18.10.2024
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Sie sehen eine Einbauküche in einer Wohnung.

Dokument-Nr. 23989

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Urteil15.03.2017BundesgerichtshofVIII ZR 270/15
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW-Spezial 2017, 321 (Michael Drasdo)Zeitschrift: NJW-Spezial, Jahrgang: 2017, Seite: 321, Entscheidungsbesprechung von Michael Drasdo
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Bühl, Urteil16.02.2015, 3 C 403/13
  • Landgericht Baden-Baden, Urteil20.11.2015, 2 S 12/15
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil15.03.2017

Eigenbedarf: Voraussetzungen zur Fortsetzung eines Mietver­hält­nisses wegen unzumutbarer HärteBGH konkretisiert Anforderungen an die Prüfung vorgetragener Härtegründe

Der Bundes­ge­richtshof hatte sich mit der Frage zu befassen, in welchem Umfang sich Gerichte mit vom Mieter vorgetragenen Härtegründen bei der Entscheidung über eine Fortsetzung eines Mietver­hält­nisses nach § 574 Abs. 1 BGB ausein­an­der­zu­setzen haben.

Die Beklagten sind seit 1997 Mieter einer Dreiein­halb­zim­mer­wohnung im Erdgeschoss eines Mehrfa­mi­li­en­hauses. Der (im Verlauf des Rechtsstreits verstorbene) Vermieter kündigte das Mietverhältnis mit der Begründung, dass er die Wohnung für die vierköpfige Familie seines Sohnes benötige, der bisher die im Obergeschoss liegende Wohnung bewohne und beabsichtige, diese Wohnung und die Wohnung der Beklagten zusammenzulegen, um zur Beseitigung der bislang beengten Wohnver­hältnisse mehr Wohnraum für seine Familie zu schaffen.

Beklagte verlangen Fortsetzung des Mietver­hält­nisses aufgrund persönlicher Härte

Die Beklagten widersprachen der Kündigung und machten unter anderem geltend, der Sohn könne mit seiner Familie alternativ die leer stehende Dachge­schoss­wohnung nutzen. Jedenfalls könnten sie - die Beklagten - die Fortsetzung des Mietver­hält­nisses aufgrund persönlicher Härte verlangen, da der im Jahre 1930 geborene Beklagte zu 1 zahlreiche gesundheitliche Einschränkungen habe und an einer beginnenden Demenz leide, die sich zu verschlimmern drohe, wenn er aus seiner gewohnten Umgebung gerissen würde. Bei einem Verlust der bisherigen Wohnung sei ein Umzug in eine Alten­pfle­ge­ein­richtung nicht zu umgehen; insoweit lehne es die noch rüstige Beklagte zu 2 aber ab, sich entweder von ihrem Mann zu trennen oder selbst in ein Altenpflegeheim zu ziehen.

Mieter können nicht Fortsetzung des Mietver­hält­nisses verlangen

Die von den Erben des bisherigen Vermieters weiterverfolgte Räumungsklage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Nach Auffassung des Berufungs­ge­richts könnten die Beklagten insbesondere auch eine Fortsetzung des Mietver­hält­nisses nach § 574 Abs. 1 BGB* nicht verlangen. Zwar könne das Vorbringen der Beklagten zu den Härtegründen als wahr unterstellt werden. Gleichwohl verdienten diese keinen Vorrang gegenüber den Interessen der Vermieterseite, nicht länger auf unabsehbare Zeit im eigenen Anwesen in beengten, einer Familie mit zwei Kindern nicht angemessenen Wohnver­hält­nissen leben oder sich auf die Dachge­schoss­wohnung verweisen lassen zu müssen.

Prüfung von Härtegründen bedarf sorgfältiger Sachver­halts­fest­stellung und Inter­es­sen­ge­wichtung

Mit der vom Bundes­ge­richtshof zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr Klagab­wei­sungs­be­gehren weiter. Der Bundes­ge­richtshof hat in seiner Entscheidung die besondere Bedeutung unterstrichen, die bei der Prüfung von Härtegründen nach § 574 Abs. 1 BGB* der sorgfältigen Sachver­halts­fest­stellung und Inter­es­sen­ge­wichtung zukommt. Insbesondere darf eine (vermeintliche) Wahrun­ter­stellung vorgetragener Härtegründe nicht dazu führen, dass es das Gericht zum Nachteil des Mieters unterlässt, sich ein in die Tiefe gehendes eigenständiges Bild von dessen betroffenen Interessen zu verschaffen.

Voraussetzungen für ein Vorliegen besonderer Härte

Nach § 574 Abs. 1 BGB* kann der Mieter einer an sich gerecht­fer­tigten ordentlichen Kündigung widersprechen und die Fortsetzung des Mietver­hält­nisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietver­hält­nisses für ihn eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Dabei müssen sich die Konsequenzen, die für den Mieter mit einem Umzug verbunden wären, deutlich von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehm­lich­keiten abheben, um als tauglicher Härtegrund in Betracht zu kommen.

Härtegründe von Berufungs­gericht nicht ausreichend geprüft

Dies hat das Berufungs­gericht im Ausgangspunkt zwar zutreffend erkannt. Es hat sich dann jedoch darauf beschränkt, den Beklag­ten­vortrag zu den Härtegründen formal als wahr zu unterstellen und anschließend zu dem Ergebnis zu gelangen, dass diese Härten keinesfalls Vorrang gegenüber den Interessen der Vermieterseite verdienten. Damit hat es das Berufungs­gericht unterlassen, sich inhaltlich mit der im Beklag­ten­vortrag zum Ausdruck gekommenen existenziellen Bedeutung der Beibehaltung der bisherigen Wohnung in der gebotenen Weise ausein­an­der­zu­setzen.

Gerichte dürfen sich bei Prüfung gesund­heit­licher Härtefallgründe nicht nur oberflächliches Bild der Situation verschaffen

Gerade bei drohenden schwerwiegenden Gesund­heits­be­ein­träch­ti­gungen oder Lebensgefahr sind die Gerichte aber verfas­sungs­rechtlich gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen sowie den daraus resultierenden Gefahren bei der Abwägung der wider­strei­tenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen. Macht ein Mieter - wie hier - derart schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen eines erzwungenen Wohnungs­wechsels geltend, müssen sich die Gerichte bei Fehlen eigener Sachkunde mittels sachver­ständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon verschaffen, welche gesund­heit­lichen Folgen im Einzelnen für den Mieter mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesund­heits­be­ein­träch­ti­gungen erreichen können und mit welcher Wahrschein­lichkeit dies eintreten kann. Erst dies versetzt die Gerichte in einem solchen Fall in die Lage, die Konsequenzen, die für den Mieter mit dem Umzug verbunden sind, im Rahmen der nach § 574 Abs. 1 BGB* notwendigen Abwägung sachgerecht zu gewichten.

Rückweisung der Sache an das Berufungs­gericht

Nachdem die insoweit notwendigen Feststellungen bislang unterblieben sind, hat der Bundes­ge­richtshof das Berufungsurteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs­gericht zurückverwiesen.

*§ 574 BGB Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung

Erläuterungen
(1) 1 Der Mieter kann der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietver­hält­nisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietver­hält­nisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. 2 Dies gilt nicht, wenn ein Grund vorliegt, der den Vermieter zur außer­or­dent­lichen fristlosen Kündigung berechtigt.

[...]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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