23.11.2024
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Dokument-Nr. 12303

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Urteil07.01.1971BundesgerichtshofVII ZR 9/70
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BGHZ 55, 128Sammlung: Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (BGHZ), Band: 55, Seite: 128
  • JZ 1971, 556Zeitschrift: JuristenZeitung (JZ), Jahrgang: 1971, Seite: 556
  • NJW 1971, 609Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 1971, Seite: 609
  • WM 1971, 31Wertpapier-Mitteilungen Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (WM), Jahrgang: 1971, Seite: 31
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ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil07.01.1971

Flugreise-Fall: Minderjähriger "blinder Passagier" einer Flugreise muss übliche Vergütung zahlen ("Flugreisefall")"Luxus­auf­wen­dungen" schließen nicht Erlangung eines Vermö­gens­vorteils aus

Nimmt ein Minderjähriger ohne Rechtsgrund eine Flugreise in Anspruch, hat er den Flugpreis nach den Vorschriften über die ungerecht­fertigte Bereicherung zu erstatten, wenn er den Mangel des rechtlichen Grundes beim Empfang der Leistung kannte. Dabei kommt es nicht auf die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters, sondern auf seine Kenntnis an. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden.

Im zugrunde liegenden Fall flog der fast 18-jährige Beklagte nach Erwerb eines entsprechenden Flugscheins mit einer Linienmaschine der Klägerin von München nach Hamburg. Dort gelang es ihm, mit den Transit­pas­sa­gieren das Flugzeug wieder zu besteigen und an dem Weiterflug nach New York teilzunehmen, ohne dass er im Besitz eines Flugscheins für diese Strecke gewesen wäre. In New York wurde ihm die Einreise verweigert, da er kein Visum hatte. Die Klägerin beförderte ihn daraufhin noch am selben Tag zurück nach München. Sie verlangte unter anderem nunmehr die Zahlung des tariflichen Flugpreises für die Strecke Hamburg - New York. Der Beklagte machte geltend, dass sein Vermögen durch den Flug überhaupt nicht vermehrt worden sei. Denn die Reise habe für ihn einen Luxus dargestellt, den er sich nie verschafft hätte, wenn er dafür hätte bezahlen müssen. Er habe also konkret nichts erspart, die Leistungen der Klägerin seien mit der Entgegennahme verbraucht worden.

Vertragliche Ansprüche bestehen nicht

Der Bundes­ge­richtshof verneinte vertragliche Ansprüche der Klägerin, da die gesetzliche Vertreterin des Beklagten, soweit die Parteien überhaupt Willen­s­er­klä­rungen abgegeben hätten, die Genehmigung jedes mit der Klägerin abgeschlossenen Rechts­ge­schäftes verweigert habe.

Weiterhin seien auch nicht Ansprüche aus sog. sozialtypischem Verhalten herzuleiten. Die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze sollen den besonderen Verhältnissen des modernen Massenverkehrs gerecht werden und passen deshalb nicht für Rechtsgeschäfte, wie sie jedenfalls bislang noch bei der Perso­nen­be­för­derung im Flugverkehr abgeschlossen werden.

Keine Haftung aus Delikt

Ein Anspruch aus unerlaubter Handlung scheidet nach Ansicht des Bundes­ge­richtshofes schon deshalb aus, weil die Klägerin nicht darlegen konnte, wie ihr durch den Mitflug des Beklagten von Hamburg nach New York überhaupt ein Schaden entstanden sei. Die Klägerin könnte nur verlangen, so gestellt zu werden, wie wenn der Beklagte nicht zugestiegen wäre. Dann stünde sie aber nicht anders als jetzt, da die Maschine unstreitig nicht ausgebucht war. Nur wenn sie einen zahlungs­willigen Fluggast hätte zurückweisen müssen, weil der Beklagte einen Sitz im Flugzeug eingenommen hatte, wäre eine Schadenshaftung des Beklagten aus unerlaubter Handlung denkbar.

