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Dokument-Nr. 27606

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Bundesgerichtshof Urteil05.07.2019

Recycling­unternehmen haftet nicht verschuldens­unabhängig bei Detonation einer WeltkriegsbombeDetonation eines Blindgängers trifft Unternehmer wie Nachbarn gleichermaßen zufällig und schicksalhaft

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass der Betreiber eines Recycling­unternehmens bzw. der Eigentümer des Betrie­bs­grund­stücks nicht verschuldens­unabhängig haften, wenn bei der Zerkleinerung eines Betonteils ein darin einbetonierter Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg detoniert und dadurch die Nachbarhäuser beschädigt werden.

Der Erstbeklagte des zugrunde liegenden Falls betreibt auf einem Gewer­be­grundstück, dessen Miteigentümerin die Zweibeklagte ist, ein Recyclin­g­un­ter­nehmen für Bauschutt. Der angelieferte Bauschutt wird dort zunächst sortiert. Große Betonteile, die nicht in den vorhandenen Schredder zur Zerkleinerung des Bauschutts passen, werden mit einem Zangenbagger zuvor in schredderfähige Stücke zerlegt. Im Januar 2014 führte ein Mitarbeiter des Erstbeklagten mit dem Bagger solche Zerklei­ne­rungs­a­r­beiten aus. Dabei detonierte eine Sprengbombe aus dem Zweiten Weltkrieg, die in einem Betonteil einbetoniert war. Bei der Explosion kam der Baggerfahrer ums Leben; zwei weitere Mitarbeiter des Erstbeklagten wurden schwer verletzt. An den auf den angrenzenden Grundstücken stehenden Gebäuden entstanden größere Schäden, welche die Klägerinnen als Gebäu­de­ver­si­cherer reguliert haben.

Klägerinnen machen verschul­den­su­n­ab­hängige nachbar­rechtliche Ausgleichs­ansprüche geltend

Die Klägerinnen machen aus übergegangenem Recht ihrer Versi­che­rungs­nehmer gemäß § 86 Abs. 1 VVG gegen den Betreiber des Recyclin­g­un­ter­nehmens verschul­den­su­n­ab­hängige nachbar­rechtliche Ausgleichs­ansprüche in entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB sowie verschul­den­s­ab­hängige Ansprüche aus unerlaubter Handlung geltend. Von der Miteigentümerin des Grundstücks verlangt eine Klägerin zudem im Wege der Stufenklage Auskunft hinsichtlich der Ausgestaltung des Nutzungs­ver­hält­nisses mit dem Betreiber des Recyclin­g­un­ter­nehmens und - ebenfalls aus übergegangenem Recht ihrer Versi­che­rungs­nehmer - auf Grundlage nachbar­recht­licher Ausgleichs­ansprüche eine noch zu beziffernde Entschädigung.

OLG verneint Ansprüche aus unerlaubter Handlung mangels Verletzung einer Verkehrs­si­che­rungs­pflicht

Das Landgericht Bonn wies die Klagen ab. Das Oberlan­des­gericht Köln wies die hiergegen gerichteten Berufungen der Klägerinnen zurück. Mit den von dem Oberlan­des­gericht zugelassenen Revisionen verfolgen die Klägerinnen ihre Klageanträge weiter. Nach Auffassung des Oberlan­des­ge­richts scheiden Ansprüche aus unerlaubter Handlung mangels Verletzung einer Verkehrs­si­che­rungs­pflicht aus. Auch die Voraussetzungen eines - verschul­den­su­n­ab­hängigen - nachbar­recht­lichen Ausgleichs­an­spruchs lägen nicht vor.

Generelle Untersuchung von Stoffen auf Explosivkörper kann nicht verlangt werden

Der Bundes­ge­richtshof bestätigte die Urteile des Oberlan­des­ge­richts im Ergebnis und wies die Revision der Klägerinnen zurück. Zu Recht habe das Oberlan­de­ge­richts eine Haftung des Erstbeklagten aus unerlaubter Handlung verneint. Ein Bauschutt recycelndes Unternehmen verstoße nicht gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, wenn in seinem Betrieb Betonteile, die nicht bekanntermaßen aus einer Abbruchmaßnahme stammen, bei der mit Bomben im Beton gerechnet werden muss, vor ihrer Zerkleinerung nicht unter Einsatz technischer Mittel auf Explosivkörper untersucht werden. Angesichts der sehr geringen Wahrschein­lichkeit von Bomben in zu recycelnden Betonteilen sei auch von einem verständigen, umsichtigen, vorsichtigen und gewissenhaften Betreiber eines Bauschutt recycelnden Unternehmens eine generelle Untersuchung dieser Stoffe auf Explosivkörper nicht zu verlangen. Zudem lasse sich der mit einer solchen Untersuchung angestrebte Zweck, eine Gefährdung der Bevölkerung zu verhindern, effektiv nur erreichen, wenn der Bauschutt schon vor dem Transport bis zu dem Recyclin­g­un­ter­nehmen auf dem Grundstück, auf dem der Abbruch der vorhandenen Bebauung erfolgt, auf das Vorhandensein von Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg untersucht würde. Eine solche Unter­su­chungs­pflicht wäre aber überzogen, weil sie ohne konkreten Anlass, gewissermaßen prophylaktisch erfolgen müsste.

