18.10.2024
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Dokument-Nr. 25048

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Urteil27.10.2017BundesgerichtshofV ZR 193/16
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Starnberg, Urteil18.12.2015, 3 C 682/15 WEG
  • Landgericht München I, Beschluss15.06.2016, 36 S 734/16 WEG
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Bundesgerichtshof Urteil27.10.2017

BGH zur Nutzung einer Teil­eigentums­einheit als Flüchtlings­unterkunftBeabsichtigte Nutzungsformen im Grundsatz zulässig

Der Bundes­ge­richtshof hatte über einen zwischen zwei Teilei­gen­tü­me­rinnen geführten Rechtsstreit zu entscheiden, der die Zulässigkeit der Nutzung einer früher als Altenpflegeheim dienenden Teil­eigentums­einheit u.a. als Flüchtlings­unterkunft zum Gegenstand hatte.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Teilei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft besteht aus der Klägerin und der Beklagten. Bei der Errichtung des Gebäudes zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde es als Kinderheim konzipiert und zunächst auch als solches genutzt. In den 1970er Jahren erfolgte die Aufteilung in zwei Teilei­gen­tum­s­ein­heiten (vgl. dazu § 1 Abs. 3 WEG). Zu dieser Zeit befand sich in der deutlich größeren Einheit Nr. 1, die inzwischen im Eigentum der Beklagten steht, ein Altenpflegeheim. In der Einheit Nr. 2 der Klägerin wurde fortlaufend eine Arztpraxis betrieben; heute ist dort eine kardiologische Praxis ansässig. Die Teilungserklärung enthält folgende Regelung:

Erläuterungen
"Herr [...] teilt hiermit das Eigentum [...] in der Weise in Mitei­gen­tums­anteile auf, dass mit jedem Mitei­gen­tums­anteil das Sondereigentum an bestimmten, nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumen, verbunden wird."

Im Einzelnen wurden gebildet:

1. Mitei­gen­tums­anteil von 869/1000 verbunden mit dem Sondereigentum an sämtlichen [...] Räumen des Alten­pfle­geheims [...], im Aufteilungsplan mit Nr. 1 bezeichnet,

2. Mitei­gen­tums­anteil von 131/1000, verbunden mit dem Sondereigentum an sämtlichen [...] Räumen der [...] Praxis, im Aufteilungsplan mit Nr. 2 bezeichnet.

Die Einheit Nr. 1 - das frühere Altenpflegeheim - steht seit dem Jahr 2003 leer. Die Beklagte hat zunächst angekündigt, darin ein Arbei­ter­wohnheim einzurichten; nunmehr will sie die Einheit als Unterkunft für Asylbewerber oder Flüchtlinge nutzen.

Verfahrensgang

Auf die von der Klägerin erhobene Unter­las­sungsklage hat das Amtsgericht der Beklagten untersagt, in dem Teileigentum Nr. 1 eine Unterkunft für "Arbeiter, Asylbewerber, Flüchtlinge oder sonstige in den Raum München Zugezogene oder Gestrandete zu betreiben oder von Dritten betreiben zu lassen." Das Landgericht hat die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen. Mit der von dem Bundes­ge­richtshof zugelassenen Revision will die Beklagte die Abweisung der Unter­las­sungsklage erreichen.

Kriterien zur Definition "Nutzung als Heim" im Einzelnen bisher umstritten und höchst­rich­terlich nicht entschieden

