18.10.2024
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Dokument-Nr. 23698

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Urteil13.01.2017BundesgerichtshofV ZR 96/16
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW-Spezial 2017, 290Zeitschrift: NJW-Spezial, Jahrgang: 2017, Seite: 290
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Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Cottbus, Urteil23.10.2014, 37 C 5/14
  • Landgericht Cottbus, Urteil14.03.2016, 16 S 264/14 WEG
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil13.01.2017

Nachträglicher Einbau eines Aufzugs in Wohnungs­eigentums­anlage bedarf der Zustimmung aller EigentümerBGH zur Barrie­re­freiheit in Wohnungs­eigentums­anlagen

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass ein einzelner Wohnungs­ei­gentümer in dem gemein­schaft­lichen Treppenhaus grundsätzlich nur dann einen Personenaufzug auf eigene Kosten einbauen darf, wenn alle übrigen Wohnungs­ei­gentümer ihre Zustimmung hierzu erteilen. Dies gilt auch dann, wenn der bauwillige Wohnungs­ei­gentümer aufgrund einer Gehbehinderung auf den Aufzug angewiesen ist, um seine Wohnung zu erreichen; die übrigen Wohnungs­ei­gentümer können allerdings verpflichtet sein, den Einbau eines Treppenlifts oder einer Rollstuhlrampe zu dulden. Zu der Frage, ob die Wohnungs­eigentümer­gemeinschaft selbst einen Aufzug einbauen kann, wenn die Wohnungs­ei­gentümer dies mit qualifizierter Mehrheit beschlossen haben, verhält sich die Entscheidung nicht.

In dem zugrunde liegenden Verfahren besteht die Wohnanlage aus zwei Wohnblöcken mit jeweils vier Hauseingängen. Der im Jahr 1936 geborene Kläger ist Eigentümer einer im fünften Obergeschoss gelegenen Wohnung sowie einer deutlich kleineren, vermieteten Wohnung im Erdgeschoss der Anlage. Einen Aufzug gibt es in dem zugehörigen Treppenhaus nicht. Der Kläger hat zunächst gemeinsam mit einigen anderen Wohnungs­ei­gen­tümern (die denselben Hausteil bewohnen) in der Eigen­tü­mer­ver­sammlung beantragt, den Antragstellern den Einbau eines geräuscharmen und energie­ef­fi­zienten Personenaufzugs in dem offenen Schacht in der Mitte des Treppenhauses auf eigene Kosten zu gestatten. Dieser Antrag fand keine Mehrheit. Mit seiner nunmehr gegen alle übrigen Wohnungseigentümer gerichteten Klage will der Kläger erreichen, dass die Beklagten den Einbau eines Personenaufzugs (auf Kosten der ursprünglichen Antragsteller) dulden müssen. Er begründet dies insbesondere damit, dass seine 1982 geborene, zu 100 % schwer­be­hinderte Enkeltochter zeitweise von ihm und seiner Ehefrau betreut wird.

LG: Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft muss geräuscharmen, maschi­nen­raumlosen Personenaufzugs in dem Treppenschacht dulden

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht ihr mit Einschränkungen stattgegeben. Es hat im Wege der sogenannten Beschlus­ser­setzung beschlossen, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft die Errichtung und den Betrieb eines geräuscharmen, maschi­nen­raumlosen Personenaufzugs in dem Treppenschacht durch den Kläger dulden muss. Die Kosten der Errichtung und des Betriebes sowie einer etwaigen späteren Beseitigung des Aufzugs soll der Kläger tragen; er darf sich jedoch mit weiteren Wohnungs­ei­gen­tümern zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zur Errichtung und zum Betrieb des Aufzugs zusam­men­schließen. Die Nutzung des Aufzugs kann der Kläger bzw. die GbR auf diejenigen Wohnungs­ei­gentümer beschränken, die sich an den Kosten der Errichtung und der Unterhaltung des Aufzugs im angemessenen Umfang beteiligen. Daneben soll der Kläger vor Baubeginn eine Sicherheit für eine spätere Beseitigung des Aufzugs leisten, und zwar in Höhe von 110 % der hierfür erforderlichen Kosten.

BGH: Bauliche Maßnahmen bedürfen der Zustimmung der Miteigentümer

Auf die Revision der Beklagten hat der Bundes­ge­richtshof das Urteil aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts wieder­her­ge­stellt, mit dem die Klage abgewiesen worden ist. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass der Kläger die bauliche Maßnahme nur durchführen darf, wenn die übrigen Wohnungs­ei­gentümer hierzu ihre Zustimmung erteilen, was nicht geschehen ist.

