Im zugrunde liegenden Fall wohnte ein Vater mit seinem Sohn zusammen in einem Haus. Nachdem der Sohn eine krankhafte Persönlichkeitsstörung entwickelte, fing er an Gegenstände zu sammeln und damit das Haus vollzustellen. Der Vater versuchte der Lage Herr zu werden und erwirkte schließlich gegen seinen Sohn einen Räumungstitel. Am Tag der Räumung kam es zur Tragödie. Als der Gerichtsvollzieher an der Tür klingelte und ihm der Vater öffnete, stieß der Sohn seinen Vater beiseite und schoss mit einer Pistole auf den Gerichtsvollzieher. Dieser sackte daraufhin schwer verletzt zusammen. Zuvor hatte der Sohn seinen Vater bereits mit der entsicherten Waffe bedroht und die Beendigung der Räumung verlangt. Der Gerichtsvollzieher überlebte die Verletzung und klagte sowohl gegen den Sohn als auch dessen Vater auf Zahlung von Schmerzensgeld. Denn seiner Meinung nach, sei der Vater mitverantwortlich für die Tat seines Sohnes gewesen.
Das Landgericht Wuppertal wies die Klage ab, woraufhin auf Berufung des Gerichtsvollziehers das Oberlandesgericht Düsseldorf der Klage statt gab und den Sohn und sein Vater auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 € als Gesamtschuldner verurteilte. Zur Begründung führte es aus, dass der Vater wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 323 c StGB hafte. Ihm sei ein Einschreiten zur Verhinderung der Schussverletzung möglich und zumutbar gewesen. Gegen die Entscheidung legte der Vater Revision ein.
Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil des Oberlandesgerichts und wies die Revision des Vaters zurück. Seiner Ansicht nach, sei das Berufungsgericht zu Recht von einer Haftung des Vaters aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 323 c StGB ausgegangen.
Der Bundesgerichtshof hielt die Ansicht, dass § 323 c StGB ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sei, für richtig. Ein Schutzgesetz sei eine Rechtsnorm, die neben der Wahrung der Interessen der Allgemeinheit auch einen Einzelnen vor Verletzungen eines bestimmten Rechtsguts schützen soll. Dabei dürfe der Individualschutz nicht bloßer Reflex sein, sondern gerade zum Aufgabenbereich der Norm liegen. Dies sei bei § 323 c StGB der Fall.
Zudem habe nach Auffassung des Bundesgerichtshofs das Berufungsgericht zu Recht davon ausgehen dürfen, dass ein Einschreiten des Vaters in dieser Situation erforderlich war. Denn ein verständiger Beobachter hätte aufgrund der Gesamtumstände die Gefahr einer unmittelbar bevorstehenden Straftat erkannt. Es sei insofern zu beachten gewesen, dass der Sohn seinen Vater am selben Tag bereits mit der Waffe bedrohte, um die Räumung zu verhindern. Darauf, dass der unter einer Persönlichkeitsstörung leidende Sohn seine Waffe in einer Panikreaktion nicht einsetzen würde, habe der Vater nicht vertrauen dürfen.
Ein Einschreiten des Vaters sei ihm auch zumutbar gewesen, so die Bundesrichter weiter. So hätte der Vater ohne weiteres dem Wunsch seines Sohns zunächst folgen und von der Räumung Abstand nehmen können. In diesem Zusammenhang habe berücksichtigt werden müssen, dass eine ungehinderte Fortführung der Räumung gegenüber der von einer entsicherten Waffe in der Hand eines völlig Verzweifelten ausgehenden Gefahr für Leib oder Leben anderer nachrangig war. Des Weiteren hätte eine Räumung zu einem späteren Zeitpunkt ohne den Sohn weiter geführt werden können.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 04.09.2013
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)