18.10.2024
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Sie sehen eine Figur, die einen Mann darstellt, der mit einem Fernglas in der Hecke sitzt.

Dokument-Nr. 30395

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Urteil11.06.2021BundesgerichtshofV ZR 234/19
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Berlin-Pankow/Weißensee, Urteil08.08.2018, 7 C 146/18
  • Landgericht Berlin, Urteil09.09.2019, 51 S 17/18
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Bundesgerichtshof Urteil11.06.2021

Nachbar darf überhängender Äste bei Gefahr für Standfestigkeit des Baumes abschneidenEigenmächtiger Rückschnitt zulässig

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass ein Grund­s­tücks­nachbar - vorbehaltlich naturschutz­rechtlicher Beschränkungen - von seinem Selbst­hil­ferecht aus § 910 BGB auch dann Gebrauch machen darf, wenn durch das Abschneiden überhängender Äste das Absterben des Baums oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht.

Im hier vorliegenden Fall sind die Parteien Nachbarn. Auf dem Grundstück der Kläger steht unmittelbar an der gemeinsamen Grenze seit rund 40 Jahren eine inzwischen etwa 15 Meter hohe Schwarzkiefer. Ihre Äste, von denen Nadeln und Zapfen herabfallen, ragen seit mindestens 20 Jahren auf das Grundstück des Beklagten hinüber. Nachdem dieser die Kläger erfolglos aufgefordert hatte, die Äste der Kiefer zurück­zu­schneiden, schnitt er überhängende Zweige selbst ab. Mit der Klage verlangen die Kläger von dem Beklagten, es zu unterlassen, von der Kiefer oberhalb von fünf Meter überhängende Zweige abzuschneiden. Sie machen geltend, dass das Abschneiden der Äste die Standsicherheit des Baums gefährde. Die Klage war in den Vorinstanzen erfolgreich.

BGH: Berufungsurteil überholt

Der Bundes­ge­richtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungs­gericht zurückverwiesen. Die von dem Berufungs­gericht gegebene Begründung, die Kläger müssten das Abschneiden der Zweige nicht nach § 910 BGB dulden, weil diese Vorschrift nur unmittelbar von den überhängenden Ästen ausgehende Beein­träch­ti­gungen erfasse, nicht aber mittelbaren Folgen, wie den Abfall von Nadeln und Zapfen, ist durch die Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs vom 14. Juni 2019 (V ZR 102/18) überholt. Schon aus diesem Grunde war das Berufungsurteil aufzuheben.

Berufungs­gericht muss Beein­träch­tigung des Grundstücks durch Überhang klären

Das Berufungs­gericht wird nunmehr zu klären haben, ob die Nutzung des Grundstücks des Beklagten durch den Überhang beeinträchtigt wird. Ist dies der Fall, dann ist die Entfernung des Überhangs durch den Beklagten für die Kläger auch dann nicht unzumutbar, wenn dadurch das Absterben des Baums oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht. Das Selbsthilferecht aus § 910 Abs. 1 BGB sollte nach der Vorstellung des Gesetzgebers einfach und allgemein verständlich ausgestaltet sein, es unterliegt daher insbesondere keiner Verhält­nis­mä­ßigkeits- oder Zumut­ba­r­keits­prüfung.

Grund­s­tücks­be­sitzer für Baumwuchs verantwortlich

Zudem liegt die Verantwortung dafür, dass Äste und Zweige nicht über die Grenzen des Grundstücks hinauswachsen, bei dem Eigentümer des Grundstücks, auf dem der Baum steht; er ist hierzu im Rahmen der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung seines Grundstücks gehalten. Kommt er dieser Verpflichtung - wie hier die Kläger - nicht nach und lässt er die Zweige des Baumes über die Grundstücksgrenze wachsen, dann kann er nicht unter Verweis darauf, dass der Baum (nunmehr) droht, durch das Abschneiden der Zweige an der Grund­s­tücks­grenze seine Standfestigkeit zu verlieren oder abzusterben, von seinem Nachbarn verlangen, das Abschneiden zu unterlassen und die Beein­träch­tigung seines Grundstücks hinzunehmen.

Selbst­hil­ferecht kann aber durch natur­schutz­rechtliche Regelungen eingeschränkt sein

Das Selbst­hil­ferecht kann aber durch natur­schutz­rechtliche Regelungen, etwa durch Baumschutz­sat­zungen oder -verordnungen, eingeschränkt sein. Ob dies hier der Fall ist, wird das Berufungs­gericht noch zu prüfen haben.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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