23.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil09.02.2024

Zulässigkeit von baulichen Veränderungen des Gemeinschafts­eigentums zur Barrie­re­re­du­zierungBarrierefrei hat Vorrang - BGH erlaubt Aufzug und Rampe

Der Bundes­ge­richtshof hat auf der Grundlage des im Jahr 2020 reformierten Wohnungs­eigentums­rechts in zwei Verfahren über die Voraussetzungen und Grenzen baulicher Veränderungen des Gemeinschafts­eigentums entschieden, die von einzelnen Wohnungs­ei­gen­tümern als Maßnahmen zur Barrie­re­re­du­zierung (Errichtung eines Personenaufzugs bzw. Errichtung einer 65 Zentimeter erhöhten Terrasse nebst Zufahrtsrampe) verlangt wurden.

Die Kläger im ersten Fall sind Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer. Die Anlage besteht aus zwei zwischen 1911 und 1912 im Jugendstil errichteten Wohnhäusern und steht unter Denkmalschutz. Das Vorderhaus erhielt im Jahr 1983 den Fassadenpreis der Stadt München. Die Wohneinheiten der Kläger befinden sich im dritten und vierten Obergeschoss des Hinterhauses (ehemaliges "Gesindehaus"), bei dem die Fassade und das enge Treppenhaus im Vergleich zum Vorderhaus eher schlicht gehalten sind. Ein Personenaufzug ist nur für das Vorderhaus vorhanden. In der Eigen­tü­mer­ver­sammlung vom 26. Juli 2021 wurde unter anderem ein Antrag der nicht körperlich behinderten Kläger abgelehnt, ihnen auf eigene Kosten die Errichtung eines Außenaufzugs am Treppenhaus des Hinterhauses als Zugang für Menschen mit Behinderungen zu gestatten. Mit der Beschlus­ser­set­zungsklage wollen die Kläger erreichen, dass die Errichtung des Personenaufzugs dem Grunde nach beschlossen ist. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht durch Urteil den Beschluss ersetzt, dass am Hinterhaus auf der zum Innenhof gelegenen Seite ein Personenaufzug zu errichten ist. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision.

Aufzug ist angemessene bauliche Veränderung

Der BGH hat die Revision zurückgewiesen. Mit einem Grund­la­gen­be­schluss, den das Berufungs­gericht ersetzt hat, wird eine verbindliche Regelung über die Errichtung des von den Klägern begehrten Perso­nen­aufzuges für das Hinterhaus begründet und die spätere Durchführung legitimiert. Der Klage ist zu Recht stattgegeben worden, weil der geltend gemachte Anspruch gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG auf eine Beschluss­fassung besteht und nach § 20 Abs. 4 WEG die Grenzen einer zulässigen Bebauung eingehalten werden. Bedenken gegen die Beschluss­kom­petenz bestehen nicht. Nach dem seit dem 1. Dezember 2020 geltenden Wohnungs­ei­gen­tumsrecht können die Wohnungs­ei­gentümer eine bauliche Veränderung grundsätzlich auch dann beschließen, wenn die Beschluss­fassung die Zuweisung einer ausschließ­lichen Nutzungs­be­fugnis (§ 21 Abs. 1 Satz 2 WEG) an dem dafür vorgesehenen Gemeinschaftseigentum zur Folge hat, wie dies hier hinsichtlich des Aufzugs der Fall ist. Die von den Klägern erstrebte Errichtung eines Personenaufzugs stellt eine angemessene bauliche Veränderung dar, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen dient (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG). Die Angemessenheit ist nur ausnahmsweise zu verneinen, wenn mit der Maßnahme Nachteile verbunden sind, die über die Folgen hinausgehen, die typischerweise mit der Durchführung einer privilegierten baulichen Veränderung einhergehen. Eingriffe in die Bausubstanz, übliche Nutzungs­ein­schrän­kungen des Gemein­schafts­ei­gentums und optische Veränderungen der Anlage etwa aufgrund von Anbauten können die Unange­mes­senheit daher regelmäßig nicht begründen. Die Kosten der baulichen Veränderung sind für das Bestehen eines Anspruchs nach § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG grundsätzlich ohne Bedeutung, da sie gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 WEG von dem verlangenden Wohnungs­ei­gentümer zu tragen sind. Vor diesem Hintergrund bejaht das Berufungs­gericht zu Recht die Angemessenheit der Maßnahme. Weiterer Vortrag war von den Klägern nicht zu verlangen. Zwar trägt die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Umstände der Angemessenheit einer baulichen Veränderung der klagende Wohnungs­ei­gentümer. Da der Gesetzgeber aber die Angemessenheit als Regel ansieht, obliegt der Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer die Darlegung, warum ein atypischer Fall vorliegt. Hieran fehlt es.

