21.11.2024
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Dokument-Nr. 8694

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Bundesgerichtshof Urteil30.10.2009

BGH: DFB darf bundesweites Stadionverbot bei bloßem Verdacht auf Gewalttätigkeit aussprechenStrafbarkeit eines Verhaltens nicht ausschlaggebend – Allein die Befürchtung von Gewalttaten aufgrund objektiver Tatsachen rechtfertigt Stadionverbot

Gegen auffällig gewordene Zuschauer von Fußballspielen darf generell ein bundesweites Stadionverbot verhängt werden. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden.

Am 25. März 2006 fand in der Sportstätte der Beklagten (MSV-Arena) ein Spiel der ersten Fußba­ll­bun­desliga zwischen der von der Beklagten unter der Bezeichnung "MSV Duisburg" unterhaltenen Lizenz­spie­ler­mann­schaft und der Mannschaft des FC Bayern München statt. Der Kläger, der seinerzeit Vereinsmitglied und Inhaber von Heim- und Auswärts­dau­e­r­karten des FC Bayern München war, nahm an dem Spiel als Zuschauer teil. Nach Spielschluss kam es zwischen einer Gruppe von ca. 100 Anhängern des FC Bayern München, zu der ausweislich des Polizeiberichts auch der Kläger gehörte, und Anhängern des MSV Duisburg zu Ausein­an­der­set­zungen, bei denen mindestens eine Person verletzt und ein Auto beschädigt wurde. Im Rahmen des Polizei­ein­satzes wurde u. a. der Kläger in Gewahrsam genommen.

Stadionverbot gemäß DFB-Richtlinien ausgesprochen

Mit Schreiben vom 18. April 2006 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger ein bis zum 30. Juni 2008 befristetes Betre­tungs­verbot für die MSV-Arena und sämtliche Fußba­ll­ver­an­stal­tungs­stätten in Deutschland (bundesweites Stadionverbot) für nationale und internationale Fußba­ll­ver­an­stal­tungen von Vereinen bzw. Tochter­ge­sell­schaften der Fußba­ll­bun­desligen und der Fußba­ll­re­gi­o­na­lligen sowie des Deutschen Fußballbundes (DFB) aus. Sie stützte sich dabei auf die von ihr im Lizen­zie­rungs­ver­fahren anerkannten "Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten" des DFB (DFB-Richtlinien). Danach soll ein solches Verbot bei eingeleiteten staats­an­walt­schaft­lichen Ermitt­lungs­ver­fahren u. a. wegen Landfrie­dens­bruchs verhängt werden. Es ist aufzuheben, wenn das Ermitt­lungs­ver­fahren keinen Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage gegeben hat und nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Bei einer Verfah­ren­s­ein­stellung nach § 153 StPO soll das Verbot auf Antrag des Betroffenen im Hinblick auf seinen Bestand und seine Dauer überprüft werden.

Verbot wird auch nach Prüfung aufrecht erhalten

Ein gegen den Kläger eingeleitetes staats­an­walt­schaft­liches Ermitt­lungs­ver­fahren wegen Landfrie­dens­bruchs wurde am 27. Oktober 2006 nach § 153 StPO eingestellt. Auf Antrag des Klägers, das Stadionverbot zu überprüfen, nahm die Beklagte im Dezember 2006 Einsicht in die Ermitt­lungsakten und kam zu dem Schluss, das Verbot aufrecht zu erhalten.

Klage hinsichtlich der Aufhebung des Stadionverbots abgewiesen

Der Kläger behauptet, an den im Übrigen nur kleineren - Ausein­an­der­set­zungen zwischen den beiden Fangruppen nicht beteiligt gewesen zu sein, sondern diese nur aus der Distanz wahrgenommen zu haben. Seine auf die Aufhebung des Stadionverbots, hilfsweise auf die Beschränkung des Verbots auf die MSV-Arena gerichtete Klage hat das Amtsgericht abgewiesen. In dem Berufungs­ver­fahren hat der Kläger, weil das Verbot wegen Zeitablaufs nicht mehr bestand, mit mehreren inhaltlich abgestuften Anträgen die Feststellung der Rechts­wid­rigkeit des Stadionverbots beantragt. Das Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.

