Im zugrunde liegenden Fall stritten die Deutsche Telekom und Arcor darüber, ob es wettbewerbsrechtlich zulässig sei, Passanten an öffentlichen Orten zur Werbung für Pre-Selection-Verträge gezielt und individuell anzusprechen. Die Telekom war der Meinung, dass ein Wettbewerbsverstoß unter dem Gesichtspunkt des belästigenden Anreißens von Kunden vorliege. Sie klagte daher auf Unterlassung dieser Werbeform. Arcor wiederum meinte, die Werbemethode könne aufgrund geänderter Gepflogenheiten und Wertungsmaßstäbe nicht mehr allgemein als wettbewerbswidrig angesehen werden.
Das Landgericht Frankfurt a.M. gab der Klage statt. Auf die Berufung von Arcor wies das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. die Klage ab. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts habe der Unterlassungsanspruch nicht bestanden, da das gezielte Ansprechen von Passanten im öffentlichen Verkehrsraum zu Werbezwecken nicht mehr ohne weiteres sittenwidrig sei. Zu beachten sei gewesen, dass das gezielte Ansprechen im Umkreis eines Werbestandes inzwischen das Alltagsbild in den Geschäftszonen der Innenstadt prägt. Gegen das Berufungsurteil legte die Deutsche Telekom Revision ein.
Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass das gezielte Ansprechen von Passanten an öffentlichen Orten durch einen Werbenden, der als solcher nicht eindeutig erkennbar ist, grundsätzlich wettbewerbswidrig sei. Denn eine solche unerbetene Kontaktaufnahme stelle einen belästigenden Eingriff in die Individualsphäre des Umwerbenden dar. Der Passant werde dadurch in seinem Bedürfnis, auch im öffentlichen Raum möglichst ungestört zu bleiben, beeinträchtigt und unmittelbar persönlich für die gewerbliche Zwecke des werbenden Unternehmens in Anspruch genommen (vgl. BGH, Urt. v. 01.04.2004 - I ZR 227/01).
Zudem mache sich der Werbende den Umstand zunutze, so der Bundesgerichtshof, dass es einem Gebot der Höflichkeit entspricht, einer fremden Person nicht von vornherein abweisend und ablehnend gegenüberzutreten. Darin liege ein unlauteres Erschleichen von Aufmerksamkeit für die eigenen, zunächst verdeckt gehaltenen gewerblichen Zwecke.
Selbst wenn die Belästigung in der Regel als nur gering anzusehen ist, sei diese Werbemethode nach Ansicht des Gerichtshofs unzumutbar. Denn hier habe die Belästigung nicht eine ungewollte oder nur gelegentliche Nebenwirkung der Werbemaßnahme dargestellt. Vielmehr sei die belästigende Werbemaßnahme bewusst und gezielt im eigenen Werbeinteresse angewandt worden. Dazu sei gekommen, dass im Falle der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit dieser Werbung die Gefahr der Nachahmung bestand.
Demgegenüber sei aus Sicht der Bundesrichter im gezielten und individuellen Ansprechen von Passanten zu Werbezwecken allein kein wettbewerbswidriges Verhalten zu sehen. Denn eine psychische Zwangslage müsse bei einem erheblichen Teil der Angesprochenen nicht zwangsläufig entstehen, wenn der Werbende von vornherein als solcher eindeutig erkennbar ist. In einem solchen Fall sei die Kontaktaufnahme grundsätzlich nicht überraschend oder unvorhergesehen. Der Passant habe die Möglichkeit sich ohne große Mühe durch Nichtbeachtung sowie einer kurzen abweisenden Bemerkung oder Geste dem Gespräch zu entziehen. Etwas anderes könne gelten, wenn nach den gegebenen Verhältnissen die Entziehung nicht möglich ist oder wenn der Werbende den erkennbar entgegenstehenden Willen des Angesprochenen missachtet, etwa indem er ihm am Weitergehen hindert oder ihm folgt.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 25.06.2013
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)