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Dokument-Nr. 30226

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Urteil10.02.2021BundesgerichtshofKZR 63/18
Vorinstanzen:
  • Kammergericht Berlin, Urteil28.06.2018, 2 U 13/14 (Kat)
  • Landgericht Berlin, Urteil16.12.2014, 16 O 384/13 Kart
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil10.02.2021

Bundes­ge­richtshof billigt Pauscha­lie­rungs­klausel für Schäden durch Kartell­ab­sprachenPauscha­lie­rungs­klausel bei Schäden durch Kartell­ab­sprachen zulässig

Der Bundes­ge­richtshof hat, entschieden, dass ein an einem Kartell beteiligter Auftragnehmer durch eine insbesondere von öffentlichen Auftraggebern vielfach verwendete Schadens­pauschalierungs­klausel nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt wird. Der Schadens­ersatzanspruch eines Kartell­ge­schä­digten, der ein Produkt zu einem kartellbedingt überhöhten Preis erworben hat, kann vielmehr durch eine entsprechende Klausel im Kaufvertrag grundsätzlich wirksam in Höhe eines 15 Prozent der Abrech­nungssumme nicht übersteigenden Betrags pauschaliert werden.

Kläger sind die Berliner Verkehrs­be­triebe (BVG), die Beklagte befasst sich mit der Herstellung von Gleiso­ber­bau­ma­te­rialien. Die BVG erwarb in den Jahren 2002 und 2003 von der Beklagten in sieben Fällen Weichen und Weichenteile. Den Verträgen lagen "Zusätzliche Vertrags­be­din­gungen (ZVB)" der BVG zugrunde, die in Nr. 14 folgende Klausel enthielten: "Wenn der Auftragnehmer aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbe­wer­bs­be­schränkung […] darstellt, hat er 5 v. H. der Abrech­nungssumme als pauschalierten Schadensersatz an den Auftraggeber zu zahlen, es sei denn, dass ein Schaden in anderer Höhe nachgewiesen wird."

BVG verlangt Schadensersatz wegen Preis-, Quoten- und Kunden­schutz­ab­sprachen

Die BVG verlangt nunmehr Schadensersatz in dieser Höhe, weil Hersteller und Händler von Schienen, Weichen und Schwellen spätestens seit 2001 bis zur Aufdeckung des Kartells im Mai 2011 Preis-, Quoten- und Kunden­schutz­ab­sprachen praktizierten, an denen auch die Beklagte beteiligt war. Die Absprachen beruhten maßgeblich darauf, dass den einzelnen Unternehmen bestimmte "Altkunden" oder "Stammkunden" zugeordnet waren und diese Zuordnung von den Kartell­teil­nehmern grundsätzlich respektiert wurde. Hierzu verzichteten die anderen Kartell­teil­nehmer auf die Abgabe von Angeboten oder reichten diese erst nach Ablauf der Angebotsfrist oder zu überhöhten Preisen ein, so dass der Auftrag dem vorbestimmten Unternehmen zufallen konnte. Die Klage war in den Vorinstanzen im Wesentlichen erfolgreich. Mit der vom Bundes­ge­richtshof zugelassenen Revision hat die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgt.

Bundes­ge­richtshof hebt das Berufungsurteil auf und verweist die Sache an das Berufungs­gericht zurück

Auf die Revision der Beklagten hat der Bundes­ge­richtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungs­gericht zurückverwiesen. Nach der Entscheidung des Kartellsenats ist das Berufungs­gericht zwar zutreffend von der Wirksamkeit der vertraglich vereinbarten Schaden­s­pau­scha­lie­rungs­klausel ausgegangen. Rechts­feh­lerhaft hat es aber angenommen, der Beklagten sei der Nachweis nicht gelungen, dass der BVG ein geringerer Schaden als der Pauschalbetrag oder überhaupt kein Schaden entstanden ist.

Pauschale der Höhe darf den branchen­ty­pischen Durch­schnitts­schaden nicht übersteigen

Eine Schaden­s­pau­scha­lie­rungs­klausel ist außerhalb des unter­neh­me­rischen Geschäfts­verkehrs an den Maßgaben der Vorschrift des § 309 Nr. 5 BGB zu messen. Danach ist in Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen (AGB) die Vereinbarung eines pauschalierten Anspruchs des Verwenders auf Schadensersatz unwirksam, wenn die Pauschale den in den geregelten Fällen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden übersteigt (Buchstabe a) oder dem anderen Vertragsteil nicht ausdrücklich der Nachweis gestattet wird, ein Schaden sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale (Buchstabe b). Dabei darf die Pauschale der Höhe nach den normalerweise eintretenden branchen­ty­pischen Durch­schnitts­schaden nicht übersteigen. Im hier maßgeblichen - unter­neh­me­rischen Geschäfts­verkehr ist diese Vorschrift nicht anwendbar. Jedoch sind ihre Wertungen bei der Inhalts­kon­trolle nach § 307 BGB grundsätzlich zu berücksichtigen. Im Rahmen der gebotenen umfassenden Inter­es­se­n­ab­wägung muss darüber hinaus den Besonderheiten kartell­zi­vil­recht­licher Schaden­s­er­satz­ansprüche Rechnung getragen werden.