Eigentümer des Stadions kann aufgrund des Hausrechts frei über Zutritt entscheiden

Der Bundes­ge­richtshof hat den Übergang zur Feststel­lungsklage für zulässig gehalten. Der Betroffene muss auch nach Ablauf des zeitlich befristeten Stadionverbots dessen Rechtmäßigkeit gerichtlich überprüfen lassen können. In der Sache ist der Bundes­ge­richtshof davon ausgegangen, dass der Eigentümer oder Besitzer eines Stadions aufgrund seines Hausrechts ohne vorherige Anhörung des Betroffenen grundsätzlich frei darüber entscheiden kann, wem er den Zutritt verwehrt. Das gilt auch, wenn – wie bei dem Besuch eines Fußballspiels – der Zutritt aufgrund eines Vertrags­ver­hält­nisses mit dem Hausrechts­inhaber gewährt wird.

Willkürliches Ausschließen von Zuschauer nicht zulässig

Das Hausrecht unterliegt allerdings Einschränkungen. Bei Fußballspielen gewährt der Veranstalter in Ausübung der in Art. 2 Abs. 1 GG garantierten Vertrags­freiheit grundsätzlich jedermann gegen Bezahlung den Zutritt zu dem Stadion. Will er bestimmte Personen davon ausschließen, muss er deren mittelbar in das Zivilrecht einwirkende Grundrechte beachten; ihr allgemeines Persön­lich­keitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot der Gleich­be­handlung lassen es nicht zu, einen einzelnen Zuschauer willkürlich auszuschließen. Vielmehr muss dafür ein sachlicher Grund bestehen. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob der von dem Ausschluss Betroffene in vertraglichen Beziehungen zu dem Hausrechts­inhaber steht oder nicht.

Störer, die Sicherheit und reibungslosen Ablauf von Großver­an­stal­tungen gefährden, dürfen ausgeschlossen werden

Da die Verhängung eines Hausverbots seine Grundlage in einem Unter­las­sungs­an­spruch nach §§ 862 Abs. 1 Satz 2, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB hat, setzt es voraus, dass eine künftige Störung zu besorgen ist. Konkret geht es darum, potentielle Störer auszuschließen, die die Sicherheit und den reibungslosen Ablauf von Großver­an­stal­tungen wie einem Liga-Fußballspiel gefährden können. Daran hat der Veranstalter ein schützenswertes Interesse, weil ihn gegenüber allen Besuchern Schutzpflichten treffen, sie vor Übergriffen randalierender und gewaltbereiter "Fans" zu bewahren. Solche Schutzpflichten bestehen entweder aufgrund Vertrages mit den Besuchern der Veranstaltung oder unter dem Gesichtspunkt allgemeiner Verkehrs­si­che­rungs­pflichten. Ein sachlicher Grund für ein Stadionverbot besteht daher, wenn aufgrund von objektiven Tatsachen, nicht aufgrund bloßer subjektiver Befürchtungen, die Gefahr besteht, dass künftige Störungen durch die betreffenden Personen zu besorgen sind. Eine derartige Gefahr wird regelmäßig bei vorangegangenen rechtswidrigen Beein­träch­ti­gungen vermutet, kann aber auch bei einer erstmals drohenden Beein­träch­tigung gegeben sein.

Keine überhöhten Anforderungen für Stadionverbote

Bei der Verhängung von Stadionverboten sind an die Annahme der Gefahr von Störungen keine überhöhten Anforderungen zu stellen. Das ergibt sich aus den Besonderheiten sportlicher Großver­an­stal­tungen, insbesondere von Fußba­ll­gro­ße­r­eig­nissen. Diese werden häufig zum Anlass für Ausschreitungen genommen. Angesichts der Vielzahl der Besucher und der häufig emotional aufgeheizten Stimmung zwischen rivalisierenden Gruppen ist daher die Bemühung der Vereine sachgerecht, neben Siche­rungs­maß­nahmen während des Spiels etwa durch Ordnungskräfte und bauliche sowie organi­sa­to­rische Vorkehrungen auch im Vorfeld tätig zu werden und potentiellen Störern bereits den Zutritt zu dem Stadion zu versagen.