Übrigen Wohnungs­ei­gen­tümern darf kein Nachteil durch bauliche Maßnahmen entstehen

Für die Frage, ob die Zustimmung erforderlich ist, kommt es entscheidend darauf an, ob den übrigen Wohnungs­ei­gen­tümern ein Nachteil im Sinne von § 22 Abs. 1 WEG* i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG** erwächst, der "über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgeht". Entgegen der Ansicht des Berufungs­ge­richts ist ein solcher Nachteil anzunehmen. Dies ergibt sich aus einer fallbezogenen Abwägung der beiderseits grundrechtlich geschützten Interessen. Neben dem Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG), auf das sich jede der Parteien berufen kann, ist auf Seiten des Klägers Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG*** zu beachten, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Denn der Kläger betreut seine schwer­be­hinderte Enkelin regelmäßig in der Wohnung und nimmt sie jeweils für längere Zeitabschnitte in seine Wohnung auf. Die Inter­es­se­n­ab­wägung wird in der Regel ergeben, dass die übrigen Wohnungs­ei­gentümer die Anbringung eines Treppenlifts oder einer Rollstuhlrampe durch einen Wohnungs­ei­gentümer dulden müssen, wenn dieser oder ein Angehöriger unter einer erheblichen Gehbehinderung leidet.

Einbau des Aufzugs wäre nur mit erheblichen Eingriffen in die Substanz des Gemein­schafts­ei­gentums machbar

Anders liegt es aber bei dem Einbau eines Personenaufzugs. Dieser begründet einen Nachteil im Sinne der genannten Normen. Er ist nur mit erheblichen Eingriffen in die Substanz des Gemein­schafts­ei­gentums machbar und verengt in aller Regel - wie auch hier - den im Treppenhaus zur Verfügung stehenden Platz erheblich. Bei lebensnaher Betrachtung erfordert er schon wegen der bauordnungs- und brand­schutz­recht­lichen Vorgaben einen massiven konstruktiven Eingriff in den Baukörper. Zudem kann die private Verkehrs­si­che­rungs­pflicht im Außenverhältnis zu Dritten Haftungsrisiken auch für die übrigen Wohnungs­ei­gentümer mit sich bringen. Ein Rückbau setzt erneut erhebliche Eingriffe in den Baukörper voraus, die nur mit großem baulichem Aufwand erfolgen können und ihrerseits neue Risiken bergen. Unabhängig von einer Sicher­heits­leistung dürfte sich der Rückbau bei lebensnaher Betrachtung regelmäßig als eher unrealistisch erweisen.

Sonder­nut­zungsrecht für Aufzug bedarf Vereinbarung aller Wohnungs­ei­gentümer

Die Klage ist auch aus einem weiteren Grund abzuweisen. Soll nämlich der einzubauende Personenaufzug - wie hier - nur einzelnen bau- und zahlungs­willigen Wohnungs­ei­gen­tümern zur Verfügung stehen, wird diesen ein Sonder­nut­zungsrecht an dem für den Einbau vorgesehenen Treppenhausteil eingeräumt; dafür bedarf es einer Vereinbarung aller Wohnungs­ei­gentümer. Die übrigen Wohnungs­ei­gentümer würden von dem Gebrauch eines Teils des gemein­schaft­lichen Treppenhauses ausgeschlossen. Der für den Einbau des Aufzugs vorgesehene Schacht wird nach den Feststellungen des Berufungs­ge­richts im unteren Bereich derzeit zum Abstellen von Fahrrädern und Kinderwagen genutzt und ist zudem erforderlich, damit sperrige Gegenstände durch das Treppenhaus transportiert werden können.

Erschwernisse beim Erreichen der Wohnung können nicht zu Lasten der übrigen Wohnungs­ei­gentümer abgewendet werden

Mit dem Grundgesetz ist dieses Ergebnis vereinbar. Zwar ist die Wohnung des Klägers den Feststellungen des Berufungs­ge­richts zufolge schwer veräußerlich und für eine gehbehinderte Person nur mit einem Personenaufzug gut zu erreichen. Es hat sich aber ein Risiko verwirklicht, das der Kläger eingegangen ist, als er in der konkreten Region eine im fünften Obergeschoss gelegene Wohnung erworben hat, die mit nieder­schwelligen Hilfsmitteln wie einem Treppenlift nicht ohne weiteres zugänglich gemacht werden kann. Aus dem Grundgesetz lässt sich nicht ableiten, dass die daraus resultierenden Erschwernisse zu Lasten der übrigen Wohnungs­ei­gentümer abzuwenden sind. Deren Wohnungseigentum ist nämlich ggf. ebenfalls schwer veräußerlich und würde mit zusätzlichen Nachteilen und Haftungsrisiken belastet.

*§ 22 WEG Besondere Aufwendungen, Wiederaufbau

Erläuterungen
(1) Bauliche Veränderungen und Aufwendungen, die über die ordnungsmäßige Instandhaltung oder Instandsetzung des gemein­schaft­lichen Eigentums hinausgehen, können beschlossen oder verlangt werden, wenn jeder Wohnungs­ei­gentümer zustimmt, dessen Rechte durch die Maßnahmen über das in § 14 Nr. 1 bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden. Die Zustimmung ist nicht erforderlich, soweit die Rechte eines Wohnungs­ei­gen­tümers nicht in der in Satz 1 bezeichneten Weise beeinträchtigt werden. [...]

**§ 14 WEG Pflichten des Wohnungs­ei­gen­tümers

Jeder Wohnungs­ei­gentümer ist verpflichtet:

1. die im Sondereigentum stehenden Gebäudeteile so instand zu halten und von diesen sowie von dem gemein­schaft­lichen Eigentum nur in solcher Weise Gebrauch zu machen, dass dadurch keinem der anderen Wohnungs­ei­gentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst; [...]

*** Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG

Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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