21.11.2024
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Sie sehen die Silhouette einer Person, welche an einer Wand mit vielen kleinen Bildern vorbeigeht.

Dokument-Nr. 18927

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Urteil30.09.2014BundesgerichtshofVI ZR 490/12
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • K&R 2015, 36Zeitschrift: Kommunikation & Recht (K&R), Jahrgang: 2015, Seite: 36
  • NJW 2015, 782Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2015, Seite: 782
  • ZD 2015, 227Zeitschrift für Datenschutz (ZD), Jahrgang: 2015, Seite: 227
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Vorinstanzen:
  • Landgericht Berlin, Urteil28.06.2011, 27 O 719/10
  • Kammergericht Berlin, Urteil05.11.2012, 10 U 118/11
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil30.09.2014

Überragendes öffentliches Interesse: Presse darf rechtswidrig beschaffte E-Mails eines Politikers zum Zwecke der Presse­bericht­erstattung verwertenE-Mails offenbaren Missstand von erheblichem Gewicht

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass die Presse private E-Mails eines Politikers zum Zweck der Berich­t­er­stattung verwenden darf, sofern die Informationen der Presse zugespielt und nicht rechtswidrig beschafft wurden und der Inhalt der Mails einen Missstand von erheblichem Gewicht aufdeckt. In diesem Fall überwiegt das Informations­interesse der Öffentlichkeit das Interesse des Politikers am Schutz seiner Persönlichkeit.

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens war von 1994 bis 1999 Staatssekretär im Umwelt­mi­nis­terium eines deutschen Bundeslandes. 1999 wurde er Chef der Staatskanzlei. Von Oktober 2004 bis November 2009 war er Finanzminister. Im November 2009 wurde er zum Innenminister ernannt. Zugleich war er Mitglied des Landtags. Mitte der 90er Jahre unterhielt er zu einer Mitarbeiterin eine außereheliche Beziehung, aus der im Jahre 1997 die gemeinsame Tochter E. hervorging. Auf Antrag der Kindesmutter erhielt E. bis Oktober 2003 Leistungen nach dem Unter­halts­vor­schuss­gesetz. Im Jahre 2009 kam der private Laptop des Klägers abhanden. Die darauf befindliche E-Mail-Korrespondenz zwischen ihm und der Kindesmutter wurde der Beklagten zu 1 zugespielt. Am 31. August 2010 führten drei Redakteure der Beklagten zu 1 ein Interview mit dem Kläger. Sie hielten ihm vor, dass sich aus an ihn gerichteten E-Mails der Kindesmutter ergebe, dass er der Vater von E. sei und für sie keinen regelmäßigen Unterhalt gezahlt habe. Es bestehe der Verdacht des Sozialbetrugs. Der Kläger erwirkte daraufhin eine einstweilige Verfügung, durch die der Beklagten zu 1 untersagt wurde, vier E-Mails wörtlich oder sinngemäß publizistisch zu nutzen. Am 20. September 2010 veröffentlichte die frühere Beklagte zu 2 unter voller Namensnennung des Klägers auf ihrem Inter­ne­t­auftritt einen Beitrag, der sich mit der Beziehung des Klägers mit der Kindesmutter, der Geburt der Tochter sowie der möglichen Erschleichung von Sozia­l­leis­tungen befasst. In der Zeit zwischen dem 21. und dem 25. September 2010 erschienen in den Printmedien der Beklagten zu 1 und 3 sowie in dem Internetportal der früheren Beklagten zu 2 ähnliche Berichte über den Vorgang. Am 23. September 2010 trat der Kläger von seinem Ministeramt zurück. Er gab in einem Zeitungs­in­terview bekannt, dass er der Vater von E. sei und die Unter­halts­zah­lungen für sie nachgeholt habe.