Erstattung aufgrund ungerecht­fer­tigter Bereicherung

Der Gerichtshof entschied, dass der Beklagte nach den §§ 812, 818 Abs. 2 und 4, 819 BGB auf den Wert der von ihm in Anspruch genommenen Leistung hafte, also auf die für den Flug üblicherweise zu zahlende Vergütung. Auf den Wegfall der Bereicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB kann er sich nicht berufen, da er "bösgläubig" war. Dabei ist zu beachten, dass derjenige, wer ohne Rechtsgrund eine geldwerte Leistung in Anspruch nimmt, die er sich anderweitig nicht verschafft hätte und durch die auch sonst sein Vermögen nicht vermehrt worden ist ("Luxusaufwendung"), sich gleichwohl so behandeln lassen muss, als hätte er die dafür übliche bzw. angemessene Vergütung erspart.

Vorliegen einer Bereicherung problematisch

Das Gericht führte aus, dass von einer Bereicherung im Sinne von § 812 BGB nur gesprochen werden kann, wenn und soweit der Bereicherte eine echte Vermö­gens­ver­mehrung und sei es allein durch die Ersparnis von Aufwendungen erfahren hat. Für die Entgegennahme von ihrer Natur nach nicht rückgabefähigen Dienst­leis­tungen kann nichts anderes gelten.

Bezugnehmend auf die Besonderheiten des Falles ergab sich folgendes: Einerseits können außer­ge­wöhnliche Ausgaben, die sonst nicht gemacht worden wären, eine einmal eingetretene Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB wegfallen lassen. Dann müssen solche Ausgaben auch geeignet sein schon die Entstehung einer entsprechenden Bereicherung zu verhindern. Andererseits kann sich der Empfänger, wenn er den Mangel des rechtlichen Grundes bei dem Empfang kennt oder ihn hinterher erfährt, im allgemeinen auf den nachträglichen Wegfall seiner Bereicherung nicht berufen. Wer jedoch durch das von ihm Empfangene von vornherein nicht bereichert wird, haftet an sich nach den §§ 812 ff BGB überhaupt nicht, auch wenn er den Mangel des rechtlichen Grundes bei dem Empfang kannte.

Wird aber einem Berei­che­rungs­schuldner, der den fehlenden Rechtsgrund beim Empfang kennt, im allgemeinen versagt, sich auf den späteren Wegfall einer Bereicherung zu berufen, so ist nach Auffassung des Gerichtes nicht einzusehen, warum es ihm gestattet sein soll, unter den gleichen Voraussetzungen schon die Entstehung einer Bereicherung zu leugnen. Das muss jedenfalls dann gelten, wenn die in Frage stehende Bereicherung in der Ersparnis von Aufwendungen für außer­ge­wöhnliche Dinge besteht, die sich der Berei­che­rungs­schuldner sonst nicht leisten würde oder sogar leisten könnte. In einem solchen Fall muss sich der "bösgläubige" Empfänger so behandeln lassen, als ob er etwas erspart und sein Vermögen dadurch vermehrt hätte.

"Bösgläubigkeit" des minderjährigen Beklagten

Auf wessen Kenntnis im Rahmen des § 819 BGB bei Berei­che­rungs­ansprüchen gegenüber nicht voll Geschäfts­fähigen abzustellen ist, wird nicht einheitlich beurteilt. Der der Beschränkung der Geschäfts­fä­higkeit Minderjähriger zugrun­de­liegende Schutzgedanke findet jedoch, nach Ansicht des BGH, seine Grenzen im Recht der unerlaubten Handlungen, das die Verant­wort­lichkeit Jugendlicher für von ihnen verursachte Schäden nach anderen Merkmalen bestimmt, unabhängig davon, in welchem Umfang sie in der Lage sind, sich recht­ge­schäftlich zu verpflichten. Es besteht kein Anlass, ihm die Folgen der verschärften Haftung des § 819 BGB zu ersparen, wenn und soweit er sich das Erlangte durch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung verschafft hat. Es ist somit auf § 828 Abs. 2 BGB abzustellen. Davon ausgehend wurde "Bösgläubigkeit" vorliegend bejaht, denn dass der damals nahezu 18 Jahre alte Beklagte, wenn er vorher mit einem gültigen Flugschein von München nach Hamburg geflogen ist, die nach § 828 Abs. 2 BGB erforderliche Einsicht zu der Erkenntnis hatte, dass er den Weiterflug nach New York ebenfalls nicht ohne Flugschein fortsetzen darf, konnte keinem ernstlichen Zweifel unterzogen werden.

Erläuterungen

Die Entscheidung ist aus dem Jahr 1971 und erscheint im Rahmen der Reihe "Urteile, die Rechts­ge­schichte geschrieben haben".

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)

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