Dokument-Nr. 17063
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- NJW 2013, 3176Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2013, Seite: 3176
- Landgericht Berlin, Urteil15.02.2012, 86 O 90/11
- Kammergericht Berlin, Urteil23.10.2012, 9 U 34/12
Bundesgerichtshof Urteil04.07.2013
Kein Anspruch auf Schadenersatz wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen mangels Verschulden der StrafvollzugsbehördeFehlendes Verschulden aufgrund vertretbarer Rechtsansicht zu Haftbedingungen
Ein Anspruch auf Schadenersatz wegen einer Pflichtverletzung der Strafvollzugsbehörde aufgrund einer menschenunwürdigen Haftsituation ist ausgeschlossen, wenn die Haftbedingung auf einer vertretbaren Rechtsansicht der Behörde beruht. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs hervor.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Häftling wurde von September 2009 bis Februar 2010 in einer etwa 5,3 qm großen Einzelzelle einer Justizvollzugsanstalt in Berlin untergebracht. Der Haftraum enthielt eine nicht räumlich abgetrennte Toilette. Der Häftling hielt diese Unterbringung nach einer entsprechenden Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Berlin (Verfassungsgerichtshof Berlin, Beschl. v. 03.11.2009 - VerfGH 184/07) für menschenunwürdig und klagte auf Zahlung einer Entschädigung.
Landgericht gab Klage statt, Kammergericht wies sie ab
Das Landgericht Berlin gab der Klage statt und verurteilte das Land Berlin zur Zahlung einer Entschädigung von 3.460 €. Auf die Berufung des Landes Berlin wies das Kammergericht die Klage jedoch ab. Denn seiner Ansicht nach habe der Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB, Art. 34 GG nicht gegriffen. Zwar habe die Haftbedingung einen Eingriff in das Recht auf Achtung der Menschenwürde dargestellt. Die Strafvollzugsbehörde habe jedoch nicht schuldhaft die Amtspflicht verletzt. Seinerzeit sei es unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung zulässig gewesen, die Haftbedingung nicht als menschenunwürdig anzusehen. Des Weiteren sei auch nicht der verschuldensunabhängige Entschädigungsanspruch aus Art. 5 EMRK einschlägig gewesen. Denn diese Vorschrift beziehe sich nur auf die Freiheitsentziehung als solche und nicht auf Haftmodalitäten. Gegen diese Entscheidung legte der Häftling Revision ein.
Kein Schadenersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung
Der Bundesgerichtshof bestätigte das Berufungsurteil und wies die Revision des Häftlings zurück. Ein Anspruch auf Schadenersatz wegen Verletzung einer Amtspflicht nach § 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 GG habe nicht bestanden. Zwar haben hier die Haftbedingungen eine Verletzung der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG dargestellt. Die Strafvollzugsbehörde habe jedoch nicht schuldhaft gehandelt.
Fehlendes Verschulden der Strafvollzugsbehörde
Jeder Inhaber eines öffentlichen Amtes habe die Sach- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und sich danach aufgrund vernünftiger Überlegungen eine Rechtsmeinung zu bilden, so der Bundesgerichtshof weiter. Wenn die nach solcher Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers als vertretbar angesehen werden könne, lasse sich aus der späteren Missbilligung dieser Rechtsauffassung durch die Gerichte kein Schuldvorwurf herleiten. Dies sei hier der Fall gewesen. Aus den damaligen einschlägigen Entscheidungen habe die Strafvollzugsbehörde nicht den Schluss ziehen müssen, die Haftsituation des Häftlings verstoße gegen die Menschenwürde.
Ausschluss der Amtshaftung wegen fehlendem Rechtsmittel gegen Haftbedingung
Darüber hinaus wäre der Amtshaftungsanspruch nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ohnehin gemäß § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen gewesen. Denn der Häftling habe es fahrlässig versäumt gegen die Haftbedingungen ein Rechtsmittel einzulegen.
Kein Anspruch aus Art. 5 EMRK
Zu Recht habe das Kammergericht nach Einschätzung des Bundesgerichtshofs ein Anspruch auf Entschädigung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift habe jede Person einen Anspruch auf Schadenersatz, die unter Verletzung dieses Artikels von Festnahme und Freiheitsentziehung betroffen ist. Der Anspruch gelte nur für rechtswidrige Freiheitsbeschränkungen. Auf Haftbedingungen sei der Anspruch demgegenüber nicht anzuwenden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 25.10.2013
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)
der Leitsatz
§ 839 BGB; Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 3, Art. 5 Abs. 5 EMRK
a)Zur Amtshaftung wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen.
b) Dem Inhaftierten, der menschenunwürdigen Haftbedingungen ausgesetzt ist, steht kein Entschädigungsanspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK zu. Art. 5 EMRK bezieht sich grundsätzlich nur auf die Freiheitsentziehung als solche, nicht auf die Modalitäten des Vollzugs der Haft. Unzumutbare Haftbedingungen werden ausschließlich von Art. 3 EMRK erfasst. Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK richten sich primär nach nationalem Recht, in Deutschland nach §§ 839, 249 ff BGB (Abgrenzung zu Senatsurteil vom 29.April 1993 - III ZR 3/92, BGHZ 122, 268).
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