Keine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage

Eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage im Sinne von § 20 Abs. 4 Halbs. 1 Alt. 1 WEG, die dem Anspruch entgegenstehen könnte, ist mit der Errichtung eines Aufzugs nicht verbunden. Insoweit ist zunächst zu beachten, dass nicht jede bauliche Veränderung, die nach § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG aF die Eigenart der Wohnanlage änderte, auch im Sinne des neuen § 20 Abs. 4 Halbs. 1 Alt. 1 WEG zu einer grundlegenden Umgestaltung führt. Nach nunmehr geltendem Recht ist bei einer Maßnahme, die der Verwirklichung eines Zweckes i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG dient, eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage zumindest typischerweise nicht anzunehmen. Der von dem Gesetzgeber im gesamt­ge­sell­schaft­lichen Interesse erstrebten Privilegierung bestimmter Kategorien von Maßnahmen - unter anderem zur Förderung der Barrierefreiheit - ist bei der Prüfung, ob eine grundlegende Umgestaltung vorliegt, im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses Rechnung zu tragen. Außer­ge­wöhnliche Umstände, die eine solche Ausnahme von der Regel begründen könnten, liegen auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungs­ge­richts nicht vor. Es lässt sich auch keine unbillige Benachteiligung eines Wohnungs­ei­gen­tümers im Sinne von § 20 Abs. 4 Halbs. 1 Alt. 2 WEG feststellen. Mit dem Verbot, einen Wohnungs­ei­gentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig zu benachteiligen, knüpft das Gesetz an die Regelung in § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG aF zu den Grenzen der Zulässigkeit von Moder­ni­sie­rungs­maß­nahmen an. Die von dem Berufungs­gericht insoweit vorgenommene tatrichterliche Würdigung weist keine Rechtsfehler auf. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass Verschattungen- und Lärmbe­ein­träch­ti­gungen etwa durch den konkreten Standort der Aufzugsanlage, durch die Größe sowie die bauliche Gestaltung des Aufzugs einschließlich der verwendeten Materialien bis zu einem gewissen Grad noch bei der Entscheidung über die Art und Weise der Durchführung (§ 20 Abs. 2 Satz 2 WEG) steuerbar sind.

Sachverhalt - zweiter Fall

Die Kläger und die Streithelferin der Beklagten im zweiten Fall sind Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer. Die Anlage besteht aus drei miteinander verbundenen Häusern mit jeweils zwei Wohnungen im Erdgeschoss und zwei weiteren Wohnungen im ersten Obergeschoss. Im rückwärtigen Teil des Anwesens befindet sich eine Gartenfläche, an der den Erdge­schoss­woh­nungen zugewiesene Sonder­nut­zungs­rechte gebildet wurden. Nach der Teilungs­er­klärung dürfen auf den Gartenflächen Terrassen in der Größe von maximal einem Drittel der Fläche des jeweiligen Sonder­nut­zungs­rechts errichtet werden. Mit Ausnahme der den beiden Eckwohnungen zugewiesenen Gartenflächen wurden jeweils gepflasterte Terrassen errichtet. Auf Antrag der Streithelferin, die Sonde­rei­gen­tümerin einer der Eckwohnungen ist, beschlossen die Wohnungs­ei­gentümer in der Eigen­tü­mer­ver­sammlung vom 14. Oktober 2021, der Streithelferin als privilegierte Maßnahme gemäß § 20 Abs. 2 WEG zu gestatten, auf der Rückseite des Gebäudes eine Rampe als barrierefreien Zugang sowie eine etwa 65 Zentimeter aufzuschüttende Terrasse zu errichten und das Doppelfenster im Wohnzimmer durch eine verschließbare Tür zu ersetzen; ggf. soll ein aus Bodenplatten bestehender Zugang vom Hauseingang bis zur Terrasse errichtet werden. Hiergegen richtet sich die von den Klägern erhobene Anfech­tungsklage. Das Amtsgericht hat den Beschluss für ungültig erklärt. Die Berufung der Beklagten war erfolglos. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision will die Streithelferin die Abweisung der Klage erreichen.

