23.11.2024
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Dokument-Nr. 28214

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Bundesgerichtshof Urteil13.12.2019

Betreiben eines Eltern-Kind-Zentrums in Wohnungs- und Teilei­gen­tums­anlage zulässigKinderlärm steht unter besonderem Toleranzgebot

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass in einer Teil­eigentums­einheit, die in der Teilungs­er­klärung als "Laden mit Lager" bezeichnet ist, ein Eltern-Kind-Zentrum betrieben werden darf.

Die Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens sind Mitglieder einer Wohnungs- und Teilei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft in einer deutschen Großstadt. Ihre Wohnung befindet sich im ersten Obergeschoss. Der Beklagte - ein eingetragener Verein - ist Mieter einer unmittelbar darunter im Erdgeschoss belegenen Teilei­gen­tum­s­einheit, die nach der Teilungs­er­klärung aus dem Jahr 1987 als "Laden mit Lager" genutzt werden darf. Dort betreibt er ein sogenanntes Eltern-Kind-Zentrum. Dessen Ziel ist es laut Satzung des Beklagten unter anderem, der zunehmenden Isolation von Eltern entge­gen­zu­wirken, die sich aus der Situation der Familien in der Großstadt ergibt. Geöffnet ist das Zentrum montags bis freitags zwischen 9 Uhr und 18 Uhr. Vormittags findet ein "Mini-Kindergarten" für Kinder im Alter zwischen 18 und 36 Monaten statt, montags und freitags des Weiteren der Kurs "Deutsch als Fremdsprache" für Eltern. Nachmittags veranstaltet der Beklagte ein "offenes Spielzimmer" für Kinder und Familien­an­ge­hörige mit Kaffee und Kuchen sowie Spielecke, ferner weitere Kinderkurse (Zeichenkurse, Musikkurse, Zumba Kids). Überwiegend nachmittags finden sogenannte offene Spielgruppen in verschiedenen Sprachen für Kinder und Eltern statt. Samstags treffen sich von 10.30 Uhr bis 12.30 Uhr die "Scuola Italiana" für Kinder von 4 bis 6 Jahren und einmal pro Monat von 13 Uhr bis 16 Uhr die "Girl Scouts" (Pfadfinderinnen von der zweiten bis zur achten Jahrgangsstufe). Unregelmäßig finden Kinderfeiern, z.B. Faschingsfeiern, Flohmärkte und Vorträge statt.

Kläger verlangen Unterlassung der Nutzung der Räumlichkeiten als Eltern-Kind-Zentrum

Die Kläger verlangten von dem Beklagten mit dem Hauptantrag die Unterlassung der Nutzung der Räumlichkeiten als Eltern-Kind-Zentrum. Hilfsweise soll der Beklagte es unterlassen, auf einer näher bezeichneten Außenfläche vor der Teilei­gen­tum­s­einheit Kinderwagen und Fahrräder abzustellen; zudem soll er durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass die Immissionen in der Wohnung der Kläger einen Pegel von 52 dB (A) nicht überschreiten. Das Landgericht gab dem Hauptantrag statt. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten vor dem Oberlan­des­gericht blieb erfolglos. Mit der von dem Bundes­ge­richtshof zugelassenen Revision verfolgte der Beklagte seinen Klage­ab­wei­sungs­antrag weiter.

BGH weist Klage ab

Der Bundes­ge­richtshof gab der Revision des Beklagten statt und wies die Klage im Hauptantrag ab. Hinsichtlich der Hilfsanträge wies der Bundes­ge­richtshof die Sache an das Oberlan­des­gericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück.

Von Eltern-Kind-Zentrum ausgehender Lärm grundsätzlich lauter als Lärm aus "Laden mit Lager"

Der Bundes­ge­richtshof führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, dass ein Wohnungs­ei­gentümer von dem Mieter einer anderen Einheit gemäß § 1004 Abs. 1 BGB Unterlassung verlangen könne, wenn dieser die Einheit anders nutze als in der Teilungs­er­klärung vorgesehen. Das gelte zwar dann nicht, wenn die tatsächliche Nutzung bei typisierender Betrachtung nicht mehr störe als die erlaubte Nutzung. Geräusche, die von einem Eltern-Kind-Zentrum ausgehen, seien angesichts der dort für gewöhnlich stattfindenden Aktivitäten aber typischerweise lauter und störender als die eines Ladens mit Lager.

Durch Kinder hervorgerufener Lärm im Regelfall keine schädliche Umwelt­ein­wirkung

Dass die Kläger gleichwohl nicht Unterlassung der Nutzung als Eltern-Kind-Zentrum verlangen können, beruhe auf der Ausstrah­lungs­wirkung des § 22 Abs. 1a Satz 1 BImSchG auf das Wohnungs­ei­gen­tumsrecht. Nach dieser Bestimmung sind Geräu­schein­wir­kungen, die von Kinder­ta­ges­ein­rich­tungen, Kinder­spiel­plätzen und ähnlichen Einrichtungen, wie beispielsweise Ballspiel­plätzen, durch Kinder hervorgerufen werden, im Regelfall keine schädliche Umwelt­ein­wirkung. Dies sei regelmäßig auch bei der Prüfung zu beachten, ob eine nach der Teilungs­er­klärung ausgeschlossene Nutzung dennoch zulässig ist, weil sie bei typisierender Betrach­tungsweise nicht mehr störe als die vorgesehene Nutzung, und zwar auch dann, wenn die Teilungs­er­klärung vor dem Inkrafttreten von § 22 Abs. 1a BImSchG errichtet wurde.

