23.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil20.02.2020

Händler haften nicht für Produkt­be­wer­tungen von Kunden auf AmazonBGH zur Haftung für Kunden­be­wer­tungen bei Amazon

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass den Anbieter eines auf der Online-Handels­plattform Amazon angebotenen Produkts für Bewertungen des Produkts durch Kunden grundsätzlich keine wett­bewerbs­rechtliche Haftung trifft.

Der Kläger des zugrunde liegenden Falls ist ein eingetragener Wettbe­wer­bs­verein. Die Beklagte vertreibt Kinesiologie-Tapes. Sie hat diese Produkte in der Vergangenheit damit beworben, dass sie zur Schmerz­be­handlung geeignet seien, was jedoch medizinisch nicht gesichert nachweisbar ist. Die Beklagte hat deshalb am 4. November 2013 gegenüber dem Kläger eine strafbewehrte Unter­las­sungs­er­klärung abgegeben.

Hintergrund

Die Beklagte bietet ihre Produkte auch bei der Online-Handels­plattform Amazon an. Dort wird für jedes Produkt über die EAN (European Article Number) eine diesem Produkt zugewiesene ASIN (Amazon-Standard-Identi­fi­ka­ti­o­ns­nummer) generiert, die sicherstellen soll, dass beim Aufruf eines bestimmten Produkts die Angebote sämtlicher Anbieter dieses Produkts angezeigt werden. Käuferinnen und Käufer können bei Amazon die Produkte bewerten. Amazon weist eine solche Bewertung ohne nähere Prüfung dem unter der entsprechenden ASIN geführten Produkt zu. Das hat zur Folge, dass zu einem Artikel alle Kunden­be­wer­tungen angezeigt werden, die zu diesem - unter Umständen von mehreren Verkäufern angebotenen - Produkt abgegeben wurden.

Wettbe­we­bs­verein fordert Zahlung einer Vertragsstrafe

Am 17. Januar 2017 bot die Beklagte bei Amazon Kinesiologie-Tapes an. Unter diesem Angebot waren Kunden­re­zen­sionen abrufbar, die unter anderem die Hinweise "schmerz­lin­derndes Tape!", "This product is perfect for pain ...", "Schnell lässt der Schmerz nach", "Linderung der Schmerzen ist spürbar", "Die Schmerzen gehen durch das Bekleben weg" und "Schmerzen lindern" enthielten. Der Kläger forderte von der Beklagten die Zahlung einer Vertragsstrafe. Die Löschung der Kunden­re­zen­sionen lehnte Amazon auf Anfrage der Beklagten ab. Der Kläger begehrte Unterlassung und Zahlung der Vertragsstrafe sowie der Abmahnkosten. Die Beklagte habe sich die Kunden­re­zen­sionen zu Eigen gemacht und hätte auf ihre Löschung hinwirken müssen. Falls dies nicht möglich sei, dürfe sie die Produkte bei Amazon nicht anbieten

Vorinstanzen weisen Klage ab

Das Landgericht wies die Klage ab. Es bestehe kein Anspruch aus § 8 Abs. 1, § 3 a UWG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 HWG. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Zwar seien die in den Kunden­re­zen­sionen enthaltenen gesund­heits­be­zogenen Angaben irreführend. Sie stellten aber keine Werbung dar. Zumindest wäre eine solche Werbung der Beklagten nicht zuzurechnen.

BGH: Händler trifft für Kunden­be­wer­tungen auf Amazon keine wettbe­wer­bs­rechtliche Haftung

Der Bundes­ge­richtshof wies die Revision des Klägers zurück. Das Berufungs­gericht hat mit Recht angenommen, dass die Beklagte für Kunden­be­wer­tungen der von ihr bei Amazon angebotenen Produkte keine wettbe­wer­bs­rechtliche Haftung trifft. Ein Unter­las­sungs­an­spruch des Klägers ergibt sich nicht aus der Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 und Satz 2 HWG, die Werbung für Medizinprodukte mit irreführenden Äußerungen Dritter verbietet. Die Kunden­be­wer­tungen sind zwar irreführende Äußerungen Dritter, weil die behauptete Schmerz­lin­derung durch Kinesiologie-Tapes medizinisch nicht gesichert nachweisbar ist. Die Beklagte hat mit den Kunden­be­wer­tungen aber nicht geworben. Nach den rechts­feh­lerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungs­ge­richts hat sie weder selbst aktiv mit den Bewertungen geworben oder diese veranlasst, noch hat sie sich die Kunden­be­wer­tungen zu eigen gemacht, indem sie die inhaltliche Verantwortung dafür übernommen hat. Die Kunden­be­wer­tungen sind vielmehr als solche gekennzeichnet, finden sich bei Amazon getrennt vom Angebot der Beklagten und werden von den Nutzerinnen und Nutzern nicht der Sphäre der Beklagten als Verkäuferin zugerechnet.

Kunden­be­wer­tungs­systeme auf Online-Marktplätzen gesell­schaftlich erwünscht und verfas­sungs­rechtlich geschützt

Die Beklagte traf auch keine Rechtspflicht, eine Irreführung durch die Kunden­be­wer­tungen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Fall 2 Nr. 1 UWG zu verhindern. Durch ihr Angebot auf Amazon wird keine Garan­ten­stellung begründet. Von ausschlag­ge­bender Bedeutung ist dabei, dass Kunden­be­wer­tungs­systeme auf Online-Marktplätzen gesell­schaftlich erwünscht sind und verfas­sungs­recht­lichen Schutz genießen. Das Interesse von Verbrau­che­rinnen und Verbrauchern, sich zu Produkten zu äußern und sich vor dem Kauf über Eigenschaften, Vorzüge und Nachteile eines Produkts aus verschiedenen Quellen, zu denen auch Bewertungen anderer Kunden gehören, zu informieren oder auszutauschen, wird durch das Grundrecht der Meinungs- und Infor­ma­ti­o­ns­freiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Einer Abwägung mit dem Rechtsgut der öffentlichen Gesundheit, die als Gemein­schaftsgut von hohem Rang einen Eingriff in dieses Grundrecht rechtfertigen könnte, bedarf es hier nicht, weil Anhaltspunkten für eine Gesund­heits­ge­fährdung bei dem Angebot von Kinesiologie-Tapes fehlen.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 3 a UWG

Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Markt­teil­nehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

§ 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Fall 2 Nr. 1 UWG

Unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über folgende Umstände enthält:

1. die wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung wie Verfügbarkeit, Art, Ausführung, Vorteile, Risiken, Zusammensetzung, Zubehör, Verfahren oder Zeitpunkt der Herstellung, Lieferung oder Erbringung, Zweck­taug­lichkeit, Verwen­dungs­mög­lichkeit, Menge, Beschaffenheit, Kundendienst und Beschwer­de­ver­fahren, geographische oder betriebliche Herkunft, von der Verwendung zu erwartende Ergebnisse oder die Ergebnisse oder wesentlichen Bestandteile von Tests der Waren oder Dienst­leis­tungen;

§ 8 Abs. 1 UWG

Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wieder­ho­lungs­gefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch auf Unterlassung besteht bereits dann, wenn eine derartige Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 droht.

§ 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 HWG

Außerhalb der Fachkreise darf für Arzneimittel, Verfahren, Behandlungen, Gegenstände oder andere Mittel nicht geworben werden mit Äußerungen Dritter, insbesondere mit Dank-, Anerkennungs- oder Empfeh­lungs­schreiben, oder mit Hinweisen auf solche Äußerungen, wenn diese in missbräuch­licher, abstoßender oder irreführender Weise erfolgen.

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online (pm/kg)

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