Der Bundes­ge­richtshof hat den Beschluss des Landgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Er hat einen Unter­las­sungs­an­spruch der Klägerin gemäß § 15 Abs. 3 WEG verneint, weil er die von der Beklagten beabsichtigten Nutzungsformen im Grundsatz als zulässig ansieht. Dabei hat sich der Bundes­ge­richtshof von folgenden Erwägungen leiten lassen: Die mit Wohnungs- und Teileigentum gesetzlich vorgesehenen Grundtypen der Nutzungs­be­fugnis (vgl. § 1 WEG) schließen sich - vorbehaltlich anderer Vereinbarungen - gegenseitig aus. Dient eine Einheit nicht zu Wohnzwecken, darf sie grundsätzlich nur zu Zwecken genutzt werden, die nicht dem Wohnen zuzuordnen sind. Wird eine Nutzung dem Wohnen zugeordnet, muss sie im Umkehrschluss in Wohnungs­ei­gen­tum­s­ein­heiten jedenfalls im Grundsatz als zulässig erachtet werden. Die Auslegung darf nämlich nicht dazu führen, dass eine von der Rechtsordnung grundsätzlich gebilligte Nutzungsform im Ergebnis weder in Wohnungs- noch in Teilei­gen­tum­s­ein­heiten erfolgen darf. Die Bedeutung von Zweifelsfragen, die sich aus der Vielfalt von Lebens- und Nutzungsformen notwen­di­gerweise ergeben, wird durch die ständige Rechtsprechung abgemildert, wonach sich eine nach dem vereinbarten Zweck ausgeschlossene Nutzung als zulässig erweisen kann, wenn sie bei typisierender Betrach­tungsweise nicht mehr stört als die vorgesehene Nutzung. Der maßgebliche Begriff des Wohnens ist weit zu verstehen, wobei entscheidend ist, welche Nutzung in der Wohnung selbst stattfindet; so dient nach der Rechtsprechung des Senats eine Eigen­tums­wohnung bei der Vermietung an laufend wechselnde Feriengäste als Unterkunft und damit Wohnzwecken. Dagegen bestand bislang in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und der Literatur zwar im Ausgangspunkt Einigkeit darüber, dass eine Nutzung als Heim oder als heimähnliche Einrichtung nicht zu Wohnzwecken dient; welche Kriterien aber im Einzelnen ein Heim ausmachen, war umstritten und bislang höchst­rich­terlich nicht entschieden.

Definition bedarf Gesamtschau verschiedener Kriterien

Mit der Entscheidung hat der Bundes­ge­richtshof geklärt, dass eine (nicht zu Wohnzwecken dienende) Nutzung als Heim dadurch gekennzeichnet wird, dass die Unterkunft in einer für eine Vielzahl von Menschen bestimmten Einrichtung erfolgt, deren Bestand von den jeweiligen Bewohnern unabhängig ist, und in der eine heimtypische Organi­sa­ti­o­nss­truktur an die Stelle der Eigengestaltung der Haushalts­führung und des häuslichen Wirkungskreises tritt. Die Grenzen einer Wohnnutzung werden überschritten, wenn die Nutzung nicht nur durch die schlichte Unterkunft, sondern durch die von der Einrichtung vorgegebene Organi­sa­ti­o­nss­truktur und - je nach Zweck des Aufenthalts - durch Dienst- oder Pflege­leis­tungen und/oder durch Überwachung und Kontrolle geprägt wird. Insoweit bedarf es einer Gesamtschau verschiedener Kriterien, die die Art der Einrichtung und die bauliche Gestaltung und Beschaffenheit der Einheit einbezieht. So wird im Bereich der Altenpflege etwa das betreute Wohnen als Wohnnutzung anzusehen sein, nicht aber eine Nutzung durch stationäre Pflege­ein­rich­tungen, die in erster Linie Pflege- und Betreu­ung­s­cha­rakter haben.

Unterbringung in Gemein­schafts­un­terkunft ist in der Regel als heimähnliche Unterbringung anzusehen