Hypothetischer Wettbe­wer­b­spreis nur aufgrund von Indizien zu ermitteln

Die Bezifferung eines Schadens, der aus einem Verstoß gegen das Kartellverbot resultiert, ist regelmäßig mit erheblichen tatsächlichen Schwierigkeiten und großem sachlichen und finanziellen Aufwand verbunden. In besonderem Maße gilt dies für den praktisch bedeutsamsten Fall des durch Kartellabsprachen verursachten Preis­hö­hen­schadens, weil dieser Schaden aus einem Vergleich des vertraglich vereinbarten Preises mit dem hypothetischen Preis zu ermitteln ist, der sich ohne Kartell­ab­sprache ergeben hätte. Dieser hypothetische Wettbe­wer­b­spreis lässt sich typischerweise nur aufgrund von Indizien ermitteln und kann nur näherungsweise bestimmt werden.

Redlicher Klausel­ver­wender mit Infor­ma­ti­o­ns­defizit

Insofern kommt dem mit der Verwendung von Pauscha­lie­rungs­klauseln verfolgten und in § 309 Nr. 5 BGB grundsätzlich anerkannten Zweck besondere Bedeutung zu, die Durchsetzung von Schaden­s­er­satz­ansprüchen durch Verringerung von Zeitaufwand und Kosten zu rationalisieren. Das Infor­ma­ti­o­ns­defizit des redlichen Klausel­ver­wenders, der für den Fall einer Kartell­ab­sprache mit Hilfe der Pauscha­lie­rungs­klausel eine effiziente Kompensation des aus dem vom unredlichen Vertragspartner verursachten Vermö­gens­schadens anstrebt, unterscheidet Kartell­scha­den­s­er­satzfälle von solchen, in denen mit der Pauscha­lie­rungs­klausel ein Schaden abgegolten werden soll, der aus der Verletzung einer vertrags­ty­pischen Pflicht resultiert und bei dem sich der Geschädigte zur Bemessung eines branchen­ty­pischen Durch­schnitts­schadens auf entsprechende Erfahrungswerte stützen kann.

Auftraggeber kann sich auf die von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie stützen

Der Auftraggeber darf sich daher auf verfügbare ökonomisch fundierte allgemeine Analysen kartell­be­dingter Preisaufschläge wie eine von der BVG in den Rechtsstreit eingeführte, von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie stützen, nach denen sich durch eine Kartell­ab­sprache verursachte Preiserhöhungen im arithmetischen und geometrischen Mittel jedenfalls auf 15 Prozent, bezogen auf den tatsächlich gezahlten Kaufpreis, belaufen. Dem steht nicht entgegen, dass es sich um einen bloßen Durchschnitts- oder Mittelwert handelt, der im Einzelfall beträchtlich über- wie unterschritten werden kann, und alle empirischen Untersuchungen aufgrund der Komplexität des Preis­bil­dungs­me­cha­nismus, der Vielfalt der Kartell­ab­sprachen, der erheblichen Streubreite der zu beobachtenden Preisaufschläge und der begrenzten Verfügbarkeit hinreichend vergleichbarer Datensätze allenfalls Näherungswerte abbilden und im Detail methodischen Zweifeln ausgesetzt sein können.

Schädiger muss Nachweis möglicher Überkom­pen­sation führen

Eine pauschalierte Abschätzung der Differenz zwischen Angebotspreis und hypothetischem Marktpreis ist dadurch zwar zwangsläufig sowohl mit der Gefahr einer Über- wie mit der Gefahr einer Unter­kom­pen­sation des tatsächlich eingetretenen Schadens verbunden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Auftraggeber eine mögliche Überkom­pen­sation schon bei der Pauschalierung schlechthin oder zumindest weitgehend ausschließen muss. Dem schaden­s­er­satz­recht­lichen Berei­che­rungs­verbot wird vielmehr hinreichend Rechnung getragen, wenn eine Pauscha­lie­rungs­klausel dem an einer Kartell­ab­sprache beteiligten Schädiger den Nachweis vorbehält, dass dem Auftraggeber ein geringerer Schaden entstanden ist. Andernfalls würden die Schwierigkeiten und Unsicherheiten bei der Ermittlung des hypothetischen Marktpreises einseitig zu Lasten des Auftraggebers berücksichtigt. Dies wäre unangemessen, weil der Schädiger als Kartell­be­tei­ligter an einer vorsätzlichen Verfälschung des wettbe­werb­lichen Preis­bil­dungs­me­cha­nismus' mitgewirkt hat und damit auch für die Schwierigkeit der Ermittlung des hypothetischen Marktpreises verantwortlich ist.

Risiko der Aufklärung darf Vertragspartner überbürdet werden

Eine Klausel, die das Risiko der Aufklärung des tatsächlich entstandenen Schadens dem Vertragspartner überbürdet, steht jedenfalls dann mit den sich aus § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ergebenden Anforderungen in Einklang, wenn die pauschalierte Schadenshöhe nach den bei Vertragsschluss zur Verfügung stehenden Erkenntnissen gleichermaßen mit der Gefahr einer Über- wie einer Unter­kom­pen­sation des Schadens verbunden ist und es beiden Vertrags­parteien überlassen bleibt, jeweils einen ihr günstigeren hypothetischen Marktpreis und damit einen fehlenden oder geringeren oder auch einen höheren Schaden nachzuweisen. Danach hätte das Berufungs­gericht aber dem Vorbringen der Beklagten nachgehen müssen, der BVG sei kein oder nur ein geringerer Schaden entstanden. Nur wenn sich ein solches Vorbringen nicht beweisen lässt, darf dem Geschädigten der vereinbarte Pauschalbetrag als Schadensersatz zuerkannt werden.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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