Zu Recht habe das Oberlan­des­gericht auch einen nachbar­recht­lichen Ausgleichs­an­spruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB verneint.

Recyclin­g­un­ter­nehmen ist als Störer anzusehen

Der Erstbeklagte sei zwar als Störer anzusehen. Die Explosion des einbetonierten Blindgängers sei objektiv durch die Arbeiten des Baggerführers ausgelöst worden. Diese seien dem Erstbeklagten als eigene Handlung zuzurechnen. Wer die Beein­träch­tigung seines Nachbarn durch eine eigene Handlung verursacht, ist Störer im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB. Die Qualifikation als Störer hänge anders, als bei einem mittelbaren Störer und beim Zustandsstörer, nicht von dem Vorliegen entsprechender Sachgründe dafür ab, ihm die Verantwortung für das Geschehen aufzuerlegen.

Der störenden Einwirkung auf die Grundstücke der Versi­che­rungs­nehmer der Klägerin fehlt auch nicht der erforderliche Grund­s­tücksbezug. Die Arbeiten, die die Explosion ausgelöst haben, waren typisch für die konkrete Nutzung des Grundstücks durch den Erstbeklagten, der auf dem Grundstück ein Unternehmen zur Weiter­ver­a­r­beitung von Bauschutt betreibt. Sie konnten aus dessen Sicht nicht ebenso gut an beliebiger anderer Stelle vorgenommen werden.

Explosion trifft Grund­s­tücks­ei­gentümer und Unternehmer gleichermaßen zufällig und schicksalhaft

Ein nachbar­recht­licher Anspruch gegen den Erstbeklagten scheitert aber daran, dass die Regelung in § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf Beein­träch­ti­gungen nicht entsprechend anwendbar ist, die durch die - unverschuldete - Explosion eines Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg verursacht werden. Ist die Explosion eines Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg - wie hier - nicht in der Nutzung des Grundstücks angelegt, stehe der Eigentümer oder Besitzer des Grundstücks, auf dem ein Blindgänger explodiere, dem verwirklichten Risiko nicht näher oder ferner als die übrigen Beteiligten. Die Explosion ist dann nicht mehr Ausdruck der Situa­ti­o­ns­be­zo­genheit des Grund­s­tücks­ei­gentums oder Folge der in dem Zustand oder in der Nutzung des Grundstücks angelegten Risiken. Sie treffe die Beteiligten gleichermaßen zufällig und schicksalhaft. Ihre Folgen lassen sich generell und gerade auch in dem hier gegebenen Fall einer Verlagerung des Explo­si­ons­risikos mit dem nachbar­recht­lichen Ausgleichs­an­spruch nicht sachgerecht bewältigen. Die entsprechende Anwendung der in § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB bestimmten verschul­den­su­n­ab­hängigen Haftung des Eigentümers oder des Besitzers des beein­träch­ti­genden Grundstücks auf solche Beein­träch­ti­gungen überschritte die Grenzen richterlicher Gestal­tungsmacht; eine solch weitgehende Haftung könnte nur durch den Gesetzgeber angeordnet werden.

Der gegen die Zweitbeklagte erhobene Auskunfts­an­spruch besteht bereits mangels Haftung entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 86 VVG Übergang von Ersatz­ansprüchen

(1) Steht dem Versi­che­rungs­nehmer ein Ersatzanspruch gegen einen Dritten zu, geht dieser Anspruch auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt. [...]

§ 906 BGB Zuführung unwägbarer Stoffe

(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. [...]

(2) Das Gleiche gilt insoweit, als eine wesentliche Beein­träch­tigung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind. Hat der Eigentümer hiernach eine Einwirkung zu dulden, so kann er von dem Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.

§ 1004 Beseitigungs- und Unter­las­sungs­an­spruch

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beein­träch­tigung verlangen. [...]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online (pm/kg)

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