Nutzung einer Wohneinheit als Kinder­ta­ges­ein­richtung im Hinblick auf erhöhten Publi­kums­verkehr eher unwahr­scheinlich

Etwas anderes gelte nur dann, wenn die Nutzung der Einheiten als Einrichtung i.S.d. § 22 Abs. 1a BImSchG ausdrücklich oder konkludent ausgeschlossen ist. So liege es beispielsweise, wenn eine Anlage nach der Teilungs­er­klärung als sogenanntes Ärztehaus konzipiert ist; denn die Nutzung einer Einheit als Kinder­ta­ges­ein­richtung widerspräche unabhängig von ihrem Störungs­po­tential dem professionellen Charakter einer solchen Anlage. Zudem stehe § 22 Abs. 1a BImSchG einem Unter­las­sungs­an­spruch der Wohnungs­ei­gentümer nicht entgegen, wenn die Nutzung als Kinder­ta­ges­ein­richtung auch unter Berück­sich­tigung der von § 22 Abs. 1a BImSchG gewährten Privilegierung mehr störe als die nach der Zweckbestimmung zulässige. Im Hinblick auf den erhöhten Publi­kums­verkehr, den eine Kinder­ta­ges­ein­richtung mit sich bringe, werde deshalb eine Wohneinheit regelmäßig nicht zu diesem Zweck genutzt werden dürfen; anders könne es wiederum bei einer Tagesmutter liegen. Diese Ausnahmen lägen hier aber nicht vor, weil es um die Nutzung einer Teilei­gen­tum­s­einheit in einer gemischten Anlage gehe, in der sowohl eine Wohnnutzung stattfinde als auch Teilei­gen­tum­s­ein­heiten vorhanden seien, die als Büros und Läden genutzt werden dürfen.

Begriff der Kinder­ta­ges­ein­richtung darf nicht zu eng gefasst werden

Das von dem Beklagten betriebene Eltern-Kind-Zentrum ist eine Kinder­ta­ges­ein­richtung bzw. jedenfalls eine "ähnliche" Einrichtung i.S.d. § 22 Abs. 1a BImSchG. Dem stehe nicht entgegen, dass die Angebote teilweise - neben den Angeboten nur für Kinder (Mini-Kindergarten, Zeichenkurse, Musikkurse, Zumba Kids, Scuola Italiana, Treffen der "Girl Scouts" und unregelmäßig stattfindende Kinderfeiern) - unter Beteiligung von Famili­en­mit­gliedern durchgeführt werden (offene Spielzimmer und offene Spielgruppen) und auch den Austausch der Eltern untereinander fördern sollen. Unerheblich für die Anwendung des § 22 Abs. 1a BImSchG sei ferner, dass das Eltern-Kind-Zentrum zusätzlich zu den nach dieser Vorschrift privilegierten Angeboten auch Angebote ausschließlich an die Eltern mache, solange diesen - wie hier - eine nur untergeordnete Bedeutung zukommt. Der Begriff der Kinder­ta­ges­ein­richtung bzw. einer ähnlichen Einrichtung dürfe nicht zu eng gefasst werden. Nur ein offenes Verständnis entspreche dem gesetz­ge­be­rischen Ziel, durch § 22 Abs. 1a BImSchG eine Privilegierung von "grundsätzlicher Natur" zu schaffen und vor dem Hintergrund, dass Kinderlärm unter einem besonderen Toleranzgebot stehe, ein klares gesetz­ge­be­risches Signal für eine kinder­freundliche Gesellschaft zu setzen. Bleiben die insoweit privilegierten Geräu­schein­wir­kungen außer Betracht, gehen bei der gebotenen typisierenden Betrach­tungsweise die mit dem Betrieb des Eltern-Kind-Zentrums verbundenen Störungen nicht über das hinaus, was bei dem Betrieb eines Ladens regelmäßig zu erwarten ist.

Unter­las­sungs­an­spruch wegen einzelner besonders störender Handlungsweisen nicht ausgeschlossen

Zur Entscheidung über die Hilfsanträge hat der Bundes­ge­richtshof die Sache an das Berufungs­gericht zurückverwiesen. Dass die Kläger von dem Beklagten nicht die Unterlassung der Nutzung als Eltern-Kind-Zentrum verlangen können, schließt Unter­las­sungs­ansprüche gemäß § 1004 Abs. 1 BGB wegen einzelner besonders störender Handlungsweisen nicht aus.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 1004 BGB Beseitigungs- und Unter­las­sungs­an­spruch

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beein­träch­tigung verlangen. Sind weitere Beein­träch­ti­gungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

§ 22 BImSchG Pflichten der Betreiber nicht geneh­mi­gungs­be­dürftiger Anlagen

(1) [...]

(1a) Geräu­schein­wir­kungen, die von Kinder­ta­ges­ein­rich­tungen, Kinder­spiel­plätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspiel­plätzen durch Kinder hervorgerufen werden, sind im Regelfall keine schädliche Umwelt­ein­wirkung. Bei der Beurteilung der Geräu­schein­wir­kungen dürfen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden.

[...]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online (pm/kg)

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