Im zugrunde liegenden Fall begleitete die damals 14 jährige Klägerin ihre Mutter in die Filiale der Beklagten. Während des Kassiervorgangs rutschte die Klägerin auf einem Gemüseblatt aus und stürzte zu Boden. Sie zog sich dabei einen schmerzhaften Gelenkbluterguss am rechten Knie zu. Sie nahm daraufhin die Beklagte aus Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch.
Der Bundesgerichtshof vertrat die Auffassung, dass eine Haftung aus culpa in contrahendo nicht in Betracht kam. Eine solche Haftung beruht auf einem in Ergänzung des geschriebenen Rechts geschaffenen gesetzlichen Schuldverhältnis, das aus der Aufnahme von Vertragsverhandlungen entspringt und vom tatsächlichen Zustandekommen eines Vertrages und seiner Wirksamkeit weitgehend unabhängig ist. Die aus diesem Schuldverhältnis hergeleitete Haftung für die Verletzung von Schutz- und Obhutspflichten findet bei Fällen der vorliegenden Art ihre Rechtfertigung darin, dass der Geschädigte sich zum Zwecke der Vertragsverhandlungen in den Einflussbereich des anderen Teils begeben hat und damit redlicherweise auf eine gesteigerte Sorgfalt seines Verhandlungspartners vertrauen kann.
Voraussetzung für eine Haftung aus culpa in cotrahendo ist bei derartigen Kaufverträgen aber stets, dass der Geschädigte sich mit dem Ziel des Vertragsabschlusses oder doch der Anbahnung geschäftlicher Kontakte in Verkaufsräume beigegeben habe. Daran fehlt es, wenn die den Supermarkt betretende Person von vornherein gar keine Kaufabsicht hatte. So lag der Fall hier. Die Klägerin begleitete ihre Mutter lediglich und wollte diese bei ihrem Kauf unterstützen.
Der Bundesgerichtshof führte weiter aus, dass einer Haftung des Beklagten aus culpa in contrahendo keine Bedenken entgegenstehen würden, wenn die Mutter der Klägerin auf dieselbe Weise wie ihre Tochter zu Schaden gekommen wäre. Auf dieses gesetzliche Schuldverhältnis konnte sich aber auch die Klägerin zur Rechtsfertigung ihrer vertraglichen Schadenersatzansprüche berufen. Es entspricht seit langem gefestigter Rechtsprechung, dass unter besonderen Voraussetzungen auch außenstehende, am Vertragsschluss selbst nicht beteiligte Dritte in den Schutzbereich eines Vertrages einbezogen sind, mit der Folge, dass ihnen zwar kein Anspruch auf Erfüllung der primären Vertragspflicht, wohl aber auf den durch den Vertrag gebotenen Schutz und Fürsorge zusteht. Werden die vertraglichen Nebenpflichten verletzt, können sie also Schadenersatzansprüche im eigenen Namen geltend machen. Es kommt dabei entscheidend darauf an, dass der Vertrag nach seinem Sinn und Zweck und unter Berücksichtigung von Treu und Glauben eine Einbeziehung des Dritten in seinen Schutzbereich erfordert und die eine Vertragspartei - für den Vertragspartner erkennbar - redlicherweise damit rechnen kann, dass die ihr geschuldete Obhut und Fürsorge in gleichem Maße auch dem Dritten entgegengebracht wird.
Im vorliegenden Fall kam hinzu, dass die Mutter der Klägerin für Wohl und Wehe ihrer Tochter verantwortlich war und damit allein schon aus diesem Grund redlicherweise davon ausgehen durfte, dass die sie begleitende Tochter denselben Schutz genießen würde, wie sie selbst.
Allerdings erfordert die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich des Vertrages nach Ansicht des BGH eine Beschränkung auf eng begrenzte Fälle, da sonst die vom Gesetzgeber getroffene unterschiedliche Ausgestaltung von Vertrags- und deliktischer Haftung aufgegeben oder verwischt wird.
Dass der Kaufvertrag im Zeitpunkt des Unfalls noch nicht abgeschlossen war, war im Ergebnis ohne Bedeutung. Gerade wenn man die Schutz- und Fürsorgepflicht als maßgeblichen Inhalt des durch die Anbahnung von Vertragsverhandlungen begründeten gesetzlichen Schuldverhältnisses ansieht und berücksichtigt, dass der Vertragspartner diese Obhutspflicht gleichermaßen vor wie nach Vertragsabschluss schuldet, ist die Einbeziehung Dritter, in gleicher Hinsicht schutzwürdiger Personen in dieses gesetzliche Schuldverhältnis folgerichtig.
Erläuterungen
Die Entscheidung ist aus dem Jahr 1976 und erscheint im Rahmen der Reihe "Urteile, die Rechtsgeschichte geschrieben haben".
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 25.09.2012
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)