In dem zugrunde liegenden Fall warben die Mitarbeiter eines Telekommunikationsanbieters auf öffentlichen Straßen, Plätzen und Einkaufszentren mit Pre-Selection-Verträgen. Dazu traten sie auf Passanten zu und sprachen sie direkt an. Die Deutsche Telekom sah darin eine unzulässige Werbung und hielt dies für wettbewerbswidrig. Sie klagte daher auf Unterlassung. Das Landgericht Köln gab der Klage statt. Das Oberlandesgericht Köln wies die Berufung des verklagten Telekommunikationsunternehmens zurück. Seiner Meinung nach, habe der Unterlassungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des Kundenanreißens durch Belästigung und aufgrund der Überrumpelung bzw. Verstrickung der Kunden bestanden. Gegen das Berufungsurteil legte der Telefonanbieter Revision ein.
Der Bundesgerichtshof entschied gegen das Telekommunikationsunternehmen. Der Deutschen Telekom habe der Unterlassungsanspruch zugestanden. Denn das gezielte Ansprechen von Personen an öffentlichen Orten sei grundsätzlich als wettbewerbswidrig anzusehen (vgl. BGH, Urt. v. 08.04.1960 - I ZR 24/59 = GRUR 1960, 431 und BGH, Urt. v. 08.07.1999 - I ZR 118/97 = GRUR 2000, 235).
Die Wettbewerbswidrigkeit habe sich nach Ansicht des Bundesgerichtshofs jedoch nicht daraus ergeben, dass viele Passanten durch die persönliche Ansprache in eine Zwangslage versetzt werden, der sie sich häufig nur dadurch entziehen zu können glaubten, dass sie auf das Angebot eingehen. Die Gefahr einer solchen Verstrickung oder Überrumpelung und damit eines unerwünschten Vertragsschlusses habe angesichts des heutigen mündigen Verbrauchers nicht mehr bestanden. Eine solche Werbemethode sei daher, zumindest was die Gefahr einer Zwangslage anbelangt, nicht mehr als unlauter anzusehen.
Die Unlauterkeit der Werbung habe sich aber nach Auffassung des Gerichtshofs aus dem belästigenden Charakter der Werbemethode ergeben. Die Belästigung habe sich daraus ergeben, dass ein Eingriff in die Individualsphäre des Passanten und in sein Recht im öffentlichen Raum weitestgehend ungestört zu bleiben, bestand. Dabei ergebe sich die Schwere des Eingriffs nicht so sehr aus der einzelnen Werbemaßnahme, sondern aus der Gefahr der Nachahmung. Werde eine solche Werbemethode zugelassen, bestehe die Gefahr, dass eine Vielzahl von Anbietern von dieser Methode Gebrauch machen. Dies würde zu einer unerträglichen Beeinträchtigung der umworbenen Verbraucher führen.
Dazu komme aus Sicht der Bundesrichter, dass sich ein Werbender, der sich als solcher nicht zu erkennen gibt, das Gebot der Höflichkeit der Passanten ausnutzt. Denn unter zivilisierten Menschen sei es höflich und üblich, einer fremden Person nicht von vornherein abweisend und ablehnend gegenüberzutreten. Auch daraus habe sich die Unlauterkeit der Werbemaßnahme ergeben.
Die Vorschriften des Widerrufsrechts bei Haustürgeschäften haben aus Sicht des Gerichtshofs der Annahme der Wettbewerbswidrigkeit der Werbemethode nicht entgegengestanden. Denn die Widerrufsmöglichkeit nach § 312 BGB habe den belästigenden Charakter der Werbemaßnahme und damit die wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit nicht beseitigt. Der nachträgliche Widerruf beseitige lediglich die zivilrechtlichen Folgen einer möglichen Überrumpelung. Daher stehe, dass den Verbrauchern gewährte Recht des Widerrufs zur Beseitigung der Folgen eines möglicherweise nach überraschender Ansprache abgeschlossenen Vertrags, neben dem Schutz seines Rechts unbelästigt zu bleiben.
Darüber hinaus haben keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestanden, so die Bundesrichter weiter. Das Interesse des Verbrauchers an seiner ungestörten Individualsphäre habe die wirtschaftlichen Belange des Werbenden überwogen. Insbesondere sei nicht dessen Berufsausübungsfreiheit in unzumutbarer Weise eingeschränkt worden, denn dem Telekommunikationsunternehmen habe weiterhin eine Vielzahl von anderen Werbemöglichkeiten im öffentlichen Raum zur Verfügung gestanden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 31.05.2013
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)