Bundesarbeitsgericht Urteil23.06.1994
Kündigung während der Probezeit aufgrund Homosexualität des Arbeitnehmers unzulässigProbezeitkündigung wegen unzulässiger Rechtsausübung treuwidrig und damit unwirksam
Wird ein Arbeitnehmer in der Probezeit wegen seiner Homosexualität gekündigt, so stellt dies eine unzulässige Rechtsausübung des Arbeitgebers dar und ist daher unwirksam. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hervor.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Außendienstmitarbeiter wurde während seiner sechsmonatigen Probezeit gekündigt. Da die Kündigung seiner Meinung nach auf seiner Homosexualität beruhte, klagte er gegen die Kündigung.
Arbeits- und Landesarbeitsgericht wiesen Klage ab
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht München wiesen die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass eine Kündigung wegen Homosexualität nicht nach § 134 BGB unwirksam sei. Denn dadurch sei das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht beeinträchtigt worden. Vielmehr habe sich nur das Risiko realisiert, dem jeder Arbeitnehmer in der Probezeit ausgesetzt sei. Zudem sei die Kündigung nicht sittenwidrig gewesen. Denn es widerspreche nicht dem Anstandsgefühl aller Billig- und Gerechtdenkenden, den Umgang mit Homosexuellen zu meiden und bestehende Kontakte zu ihnen abzubrechen. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Revision ein.
Probezeitkündigung wegen Homosexualität treuwidrig
Das Bundesarbeitsgericht entschied zu Gunsten des Klägers und hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf. Es stellte hingegen nicht auf eine eventuell bestehende Sittenwidrigkeit der Kündigung ab, sondern darauf, dass die Kündigung wegen der Homosexualität des Klägers treuwidrig und damit unzulässig war.
Grundsatz der Privatautonomie durch Grundrechte eingeschränkt
Zwar sei es richtig, so das Bundesarbeitsgericht weiter, dass die Möglichkeit einer Probezeitkündigung vom Grundsatz der Privatautonomie gedeckt und damit zulässig ist. Diese Privatautonomie werde jedoch durch die Grundrechte anderer eingeschränkt. Denn der Kläger habe seinerseits ein Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG). Von diesem Grundrecht umfasst sei die Freiheit, die Privatsphäre im Bereich des Geschlechtslebens nach eigener Entscheidung zu gestalten. Diese Freiheit sei dem Kläger durch die Probezeitkündigung, welche auf eine Disziplinierung seines Geschlechtsverhaltens hinaus lief, genommen worden.
Arbeitgeber nicht Sittenwächter
Die Arbeitnehmerverpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber enden nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich dort, wo der private Bereich beginnt. Die Gestaltung des privaten Lebensbereichs stehe außerhalb der Einflusssphäre des Arbeitgebers und werde durch arbeitsvertragliche Pflichten nur insoweit eingeschränkt, als sich das private Verhalten auf den betrieblichen Bereich auswirkt und diesen stört. Der Arbeitgeber sei durch den Arbeitsvertrag nicht Sittenwächter über seine Beschäftigten.
Erläuterungen
Die Entscheidung ist aus dem Jahre 1994 und erscheint im Rahmen der Reihe "Urteile zum Thema Homosexualität".
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 13.01.2014
Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (vt/rb)