Bundesgerichtshof Beschluss16.06.2016
BGH: Berücksichtigung einer Gesundheitsgefahr des Vermieters bei Entscheidung über Aussetzung einer Zwangsräumung eines selbstmordgefährdeten MietersHöheres Gefährdungspotential beim Mieter begründet befristete Einstellung der Zwangsräumung
Bei der Entscheidung über die Aussetzung einer Zwangsräumung ist nicht nur die mit der Zwangsräumung verbundene konkrete Lebensgefahr des Mieters zu berücksichtigen, sondern auch die mit dem weiteren Vollstreckungsstillstand verbundene Gesundheitsgefahr für den Vermieter. Ist das Gefährdungspotential beim Mieter höher zu bewerten als beim Vermieter, so kommt eine befristete Einstellung der Zwangsräumung in Betracht. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs hervor.
In dem zugrunde liegenden Fall wurde die Mieterin eines Bungalows vom Landgericht Frankfurt (Oder) im April 2012 zur Räumung und Herausgabe des Bungalows verurteilt. Sie führte unter Bezugnahme auf ein ärztliches Gutachten nachfolgend an, dass eine Zwangsräumung für sie lebensbedrohlich wäre. Sie beantragte daher Räumungsschutz.
Amtsgericht und Landgericht verneinten Räumungsschutz
Sowohl das Amtsgericht Fürstenwalde als auch das Landgericht Frankfurt (Oder) verneinten einen Räumungsschutz. Zwar sei die Mieterin nach Ausführungen eines Sachverständigen schwer psychisch krank, so dass die Zwangsräumung eine konkrete Lebensgefahr begründen würde. Ihr Zustand könne sich in begrenzten Umfang allenfalls durch eine längerfristige ambulante Therapie verbessern. Eine stationäre Therapie sei aufgrund ihrer Erkrankung nicht möglich. Es sei aber zugleich zu berücksichtigen, dass bei der Vermieterin aufgrund des Vollstreckungsverfahrens eine leichte depressive Episode vorliege. Der Vermieter leide wiederum aufgrund des Räumungsverfahrens unter einer depressiven Anpassungsstörung. Beide Erkrankungen können im Falle eines Räumungsschutzes zu einer Suizid- bzw. Selbstschädigungsgefahr führen. Zwar sei das Gefährdungspotential der Mieterin höher zu bewerten. Den Vermietern könne es aber nicht zugemutet werden, in den schicksalshaften Lebensverlauf der Mieterin einbezogen zu werden und sich hierfür aufopfern zu müssen. Die Mieterin müsse vielmehr ihr allgemeines Lebensrisiko, zu dem ein Wohnungswechsel gehöre, selbst tragen und die Zwangsräumung unter Heranziehung von Hilfsmöglichkeiten hinnehmen. Gegen diese Entscheidung legte die Mieterin Rechtsbeschwerde ein.
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Bundesgerichtshof gewährte befristete Aussetzung der Zwangsräumung
Der Bundesgerichtshof entschied zu Gunsten der Mieterin und hob daher die Entscheidung der Vorinstanz auf. Der Mieterin sei gemäß § 765 a ZPO eine befristete Aussetzung der Zwangsräumung zu gewähren. Denn das deutlich höhere Gefährdungspotential bei der Mieterin könne nicht unberücksichtigt bleiben. Die Mieterin habe in der Zeit des Räumungsschutzes geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um eine Verbesserung ihres Gesundheitszustandes zu erreichen. Eine Verringerung der Lebensgefahr sei nach Einschätzung des Sachverständigen nicht ausgeschlossen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 30.09.2016
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)