Dokument-Nr. 15272
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- Landgericht München I, Urteil07.05.2013, 20 KLs 455 Js 148790/11
- Landgericht Regensburg, Urteil16.08.2011, KLs 122 Js 1452/2009
- Bundesgerichtshof bestätigt nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen SexualstraftäterBundesgerichtshof, Urteil21.06.2011, 5 StR 52/11
- BGH zur Anwendbarkeit der Sicherungsverwahrung in der Übergangszeit bis zur gesetzlichen NeuregelungBundesgerichtshof, Urteil19.10.2011, 2 StR 305/11
- Sicherungsverwahrung: Auch bei Gefahr nur "gravierender" Straftaten darf Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz angeordnet werdenOberlandesgericht Nürnberg, Beschluss20.07.2011, 15 W 1400/11 ThUG
Bundesgerichtshof Urteil19.02.2013
BGH hebt Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung in zwei Verfahren aufLandgerichte legen bei Beurteilung der Gefährlichkeit lückenhafte und unzutreffende Maßstäbe an
Der Bundesgerichtshof hat zwei Nichtanordnungen der Sicherungsverwahrung aufgehoben. Nach Auffassung des Gerichtshofs hatten die zuständigen Landgerichte in ihren Entscheidungen jeweils bei der Gefährlichkeitsprognose der Angeklagten einen lückenhaften oder unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt, der sachlich-rechtlichen Prüfungen nicht standhielt.
Im zugrunde liegenden Fall (1 StR 465/12) hatte das Landgericht München I den 64jährigen Angeklagten wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in Tatmehrheit mit schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht abgesehen.
Tatsachverhalt
Nach den Feststellungen lud der bereits vielfach wegen Sexualdelikten zum Nachteil von Kindern vorbestrafte Angeklagte am 25. Mai 2011 an einem See die damals vierjährige Geschädigte zu einer Fahrt mit seinem Schlauchboot ein. Das Mädchen bestieg mit Erlaubnis ihrer Mutter das Boot. Auf der Mitte des Sees stellte der Angeklagte das Rudern ein und entblößte sein Geschlechtsteil. Auf seine Aufforderung hin umfasste die Geschädigte das erigierte Glied des Angeklagten und nahm daran für kurze Zeit Auf- und Ab-Bewegungen vor. Zum Tatzeitpunkt stand der Angeklagte wegen vorausgegangener Sexualstraftaten unter Führungsaufsicht; ihm war durch gerichtlichen Beschluss für die Dauer von fünf Jahren die Weisung erteilt worden, sich nicht an Orten, die erfahrungsgemäß von Kindern frequentiert werden, insbesondere nicht an Spiel- und Sportplätzen, Kindergärten und Schulen im Umkreis von 50 Metern sowie in Badeanstalten und auf Volksfesten aufzuhalten.
Gefahr schwerer Sexualdelikte beim Angeklagten genügt strengen Anforderungen des Bundesverfassungsgericht zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung nicht
Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht damit begründet, dass bei dem Angeklagten zwar ein Hang bestehe, Sexualstraftaten gegen Kinder zu begehen, und dass von ihm auch in Zukunft weitere derartige Taten zu erwarten seien. Eine hochgradige Gefahr bestehe jedoch nur für weniger schwere, der verfahrensgegenständlichen Tat vergleichbare Sexualdelikte; die Gefahr schwerer Sexualdelikte sei bei dem Angeklagten deutlich geringer ausgeprägt. Dies genüge nicht den strengen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht für die bis zu einer Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung Weitergeltung der gesetzlichen Regelungen zur Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgestellt habe.
Landgericht legt fehlerhaften Maßstab bei Beurteilung der Gefährlichkeit zugrunde
Auf die wirksam auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat der Bundesgerichtshof das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen im Umfang der Anfechtung aufgehoben. Die Nichtanordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat aufgrund eines fehlerhaften Maßstabes, den das Landgericht der Beurteilung der Gefährlichkeit zugrunde gelegt hatte, der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht standgehalten.
Gericht muss erneut über Anordnung der Sicherungsverwahrung entscheiden
Damit ist das Urteil im Schuld- und Strafausspruch rechtskräftig, das nun zuständige Tatgericht muss aber erneut über die Frage der Anordnung in der Sicherungsverwahrung entscheiden.
LG verurteilt Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten
In dem zweiten zugrunde liegenden Verfahren (1 StR 275/12 ) hat das Landgericht Regensburg den 49 Jahre alten Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen unter Einbeziehung anderweitig rechtskräftig gewordener Einzelfreiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in sieben Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Daneben hat es ihn zur Zahlung von Schadensersatz- und Schmerzensgeld verurteilt.
Tatsachverhalt
Hierzu hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte im Frühsommer 2003 sowie zwischen dem 13. März 2007 und März 2010 drei Mädchen - die jüngste war sechs bis sieben Jahre alt - sexuell missbrauchte. In einem Fall führte er vaginalen Geschlechtsverkehr durch, einmal führte er Finger in die Scheide ein und in einem weiteren Fall veranlasste er die Geschädigte dazu, seinen Penis in den Mund zu nehmen und ihn mittels Bewegungen zu stimulieren. In den anderen Fällen versuchte er, mit seinem Glied in die Scheide - in einem Fall auch in den After - einzudringen, was ihm aber wegen mangelhafter Erektion angesichts der anatomischen Besonderheiten bei den noch jungen Mädchen nicht gelang. Das Landgericht hat auf Einzelfreiheitsstrafen zwischen zwei Jahren und drei Jahren neun Monaten für die Taten erkannt.
LG sieht von Unterbringung in Sicherungsverwahrung ab
Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen zur Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB aF als erfüllt angesehen und einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Taten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 aF StGB angenommen. Es hat trotz der für erheblich eingeordneten Anlasstaten und einer vom Sachverständigen festgestellten deutlich erhöhten Rückfallwahrscheinlichkeit die Anordnung der Maßregel nicht für geboten erachtet, da sich die Gefährlichkeit des Angeklagten durch verschiedene Umstände relativiere.
Vom Landgericht zugrunde gelegte Gefährlichkeitsprognose beruht auf unzutreffenden Maßstab
Die gegen das Urteil eingelegte Revision des Angeklagten hat der Bundesgerichtshof verworfen. Auf die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat das Gericht das Urteil des Landgerichts mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist. Denn die vom Landgericht zugrunde gelegte Gefährlichkeitsprognose war lückenhaft und beruhte auf einem unzutreffenden Maßstab. Im Übrigen ist die Revision verworfen worden.
Gericht muss über Anordnung der Sicherungsverwahrung erneut entscheiden
Auch dieses Urteil ist damit im Schuld- und Strafausspruch rechtskräftig, so dass nun nur noch über die Frage der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erneut zu entscheiden ist.
*§ 66 Abs. 1 StGB
Erläuterungen
Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b) unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c) den Tatbestand des § 145 a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2. der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3. er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4. die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68 b Absatz 1 Satz 4.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 20.02.2013
Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online
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