Kläger hatte Anspruch auf Unterlassung der Veröf­fent­lichung seiner E-Mails

Der Kläger hält die Verwertung der privaten E-Mails zum Zwecke der Berichterstattung für rechtswidrig. Das Landgericht hat angenommen, dass der Kläger bis zu seinem Rücktritt einen Anspruch gegen die Beklagte zu 1 gehabt habe, es zu unterlassen, die Fragen, ob er der Vater von E. ist, private oder intime Kontakte zur Kindesmutter hatte, Unter­halts­leis­tungen für E. erbracht hat und ob die Kindesmutter zu Unrecht Unter­halts­vor­schuss für E. in Anspruch genommen hat, öffentlich zu erörtern. Das Landgericht hat die Beklagten darüber hinaus verurteilt, es zu unterlassen, den Inhalt einzelner E-Mails in direkter oder indirekter Rede zu verbreiten. Die Berufungen der Beklagten hatten keinen Erfolg.

Berich­t­er­stattung greift nicht rechtswidrig in Vertrau­lich­keitssphäre des Klägers oder sein Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung ein

Auf die Revisionen der Beklagten hat der Bundes­ge­richtshof die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Zwar greift eine Berich­t­er­stattung, die sich auf den Inhalt der zwischen dem Kläger und seiner Geliebten gewechselten E-Mails stützt, in die Vertrau­lich­keitssphäre des Klägers und sein Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung ein. Beide genannten Ausprägungen des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts schützen das Interesse des Kommu­ni­ka­ti­o­ns­teil­nehmers daran, dass der Inhalt privater E-Mails nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Der Eingriff ist aber nicht rechtswidrig. Das von den Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungs­freiheit überwiegen das Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit auch unter Berück­sich­tigung des Umstands, dass die veröf­fent­lichten Informationen von einem Dritten in rechtswidriger Weise beschafft worden sind.

Informationen haben hohen "Öffent­lich­keitswert"

Nach den getroffenen Feststellungen haben sich die Beklagten die E-Mails nicht durch vorsätzlichen Rechtsbruch verschafft, um sie zu publizieren. Sie haben sich an dem Einbruch in die Vertrau­lich­keitssphäre des Klägers auch nicht beteiligt, sondern aus dem Bruch der Vertraulichkeit lediglich Nutzen gezogen. Die Informationen, deren Wahrheit der Kläger nicht in Frage stellt, haben einen hohen "Öffent­lich­keitswert". Sie offenbaren einen Missstand von erheblichem Gewicht, an dessen Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht.

Kläger hat sich über viele Jahre der wirtschaft­lichen Verantwortung für seine Tochter entzogen und diese auf den Steuerzahler abgewälzt

Als Minister und als Landtags­ab­ge­ordneter gehörte der Kläger zu den Personen des politischen Lebens, an deren Verhalten unter dem Gesichtspunkt demokratischer Transparenz und Kontrolle ein gesteigertes Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse besteht. Die der Beklagten zu 1 zugespielten E-Mails belegen, dass sich der Kläger über viele Jahre der wirtschaft­lichen Verantwortung für seine Tochter E. entzogen und diese auf den Steuerzahler abgewälzt hat. Er hat es im eigenen persönlichen, wirtschaft­lichen und politischen Interesse hingenommen, dass seine ehemalige Geliebte für die gemeinsame Tochter Leistungen nach dem Unter­halts­vor­schuss­gesetz bezog, obwohl die Voraussetzungen für einen Leistungsbezug nicht gegeben waren. Denn die Kindesmutter hatte der zuständigen Behörde den Kläger pflichtwidrig nicht als Vater von E. benannt.

Veröf­fent­lichung der E-Mails in direkter oder indirekter Rede zulässig

Der Bundes­ge­richtshof hat auch die Veröffentlichung verschiedener E-Mails in direkter oder indirekter Rede als zulässig angesehen. Die im Wortlaut veröf­fent­lichten E-Mails dokumentieren mit besonderer Klarheit, wie der Kläger mit der Verantwortung gegenüber seiner nichtehelichen Tochter und der Mutter seines Kindes - und damit mittelbar gegenüber der Allgemeinheit, die jedenfalls bis zur Veröf­fent­lichung der streit­ge­gen­ständ­lichen Informationen die daraus resultierenden wirtschaft­lichen Folgen tragen musste - umgegangen ist.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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