrag auf Basis seines abgegebenen Angebots nicht ausführen wollte, trat das Land vom Vertrag zurück und beauftragte ein anderes Unternehmen, das die Leistung zu einem höheren Preis erbrachte. Die Mehrkosten verlangt das Land vom ursprünglich beauftragten Bieter als Schadensersatz.

BGH bejaht Verstoß gegen Rücksicht­nah­me­pflichten seitens des Auftraggebers

Das Landgericht Hannover verneinte einen Schaden­s­er­satz­an­spruch des Landes. Die Berufung des Landes ist ohne Erfolg geblieben. Der Bundes­ge­richtshof entschied, dass der öffentliche Auftraggeber gegen die ihm durch § 241 Abs. 2 BGB* auferlegten Rücksicht­nah­me­pflichten verstößt, wenn er den Bieter an der Ausführung des Auftrags zu einem Preis festhalten will, der auf einem erheblichen Kalku­la­ti­o­ns­irrtum beruht. Der Bundes­ge­richtshof hat dabei klargestellt, dass nicht jeder noch so geringe diesbezügliche Irrtum ausreicht und dass auch sichergestellt sein muss, dass sich ein Bieter nicht unter dem Vorwand des Kalku­la­ti­o­ns­irrtums von einem bewusst sehr günstig kalkulierten Angebot loslöst, weil er es im Nachhinein als für ihn selbst zu nachteilig empfindet. Die Schwelle zum Pflich­ten­verstoß durch Erteilung des Zuschlags zu einem kalku­la­ti­o­ns­irr­tums­be­hafteten Preis ist im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge aber ausnahmsweise dann überschritten, wenn vom Bieter aus Sicht eines verständigen öffentlichen Auftraggebers bei wirtschaft­licher Betrachtung schlechterdings nicht mehr erwartet werden kann, sich mit dem irrig kalkulierten Preis als einer noch annähernd äquivalenten Gegenleistung für die zu erbringende Bau-, Liefer- oder Dienstleistung zu begnügen. Verhält es sich so und führt der Auftraggeber gleichwohl den Vertragsschluss herbei, kann er vom Bieter weder Erfüllung des Vertrages noch Schadensersatz verlangen, wenn die fraglichen Arbeiten im Ergebnis nur zu einem höheren Preis als dem vom Bieter irrig kalkulierten ausgeführt werden konnten. Die Voraussetzungen für einen nach diesen Maßstäben erheblichen Kalku­la­ti­o­ns­irrtum hat das Berufungs­gericht zu Recht bejaht, wobei dem besonders großen Abstand zwischen dem irrtums­be­hafteten Angebot und dem zweit­güns­tigsten Angebot besondere Bedeutung zukommt.

* § 241 Pflichten aus dem Schuld­ver­hältnis

(1) Kraft des Schuld­ver­hält­nisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuld­ver­hältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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