Auf Strafbarkeit des Verhaltens kommt es nicht

Bei der Festsetzung von Stadionverboten sind andere Maßstäbe anzuwenden als bei der straf­recht­lichen Sanktionierung von Störungen bei früheren Spielen. Während insoweit nach dem Grundsatz in dubio pro reo eine Bestrafung unterbleibt, wenn keine Tat bewiesen ist, können Stadionverbote eine nennenswerte präventive Wirkung nur dann erzielen, wenn sie auch gegen solche Besucher ausgesprochen werden, die zwar nicht wegen einer Straftat verurteilt sind, deren bisheriges Verhalten aber besorgen lässt, dass sie bei künftigen Spielen sicher­heits­re­levante Störungen verursachen werden. Eine solche Besorgnis ergibt sich zunächst aus den der Einleitung eines Ermitt­lungs­ver­fahrens wegen eines im Zusammenhang mit einem Stadionbesuch begangenen Landfrie­dens­bruchs zugrunde liegenden Tatsachen. Dem Hausrechts­inhaber stehen nämlich regelmäßig keine besseren Erkenntnisse über den Tatablauf und die Beteiligung des Betroffenen zur Verfügung als der Polizei und der Staats­an­walt­schaft. Allerdings ist hier das Ermitt­lungs­ver­fahren später wegen Geringfügigkeit nach § 153 StPO eingestellt worden. Infolgedessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger den Straftatbestand des Landfrie­dens­bruchs verwirklicht hat. Der Verfah­ren­s­ein­stellung kann nur entnommen werden, dass seine Schuld, falls er sich strafbar gemacht haben sollte, gering wäre. Auf die Strafbarkeit seines Verhaltens kommt es aber nicht an. Anknüp­fungspunkt für das Stadionverbot ist nicht die Verwirklichung eines Straf­tat­be­standes, sondern das Verhalten des Klägers, das Anlass für die Einleitung eines Ermitt­lungs­ver­fahrens gegeben hat. Die Umstände, die dazu geführt haben, haben auch nach Einstellung des Verfahrens weiterhin Bedeutung. Der Kläger ist nicht zufällig in die Gruppe, aus der heraus Gewalttaten verübt worden sind, geraten, sondern war Teil dieser Gruppe. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, mit der der Kläger in Gewahrsam genommen wurde, rechtfertigt die Annahme, dass er sich bei Fußba­ll­ver­an­stal­tungen in einem zu Gewalt­tä­tig­keiten neigenden Umfeld bewegt und von ihm deshalb künftige, Dritte gefährdende Störungen zu besorgen sind; auf den Nachweis, er habe sich an den aus der Gruppe heraus begangenen Gewalt­tä­tig­keiten beteiligt, kommt es nicht an. Der Kläger hat diese Besorgnis weder im vorliegenden Zivil­rechtsstreit noch anlässlich der Überprüfung des Stadionverbots durch die Beklagte, bei der ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war, ausgeräumt.

Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit nicht verletzt

Weder das zeitliche Ausmaß noch der inhaltliche Umfang (bundesweit) des Verbots sind rechtlich zu beanstanden. Die Sanktion blieb unter dem zeitlichen Rahmen, der in den DFB-Richtlinien, die für die Vereine eine geeignete Grundlage zum Ausspruch eines Stadionverbots bilden, in solchen Fällen vorgesehen ist. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte den Anlass für den Ausspruch des Verbots nicht angemessen berücksichtigt und den Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit verletzt hätte. Der Umstand, dass der Kläger Inhaber von Heim- und Auswärts­dau­e­r­karten für die Spiele des FC Bayern München gewesen sein mag, spielt hierbei keine Rolle. Die Verhängung eines Stadionverbots hat stets zur Folge, dass Dauer­kar­ten­be­rech­ti­gungen ganz oder teilweise ins Leere laufen. Das kann keine Auswirkungen auf die Frage des Ob und des Wie eines Stadionverbots haben.

Quelle: ra-online, BGH

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