18.10.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 17063

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Urteil04.07.2013BundesgerichtshofIII ZR 342/12
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW 2013, 3176Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2013, Seite: 3176
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Vorinstanzen:
  • Landgericht Berlin, Urteil15.02.2012, 86 O 90/11
  • Kammergericht Berlin, Urteil23.10.2012, 9 U 34/12
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil04.07.2013

Kein Anspruch auf Schadenersatz wegen menschen­un­würdiger Haftbedingungen mangels Verschulden der Straf­vollzugs­behördeFehlendes Verschulden aufgrund vertretbarer Rechtsansicht zu Haftbedingungen

Ein Anspruch auf Schadenersatz wegen einer Pflicht­ver­letzung der Straf­vollzugs­behörde aufgrund einer menschen­un­würdigen Haftsituation ist ausgeschlossen, wenn die Haftbedingung auf einer vertretbaren Rechtsansicht der Behörde beruht. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Häftling wurde von September 2009 bis Februar 2010 in einer etwa 5,3 qm großen Einzelzelle einer Justiz­voll­zugs­anstalt in Berlin untergebracht. Der Haftraum enthielt eine nicht räumlich abgetrennte Toilette. Der Häftling hielt diese Unterbringung nach einer entsprechenden Entscheidung des Verfas­sungs­ge­richtshofs Berlin (Verfas­sungs­ge­richtshof Berlin, Beschl. v. 03.11.2009 - VerfGH 184/07) für menschen­un­würdig und klagte auf Zahlung einer Entschädigung.

Landgericht gab Klage statt, Kammergericht wies sie ab

Das Landgericht Berlin gab der Klage statt und verurteilte das Land Berlin zur Zahlung einer Entschädigung von 3.460 €. Auf die Berufung des Landes Berlin wies das Kammergericht die Klage jedoch ab. Denn seiner Ansicht nach habe der Amtshaf­tungs­an­spruch aus § 839 BGB, Art. 34 GG nicht gegriffen. Zwar habe die Haftbedingung einen Eingriff in das Recht auf Achtung der Menschenwürde dargestellt. Die Straf­voll­zugs­behörde habe jedoch nicht schuldhaft die Amtspflicht verletzt. Seinerzeit sei es unter Berück­sich­tigung der einschlägigen Rechtsprechung zulässig gewesen, die Haftbedingung nicht als menschen­un­würdig anzusehen. Des Weiteren sei auch nicht der verschul­den­su­n­ab­hängige Entschä­di­gungs­an­spruch aus Art. 5 EMRK einschlägig gewesen. Denn diese Vorschrift beziehe sich nur auf die Freiheits­ent­ziehung als solche und nicht auf Haftmodalitäten. Gegen diese Entscheidung legte der Häftling Revision ein.

Kein Schaden­er­satz­an­spruch wegen Amtspflicht­ver­letzung

Der Bundes­ge­richtshof bestätigte das Berufungsurteil und wies die Revision des Häftlings zurück. Ein Anspruch auf Schadenersatz wegen Verletzung einer Amtspflicht nach § 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 GG habe nicht bestanden. Zwar haben hier die Haftbedingungen eine Verletzung der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG dargestellt. Die Straf­voll­zugs­behörde habe jedoch nicht schuldhaft gehandelt.

Fehlendes Verschulden der Straf­voll­zugs­behörde

Jeder Inhaber eines öffentlichen Amtes habe die Sach- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und sich danach aufgrund vernünftiger Überlegungen eine Rechtsmeinung zu bilden, so der Bundes­ge­richtshof weiter. Wenn die nach solcher Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers als vertretbar angesehen werden könne, lasse sich aus der späteren Missbilligung dieser Rechts­auf­fassung durch die Gerichte kein Schuldvorwurf herleiten. Dies sei hier der Fall gewesen. Aus den damaligen einschlägigen Entscheidungen habe die Straf­voll­zugs­behörde nicht den Schluss ziehen müssen, die Haftsituation des Häftlings verstoße gegen die Menschenwürde.

Ausschluss der Amtshaftung wegen fehlendem Rechtsmittel gegen Haftbedingung

Darüber hinaus wäre der Amtshaf­tungs­an­spruch nach Ansicht des Bundes­ge­richtshofs ohnehin gemäß § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen gewesen. Denn der Häftling habe es fahrlässig versäumt gegen die Haftbedingungen ein Rechtsmittel einzulegen.

Kein Anspruch aus Art. 5 EMRK

Zu Recht habe das Kammergericht nach Einschätzung des Bundes­ge­richtshofs ein Anspruch auf Entschädigung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift habe jede Person einen Anspruch auf Schadenersatz, die unter Verletzung dieses Artikels von Festnahme und Freiheits­ent­ziehung betroffen ist. Der Anspruch gelte nur für rechtswidrige Freiheits­be­schrän­kungen. Auf Haftbedingungen sei der Anspruch demgegenüber nicht anzuwenden.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)

der Leitsatz

§ 839 BGB; Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 3, Art. 5 Abs. 5 EMRK

a)Zur Amtshaftung wegen menschen­un­würdiger Haftbedingungen.

b) Dem Inhaftierten, der menschen­un­würdigen Haftbedingungen ausgesetzt ist, steht kein Entschä­di­gungs­an­spruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK zu. Art. 5 EMRK bezieht sich grundsätzlich nur auf die Freiheits­ent­ziehung als solche, nicht auf die Modalitäten des Vollzugs der Haft. Unzumutbare Haftbedingungen werden ausschließlich von Art. 3 EMRK erfasst. Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK richten sich primär nach nationalem Recht, in Deutschland nach §§ 839, 249 ff BGB (Abgrenzung zu Senatsurteil vom 29.April 1993 - III ZR 3/92, BGHZ 122, 268).

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