Was die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern angeht, dient die Überlassung von Wohnungen von üblicher Größe und Beschaffenheit an diesen Personenkreis im Grundsatz Wohnzwecken und zwar auch dann, wenn die Bewohner nicht familiär verbunden sind. Eine Überbelegung muss allerdings von den übrigen Wohnungs­ei­gen­tümern nicht ohne weiteres hingenommen werden. Dagegen ist die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 AsylG in der Regel als heimähnliche Unterbringung anzusehen, die grundsätzlich nur in Teilei­gen­tum­s­ein­heiten erfolgen kann. Denn in der Gesamtschau mit der erforderlichen baulichen Größe und Ausgestaltung der Einheit machen das enge Zusammenleben, die Anzahl und die häufige Fluktuation der Bewohner eine heimtypische Organi­sa­ti­o­nss­truktur erforderlich; in typisierender Betrachtung fehlt es an einer Eigengestaltung der Haushalts­führung und des häuslichen Wirkungskreises. So müssen etwa Zimmer und Betten zugewiesen, Verhal­tens­regeln im Hinblick auf Ruhezeiten sowie die Nutzung gemein­schaft­licher Küchen- und Sanitäranlagen aufgestellt und durchgesetzt und etwaige Konflikte zwischen den Bewohnern geschlichtet werden. Ob solche Leistungen tatsächlich erbracht werden, ist für die Unterscheidung zwischen Wohn- und Heimnutzung unerheblich; entscheidend ist, dass sie objektiv erforderlich sind, um ein gedeihliches Zusammenleben der Bewohner zu gewährleisten. Vergleichbare Kriterien gelten bei einem Arbei­ter­wohnheim. Daran gemessen dienen die von der Beklagten beabsichtigten Nutzungen nicht zu Wohnzwecken. Nach ihrer aus dem Aufteilungsplan ersichtlichen baulichen Gestaltung weist die zuvor als Altenpflegeheim genutzte Einheit Nr. 1 eine heimtypische Beschaffenheit auf und ist für einen auch in einer Wohnge­mein­schaft unüblich großen Personenkreis ausgelegt; auch soll die Unterbringung von Arbeitern oder Flüchtlingen jeweils in Mehrbettzimmern mit gemein­schaft­licher Nutzung von Küche und Sanitäranlagen erfolgen.

Maßgebliche Teilungs­er­klärung sieht nicht zweifelsfrei ausschließliche Nutzung als Altenpflegeheim bzw. Praxis vor

Die Entscheidung des Landgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Daher hat der Bundes­ge­richtshof den angefochtenen Beschluss aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der maßgeblichen Teilungs­er­klärung lässt sich nicht mit der erforderlichen Klarheit entnehmen, dass die Einheiten ausschließlich als Altenpflegeheim bzw. Praxis dienen dürfen, also auch für die Zukunft die Fortsetzung der zur Zeit der Aufteilung ausgeübten Nutzung vereinbart worden ist. Infolgedessen darf die Einheit zwar nicht zum Wohnen, aber zu jedem anderen Zweck genutzt werden, und damit auch - jedenfalls im Grundsatz - für die von der Beklagten beabsichtigten Nutzungsformen, deren Unterlassung die Klägerin begehrt. Nicht zu prüfen war in diesem Verfahren, ob eine konkrete Ausgestaltung, etwa im Hinblick auf die Zahl der unter­zu­brin­genden Personen, unzulässig sein kann, und ob und inwieweit die Beklagte verpflichtet ist, für eine angemessene Organisation der Gemein­schafts­un­terkunft und insbesondere die Betreuung und Überwachung der Bewohner Sorge zu tragen.

§ 1 WEG Begriffs­be­stim­mungen

(1) Nach Maßgabe dieses Gesetzes kann an Wohnungen das Wohnungs­ei­gentum, an nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumen eines Gebäudes das Teileigentum begründet werden.

(2) Wohnungs­ei­gentum ist das Sondereigentum an einer Wohnung in Verbindung mit dem Mitei­gen­tums­anteil an dem gemein­schaft­lichen Eigentum, zu dem es gehört.

(3) Teileigentum ist das Sondereigentum an nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumen eines Gebäudes in Verbindung mit dem Mitei­gen­tums­anteil an dem gemein­schaft­lichen Eigentum, zu dem es gehört.

§ 15 WEG Gebrauchs­re­gelung

(3) Jeder Wohnungs­ei­gentümer kann einen Gebrauch der im Sondereigentum stehenden Gebäudeteile und des gemein­schaft­lichen Eigentums verlangen, der [...] den Vereinbarungen [...] entspricht.

§ 53 AsylG Unterbringung in Gemein­schafts­un­ter­künften

(1) Ausländer, die einen Asylantrag gestellt haben und nicht oder nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnah­me­ein­richtung zu wohnen, sollen in der Regel in Gemein­schafts­un­ter­künften untergebracht werden.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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