15.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil19.02.2013

BGH hebt Nichtanordnung der Siche­rungs­ver­wahrung in zwei Verfahren aufLandgerichte legen bei Beurteilung der Gefährlichkeit lückenhafte und unzutreffende Maßstäbe an

Der Bundes­ge­richtshof hat zwei Nicht­a­n­ord­nungen der Siche­rungs­ver­wahrung aufgehoben. Nach Auffassung des Gerichtshofs hatten die zuständigen Landgerichte in ihren Entscheidungen jeweils bei der Gefähr­lich­keits­prognose der Angeklagten einen lückenhaften oder unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt, der sachlich-rechtlichen Prüfungen nicht standhielt.

Im zugrunde liegenden Fall (1 StR 465/12) hatte das Landgericht München I den 64jährigen Angeklagten wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungs­aufsicht in Tatmehrheit mit schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern zu einer Gesamt­frei­heits­strafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht abgesehen.

Tatsachverhalt

Nach den Feststellungen lud der bereits vielfach wegen Sexualdelikten zum Nachteil von Kindern vorbestrafte Angeklagte am 25. Mai 2011 an einem See die damals vierjährige Geschädigte zu einer Fahrt mit seinem Schlauchboot ein. Das Mädchen bestieg mit Erlaubnis ihrer Mutter das Boot. Auf der Mitte des Sees stellte der Angeklagte das Rudern ein und entblößte sein Geschlechtsteil. Auf seine Aufforderung hin umfasste die Geschädigte das erigierte Glied des Angeklagten und nahm daran für kurze Zeit Auf- und Ab-Bewegungen vor. Zum Tatzeitpunkt stand der Angeklagte wegen voraus­ge­gangener Sexual­straftaten unter Führungs­aufsicht; ihm war durch gerichtlichen Beschluss für die Dauer von fünf Jahren die Weisung erteilt worden, sich nicht an Orten, die erfahrungsgemäß von Kindern frequentiert werden, insbesondere nicht an Spiel- und Sportplätzen, Kindergärten und Schulen im Umkreis von 50 Metern sowie in Badeanstalten und auf Volksfesten aufzuhalten.

Gefahr schwerer Sexualdelikte beim Angeklagten genügt strengen Anforderungen des Bundes­ver­fas­sungs­gericht zur Neuregelung der Siche­rungs­ver­wahrung nicht

Die Nichtanordnung der Siche­rungs­ver­wahrung hat das Landgericht damit begründet, dass bei dem Angeklagten zwar ein Hang bestehe, Sexual­straftaten gegen Kinder zu begehen, und dass von ihm auch in Zukunft weitere derartige Taten zu erwarten seien. Eine hochgradige Gefahr bestehe jedoch nur für weniger schwere, der verfah­rens­ge­gen­ständ­lichen Tat vergleichbare Sexualdelikte; die Gefahr schwerer Sexualdelikte sei bei dem Angeklagten deutlich geringer ausgeprägt. Dies genüge nicht den strengen Anforderungen, die das Bundes­ver­fas­sungs­gericht für die bis zu einer Neuregelung des Rechts der Siche­rungs­ver­wahrung Weitergeltung der gesetzlichen Regelungen zur Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung aufgestellt habe.

Landgericht legt fehlerhaften Maßstab bei Beurteilung der Gefährlichkeit zugrunde

Auf die wirksam auf die Nichtanordnung der Siche­rungs­ver­wahrung beschränkte Revision der Staats­an­walt­schaft hat der Bundes­ge­richtshof das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen im Umfang der Anfechtung aufgehoben. Die Nichtanordnung der Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung hat aufgrund eines fehlerhaften Maßstabes, den das Landgericht der Beurteilung der Gefährlichkeit zugrunde gelegt hatte, der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht standgehalten.

Gericht muss erneut über Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung entscheiden

Damit ist das Urteil im Schuld- und Strafausspruch rechtskräftig, das nun zuständige Tatgericht muss aber erneut über die Frage der Anordnung in der Siche­rungs­ver­wahrung entscheiden.

LG verurteilt Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu Gesamt­frei­heits­strafe von drei Jahren und neun Monaten

In dem zweiten zugrunde liegenden Verfahren (1 StR 275/12 ) hat das Landgericht Regensburg den 49 Jahre alten Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen unter Einbeziehung anderweitig rechtskräftig gewordener Einzel­frei­heits­s­trafen zu einer Gesamt­frei­heits­strafe von fünf Jahren und neun Monaten und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in sieben Fällen zu einer weiteren Gesamt­frei­heits­strafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Daneben hat es ihn zur Zahlung von Schadensersatz- und Schmerzensgeld verurteilt.

Tatsachverhalt

Hierzu hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte im Frühsommer 2003 sowie zwischen dem 13. März 2007 und März 2010 drei Mädchen - die jüngste war sechs bis sieben Jahre alt - sexuell missbrauchte. In einem Fall führte er vaginalen Geschlechts­verkehr durch, einmal führte er Finger in die Scheide ein und in einem weiteren Fall veranlasste er die Geschädigte dazu, seinen Penis in den Mund zu nehmen und ihn mittels Bewegungen zu stimulieren. In den anderen Fällen versuchte er, mit seinem Glied in die Scheide - in einem Fall auch in den After - einzudringen, was ihm aber wegen mangelhafter Erektion angesichts der anatomischen Besonderheiten bei den noch jungen Mädchen nicht gelang. Das Landgericht hat auf Einzel­frei­heits­s­trafen zwischen zwei Jahren und drei Jahren neun Monaten für die Taten erkannt.

LG sieht von Unterbringung in Siche­rungs­ver­wahrung ab

Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen zur Anordnung der Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung gemäß § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB aF als erfüllt angesehen und einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Taten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 aF StGB angenommen. Es hat trotz der für erheblich eingeordneten Anlasstaten und einer vom Sachver­ständigen festgestellten deutlich erhöhten Rückfa­ll­wahr­schein­lichkeit die Anordnung der Maßregel nicht für geboten erachtet, da sich die Gefährlichkeit des Angeklagten durch verschiedene Umstände relativiere.

Vom Landgericht zugrunde gelegte Gefähr­lich­keits­prognose beruht auf unzutreffenden Maßstab

Die gegen das Urteil eingelegte Revision des Angeklagten hat der Bundes­ge­richtshof verworfen. Auf die wirksam auf den Rechts­fol­ge­n­aus­spruch beschränkte Revision der Staats­an­walt­schaft hat das Gericht das Urteil des Landgerichts mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung abgesehen worden ist. Denn die vom Landgericht zugrunde gelegte Gefähr­lich­keits­prognose war lückenhaft und beruhte auf einem unzutreffenden Maßstab. Im Übrigen ist die Revision verworfen worden.

Gericht muss über Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung erneut entscheiden

Auch dieses Urteil ist damit im Schuld- und Strafausspruch rechtskräftig, so dass nun nur noch über die Frage der Anordnung der Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung erneut zu entscheiden ist.

*§ 66 Abs. 1 StGB

Erläuterungen
Das Gericht ordnet neben der Strafe die Siche­rungs­ver­wahrung an, wenn

1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die

a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbst­be­stimmung richtet,

b) unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtund­zwan­zigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völker­straf­ge­setzbuch oder das Betäu­bungs­mit­tel­gesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder

c) den Tatbestand des § 145 a erfüllt, soweit die Führungs­aufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,

2. der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,

3. er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheits­ent­zie­henden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und

4. die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.

Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungs­aufsicht § 68 b Absatz 1 Satz 4.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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