23.11.2024
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Bundesarbeitsgericht Urteil28.08.2020

Bundes­arbeitsgericht: Pauschales Kopftuchverbot im Unterricht ist diskriminierendKopftuchverbot - Benachteiligung wegen der Religion

Das Tragen des islamischen Kopftuchs an allge­mein­bil­denden Schulen pauschal zu verbieten, stellt einen unver­hält­nis­mäßigen Grund­recht­s­eingriff dar. Dies entschied das Bundes­arbeitsgericht.

Die Klägerin ist Diplom-Informatikerin; sie bezeichnet sich als gläubige Muslima und trägt als Ausdruck ihrer Glaubens­über­zeugung ein Kopftuch. Die Klägerin bewarb sich beim beklagten Land Berlin im Rahmen eines Quereinstiegs mit berufs­be­glei­tendem Referendariat für eine Beschäftigung als Lehrerin in den Fächern Informatik und Mathematik in der Integrierten Sekundarschule (ISS), dem Gymnasium oder der Beruflichen Schule. Das beklagte Land lud sie zu einem Bewer­bungs­ge­spräch ein. Im Anschluss an dieses Gespräch, bei dem die Klägerin ein Kopftuch trug, sprach sie ein Mitarbeiter der Zentralen Bewer­bungs­stelle auf die Rechtslage nach dem sog. Berliner Neutra­li­täts­gesetz* an. Die Klägerin erklärte daraufhin, sie werde das Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen.

Klägerin verlangte Entschädigung vom Land Berlin

Nachdem ihre Bewerbung erfolglos geblieben war, nahm die Klägerin das beklagte Land auf Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG in Anspruch. Sie hat die Auffassung vertreten, das beklagte Land habe sie entgegen den Vorgaben des AGG wegen ihrer Religion benachteiligt. Zur Rechtfertigung dieser Benachteiligung könne das beklagte Land sich nicht mit Erfolg auf § 2 Berliner Neutra­li­täts­gesetz berufen. Das darin geregelte pauschale Verbot, innerhalb des Dienstes ein muslimisches Kopftuch zu tragen, verstoße gegen die durch Art. 4 GG geschützte Glaubens­freiheit. Das beklagte Land hat demgegenüber eingewandt, das Berliner Neutra­li­täts­gesetz sei verfas­sungsgemäß und auch unions­rechts­konform. Die darin geregelte Verpflichtung der Lehrkräfte, im Dienst u.a. keine auffallenden religiös geprägten Kleidungsstücke zu tragen, stelle eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung iSv. § 8 Abs. 1 AGG bzw. der unions­recht­lichen Vorgaben dar. Angesichts der Vielzahl von Nationalitäten und Religionen, die in der Stadt vertreten seien, sei eine strikte Neutralität im Unterricht aus präventiven Gründen erforderlich; des Nachweises einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität bedürfe es nicht. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landes­a­r­beits­gericht hat das beklagte Land zur Zahlung einer Entschädigung iHv. 5.159,88 Euro verurteilt. Gegen diese Entscheidung hat das beklagte Land Revision eingelegt, mit der es sein Begehren nach Klageabweisung weiterverfolgt. Die Klägerin hat Anschluss­re­vision eingelegt, mit welcher sie die Zahlung einer höheren Entschädigung begehrt.

Bundes­a­r­beits­gericht sieht Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG

Sowohl die Revision des beklagten Landes als auch die Anschluss­re­vision der Klägerin hatten vor dem Achten Senat des Bundes­a­r­beits­ge­richts keinen Erfolg. Die Klägerin kann von dem beklagten Land nach § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Verstoßes gegen das Benach­tei­li­gungs­verbot des AGG die Zahlung einer Entschädigung iHv. 5.159,88 Euro verlangen. Die Klägerin hat als erfolglose Bewerberin eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG erfahren. Der Umstand, dass ein Mitarbeiter der Zentralen Bewer­bungs­stelle die Klägerin im Anschluss an das Bewer­bungs­ge­spräch auf die Rechtslage nach dem sog. Berliner Neutra­li­täts­gesetz angesprochen und die Klägerin daraufhin erklärt hat, sie werde das Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen, begründet die Vermutung, dass die Klägerin wegen der Religion benachteiligt wurde. Diese Vermutung hat das beklagte Land nicht widerlegt. Die Benachteiligung der Klägerin ist nicht nach § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt. Das beklagte Land kann sich insoweit nicht mit Erfolg auf die in § 2 Berliner Neutra­li­täts­gesetz getroffene Regelung berufen, wonach es Lehrkräften ua. untersagt ist, innerhalb des Dienstes auffallende religiös oder weltanschaulich geprägte Kleidungsstücke und damit auch ein sog. islamisches Kopftuch zu tragen.

Keine konkrete Gefahr erkennbar

Nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts, an die der Senat nach § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden ist, führt eine Regelung, die - wie § 2 Berliner Neutra­li­täts­gesetz - das Tragen eines sog. islamischen Kopftuchs durch eine Lehrkraft im Dienst ohne Weiteres, dh. schon wegen der bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekennt­ni­soffenen Gemein­schafts­schule verbietet, zu einem unver­hält­nis­mäßigen Eingriff in die Religi­o­ns­freiheit nach Art. 4 GG, sofern das Tragen des Kopftuchs - wie hier im Fall der Klägerin - nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. § 2 Berliner Neutra­li­täts­gesetz ist in diesen Fällen daher verfas­sungs­konform dahin auszulegen, dass das Verbot des Tragens eines sog. islamischen Kopftuchs nur im Fall einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gilt. Eine solche konkrete Gefahr für diese Schutzgüter hat das beklagte Land indes nicht dargetan. Aus den Vorgaben von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG, die der nationale Gesetzgeber mit § 8 Abs. 1 AGG in das nationale Recht umgesetzt hat, und aus den in Art. 10 und Art. 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union getroffenen Regelungen ergibt sich für das vorliegende Verfahren nichts Abweichendes. Den Bestimmungen in §§ 2 bis 4 Berliner Neutra­li­täts­gesetz fehlt es bereits an der unionsrechtlich erforderlichen Kohärenz. Mit den Ausnah­me­re­ge­lungen in den §§ 3 und 4 Berliner Neutra­li­täts­gesetz stellt der Berliner Gesetzgeber sein dem § 2 Berliner Neutra­li­täts­gesetz zugrun­de­lie­gendes Regelungs­konzept selbst in Frage. Die Entscheidung des Landes­a­r­beits­ge­richts über die Höhe der der Klägerin zustehenden Entschädigung hielt im Ergebnis einer revisi­ons­recht­lichen Kontrolle stand.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (pm/pt)

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