Mit WEG-Erlaubnis leichter zur gewünschten Veränderung

Die Revision hat Erfolg gehabt. Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Anfech­tungsklage abgewiesen. Beschließen die Wohnungs­ei­gentümer die Durchführung oder Gestattung einer baulichen Veränderung, die ein Wohnungs­ei­gentümer unter Berufung auf § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG verlangt, hängt die Rechtmäßigkeit des Beschlusses nicht davon ab, ob die Anspruchs­vor­aus­set­zungen des § 20 Abs. 2 WEG im Einzelnen vorliegen und ob die bauliche Veränderung insbesondere angemessen ist. Auf diese Voraussetzungen kommt es nur an, wenn der Indivi­du­a­l­an­spruch des Wohnungs­ei­gen­tümers abgelehnt worden ist und sich dieser mit einer Anfech­tungsklage gegen den Negativ­be­schluss wendet und/oder den Anspruch mit der Beschlus­ser­set­zungsklage weiterverfolgt, wie dies in dem Verfahren V ZR 244/22 der Fall war. Der Gesetzgeber hat durch das Wohnungs­ei­gen­tums­mo­der­ni­sie­rungs­gesetz die Vorschriften über bauliche Veränderungen in §§ 20, 21 WEG neu gefasst und grundlegend geändert. Die Neuregelung dient unter anderem dem Zweck, den baulichen Zustand von Wohnungs­ei­gen­tums­anlagen leichter verbessern und an sich ändernde Gebrauchs­be­dürfnisse der Wohnungs­ei­gentümer anpassen zu können.Nunmehr können die Wohnungs­ei­gentümer Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemein­schaft­lichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), jeweils mit einfacher Stimmenmehrheit beschließen. Sie müssen dabei lediglich die Grenzen des § 20 Abs. 4 Halbs. 1 WEG, die bei jeder baulichen Veränderung einzuhalten sind, beachten. Infolgedessen dürfen die Wohnungs­ei­gentümer eine bauliche Veränderung auch dann durch Mehrheits­be­schluss gestatten, wenn sie die in § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG geregelten Anspruchs­vor­aus­set­zungen im Einzelnen nicht als gegeben ansehen oder jedenfalls Zweifel hieran hegen. Nach nunmehr geltendem Recht ist bei einer Maßnahme, die der Verwirklichung eines Zweckes i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG dient, eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage zumindest typischerweise nicht anzunehmen. Der von dem Gesetzgeber im gesamt­ge­sell­schaft­lichen Interesse erstrebten Privilegierung bestimmter Kategorien von Maßnahmen - unter anderem zur Förderung der Barrie­re­freiheit - ist bei der Prüfung, ob eine grundlegende Umgestaltung vorliegt, im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses Rechnung zu tragen. Da die von den Wohnungs­ei­gen­tümern hier beschlossene bauliche Veränderung ihrer Kategorie nach dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderung dient (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG), bedürfte es besonderer Umstände, um eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage anzunehmen. Hieran fehlt es. Gestattet wird der Streithelferin lediglich die Errichtung eines untergeordneten Anbaus an ein bestehendes Gebäude einer Mehrhausanlage, wobei die Errichtung einer Terrasse schon nach der Teilungs­er­klärung erlaubt ist.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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