18.10.2024
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Dokument-Nr. 9392

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Urteil22.03.2010BundesgerichtshofII ZR 66/08, II ZR 184/08, II ZR 185/08, II ZR 198/08, II ZR 3/09, II ZR 162/08, II ZR 181/08, II ZR 193/08, II ZR 215/08 , II ZR168/08, II ZR 178/08
Vorinstanzen:
  • Landgericht Berlin, Urteil24.04.2007, 4a O 342/05
  • Kammergericht Berlin, Urteil13.02.2008, 26 U 102/07
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil22.03.2010

BGH zur Prospekthaftung bei geschlossenen Immobilienfonds der GEHAG in BerlinFehlerhafte Prospek­taussagen suggerieren gesicherte Anschluss­för­de­rungen für Anleger

Der Bundes­ge­richtshof hat festgestellt, dass die Prospekt­for­mu­lie­rungen zu den Immobilienfonds der GEHAG hinsichtlich der Anschluss­för­de­rungen fehlerhaft waren. Die Aussagen suggerieren den Anlegern fälsch­li­cherweise, dass eine Anschluss­för­derung der bezuschussten Mieten gesichert sei. Dies war jedoch nicht der Fall. Das Gericht hob die Urteile des Kammergerichts Berlin auf und wies die Sache zur endgültigen Klärung zurück an das Berufungs­gericht.

Die Beklagte, die GEHAG GmbH, ist Gründungs­ge­sell­schafterin des GEHAG-Fonds 11 und noch weiterer gleichartiger geschlossener Immobilienfonds, an denen sich in den 90er Jahren zahlreiche Anleger aus dem gesamten Bundesgebiet beteiligt haben. Die GEHAG-Anteile wurden mehrheitlich vom Land Berlin gehalten. Alle Fonds haben ähnliche, aber nicht stets wortgleiche Prospekte.

Sachverhalt

Die Fonds waren gegründet worden, um Wohnanlagen - größtenteils im sozialen Wohnungsbau - zu errichten und zu vermieten. Das Land Berlin bezuschusste teilweise die Mieten. Diese Hilfen wurden für 15 Jahre ab Bezugs­fer­tigkeit bewilligt. Üblicherweise schloss sich daran eine ebenfalls 15-jährige "Anschluss­för­derung" an. Abweichend von dieser Verwal­tungsübung beschloss der Berliner Senat im Februar 2003 mit Rücksicht auf die desolate finanzielle Situation der Stadt den Verzicht auf die Anschluss­för­derung für solche Bauvorhaben, bei denen die Grundförderung nach dem 30. Dezember 2002 endete. Darunter fielen auch die GEHAG-Fonds 11, 15 und 18.

Prospektfehler nicht ursächlich für Beitritt­s­ent­scheidung

Die Klägerin verlangt wegen Prospektmängeln u. a. Ersatz ihrer Einlage und Freistellung von der quotalen Haftung für das von der Gesellschaft aufgenommene Bankdarlehen. Damit ist sie in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Anders als bei den Fonds 10 und 20 hat das Berufungs­gericht beim Fonds 11 wie auch in anderen Verfahren bei den Fonds 15 und 18 einen Prospektfehler angenommen, weil die Anschluss­för­derung als gesichert dargestellt worden sei; es hat gleichwohl die Klage abgewiesen, weil es den Fehler nicht als ursächlich für die Beitritt­s­ent­scheidung angesehen hat. Dagegen wendet sich die Revision ebenso wie gegen die Beurteilung des Berufungs­ge­richts, dass wegen der Darstellung der quotalen Haftung der Anleger für Schulden des Fonds kein Prospektfehler anzunehmen sei.

BGH weist Sache zurück an Berufungs­gericht

Die von dem für das Gesell­schaftsrecht zuständigen II. Zivilsenat in diesem und in 10 weiteren Fällen zugelassene Revision führte zur Aufhebung der Berufungs­urteile und Zurück­ver­weisung der Sachen an das Berufungs­gericht.

BGH beanstandet fehlerhafte Prospekt­for­mu­lie­rungen

Der Bundes­ge­richtshof hat dem Berufungs­gericht zugestimmt, dass anders als die Darstellung der quotalen Haftung die Prospekt­for­mu­lie­rungen zur Anschluss­för­derung fehlerhaft sind. Denn diese erwecken den Eindruck, die Anschluss­för­derung sei gesichert, obwohl es tatsächlich keinen Rechtsanspruch darauf gegeben hat. Diese Aussage ist auch dann unrichtig i. S. d. Prospekt­haf­tungs­recht­sprechung, wenn man mit dem Berufungs­gericht davon ausgeht, dass bei der Zeichnung der Fonds in der ersten Hälfte der 90er Jahre allgemein erwartet wurde, das Land Berlin werde den sozialen Wohnungsbau weiterhin fördern.

Fehlerhafte Aufklärung oft ursächlich für Anlage­ent­scheidung

Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs hat der II. Senat angenommen, dass eine fehlerhafte Aufklärung nach der Lebenserfahrung ursächlich für die Anlage­ent­scheidung ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt allenfalls bei hochspe­ku­lativen Geschäften in Betracht. Ein Immobilienfonds ist aber keine derart spekulative Anlageform. Bei einem zutreffenden Hinweis auf die rechtliche Ungewissheit der Anschluss­för­derung wäre es für einen durch­schnitt­lichen Anlage­in­ter­es­senten durchaus vernünftig gewesen, nicht in dieses Vorhaben zu investieren. Unabhängig von der Anschluss­för­derung konnte der Anleger mit der Anlage zwar Steuern sparen. Er riskierte aber, dass der Fonds bei Ausbleiben der Anschluss­för­derung nach 15 Jahren insolvent wurde und damit das investierte Kapital verloren wäre. Dem standen keine adäquaten Gewinnchancen gegenüber; das hat auch die Beklagte selbst eingeräumt, die nämlich erklärt hat: "Ohne Anschluss­för­derung hätte kein Investor dieser Welt auch nur eine einzige Wohnung in Berlin in diesem Marktsegment gebaut."

Entscheidungen der Anleger werden durch unzutreffende Informationen beeinträchtigt

Das Recht des Anlegers, das Für und Wider selbst abzuwägen und seine Anlage­ent­scheidung in eigener Verantwortung zu treffen, wird in diesen Fällen auch durch unzutreffende Informationen über Umstände, für deren Eintritt eine nur geringe Wahrschein­lichkeit besteht, beeinträchtigt.

Die Vermutung aufklä­rungs­richtigen Verhaltens hat die Beklagte bisher nicht widerlegt. Da noch von der Beklagten angebotene Beweise erhoben werden müssen, hat der II. Senat die Sache an das Berufungs­gericht zurückverwiesen.

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof

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